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Autobombenanschlag in Beirut

Die Angst vor dem Morgen

Feature

Die Reaktionen des Wochenendes auf den Autobombenanschlag in Beirut geben einen Vorgeschmack auf die anstehenden Weichenstellungen – ein Besuch in den Brennpunkten in Beirut und Tripoli lässt nichts Gutes erahnen.

Freitag. Dieser Tag könnte reißerisch, als »Der Tag, der alles änderte« betitelt werden. In Wirklichkeit war er in unbekannter Dimension längst Teil der Prophezeiung für den Libanon. »Beirut ist zu ruhig in diesen Tagen. Irgendetwas wird passieren. Bald«, mutmaßte noch vor zwei Wochen ein junger, libanesischer Journalist und sollte Recht behalten.

 

Kurz vor drei Uhr nachmittags, zur Rush Hour, zerstörten zwei hintereinander gezündete Autobomben den Sassine-Platz im christlichen Distrikt Aschrafieh, einem lebhaften Sammelpunkt im Osten Beiruts. Die Detonation von 50 Kilogramm Sprengstoff kostete acht Menschenleben und führte zu über 80 Verletzten.

 

Der Anschlag auf den sunnitischen Geheimdienstchef Wissam al-Hassan facht das Feuer vor allem in den libanesischen Großstädten an. Ins Visier geriet der Ermittler womöglich durch seine Untersuchungen im Fall des Attentats auf Rafiq Hariri im im Februar 2005. Als Protokollchef des ehemaligen Premiers war al-Hassan kurzzeitig selbst ins Visier der Fahnder geraten, wurde aber entlastet und gar mit dem Aufbau der geheimdienstlichen Sektion der »Internal Security Forces« (ISF) betraut.

 

Nicht nur im Fall Hariri mag al-Hassan Syrien und Hizbullah als Drahtzieher vermutet haben, auch die spektakuläre Verhaftung und Anklage des Politikers Michel Samaha wegen Sprengstoffschmuggels und Anschlagsplanung auf Weisung von Damaskus im August wurde maßgeblich vom ISF-Geheimdienstchef geleitet. Übrigens traf der letzte große Autobombenanschlag in Beirut am 25. Januar 2008 einen Kollegen al-Hassans. ISF-Offizier Wissam Eid hatte die polizeilichen Ermittlungen im Mordfall Hariri geleitet.

 

»Beirut ist zu ruhig in diesen Tagen. Irgendetwas wird passieren«

 

Im Norden des Landes reagieren Sunniten und alawitische Schiiten und machen Teile Tripolis zu ihrem sporadischen Schlachtfeld. In der Nacht hallen Einschläge von Mörsergranaten von der Stadt. Rauchschwaden steigen zum Himmel auf und ziehen in Gedanken Saad Hariris, dem Sohn des 2005 ermordeten Regierungschefs Rafiq al-Hariri und Oppositionsführers der anti-syrischen Allianz »14. März«, weiter nach Damaskus.

 

Kurze Zeit nach dem Anschlag beschuldigt er in einer Fernsehansprache Baschar al-Assad des Mordes an al-Hassan. In Beirut laufen die Telefone heiß. Journalistin May Chediac, die selbst vor vier Jahren bei einem Anschlag den linken Arm und Unterbein verlor, kann sich während einer Expertenrunde im Fernsehen kaum zurückhalten: »An diesem Platz kommen alle vorbei. All unsere Freunde. Wir rufen jeden an und fragen, ob alles in Ordnung ist.«

 

In den Abendstunden wird die Nord-Südachse der Autobahn vollständig gesperrt. Auch auf den Weg in das östliche Hinterland, Richtung Damaskus, ist kein Durchkommen mehr. Auf einer Dachterrasse, fünf Kilometer entfernt von Tripoli, hört man neben den Kämpfen, welche im Laufe der Nacht ein Menschenleben kosten sollen, kläffende Hunde und Grillen zirpen.

 

Eine Bannmeile aus brennenden Autoreifen trennt sunnitische und schiitische Viertel

 

Samstag. Frühstück in Tripoli. Die Straßen in Tripoli sind leer; kein Stau, kaum obligatorisch arabisches Autohupen, der Asphalt schwarz von abgebrannten Reifen. Alle Cafés und Restaurants sind geschlossen. Das Land trauert um al-Hassan, welcher aus dem Dorf Toroutij stammt, einen Steinwurf von Tripoli entfernt.

 

In der Nacht zuvor fuhren ganze Busladungen mit Angehörigen, so vermuten die Einheimischen, über Schleichwege Richtung Beirut. Die politische Lage ist angespannt. »Ich hatte keine Angst vor dem, was gestern in Aschrafieh passiert ist. Ich habe Angst, was morgen, was übermorgen passiert«, sorgt sich ein junger Bewohner Beiruts.

 

Währenddessen ist durch sunnitische Aktivisten um »Al-Medina Al-Riadiya«, dem großen Sportstadium in Beirut, mittels brennender Autoreifen eine Art Bannmeile gezogen wurden. Diese inoffizielle Grenze verläuft zwischen schiitischen und sunnitischen Vierteln. Mittags erreichen die Nachrichten erste Bilder aus Tripoli. Nahe des Zentrums versammeln sich sunnitische Kämpfer und schwingen auf Autodächern sitzend ihre Kalaschnikows.

 

Es bleibt erstmal bei leeren Drohgebärden. Das Äußerste der Gefühle sind kamerafixierte Luftschussschützen. Am Abend erleuchtet ein Feuerwerk den Himmel über Byblos, das auf halbem Weg etwa eine Stunde zwischen den beiden Brennpunkten entfernt liegt. Im ersten Moment erinnern die Geräusche an Mörsergranaten, im zweiten fragt man sich, was wohl der Anlass der Feier ist.

 

Obwohl die Autobahn von Tripoli nach Beirut an diesem Sonntag fast schon paradiesische Höchstgeschwindigkeiten zulässt, heißt das nicht, dass die Libanesen durch die Ereignisse eingeschüchtert zu Hause bleiben. Im Beach-Resort »Eddésands« aalen sich auch heute viele Sonnenanbeter. Von dort aus erahnt man in der Ferne die Umrisse Beiruts.

 

Die Stakkato-Geräusche von Gewehrschüssen und Granateneinschlägen kommen näher

 

Sonntag. Tag des Zorns. Nachdem Saad Hariri und Drusenführer Walid Jumblatt Baschar al-Assad und das syrische Regime des Autobombenanschlags bezichtigt haben, fordert die Allianz des »14. März« den Rücktritt des sunnitischen Premierministers Najib Mikati. Hariri klagt diesen und seine Anhänger offen an, mit dem Nachbarstaat zu kollaborieren und »Kriminelle« zu decken.

 

Dabei schwingt sicher auch die bittere Erinnerung an den erzwungenen Machtwechsel Anfang 2011 mit, als die aus demokratischen Wahlen 2009 hervorgegangene Regierung um Premier Hariri gestürzt und ein halbes Jahr später durch das Kabinett Mikati ersetzt wurde – unter Ausschluss des »14. März«.

 

Tausende folgten der Aufforderung und begleiteten die Trauerprozession in Downtown, wo der Geheimdienstchef neben Rafiq al-Hariri beigesetzt wurde. Im Anschluss lieferten sich Sicherheitspersonal und sunnitische Demonstranten einen Schlagabtausch. Tränengas und Stöcke flogen durch die Luft, ab und an eine Gewehrsalve.

 

An vielen Knotenpunkten versammelten sich maskierte junge Männer, immer mobil mit ihren Motorrollern und blockierten die Straßen Richtung Süd-Beirut mit umgestürzten Mülltonnen. Je später der Abend, umso größer die Befürchtung, dass die Situation eskaliert. In Tayouneh, einem schiitischen Viertel auf dem Weg zum Flughafen, vernimmt man ab und an Schusswechsel aus dem benachbarten Sunnitenviertel Tariq al-Jdeideh.

 

Der Blick auf die Straße offenbart neben einem gemütlich Shisha-rauchenden Mann lange nichts Neues. Unbestätigten Informationen zufolge sollen sunnitische Milizionäre Checkpoints an den Hauptstraßen errichten, was vor allem die Hizbullah wütend stimmen dürfte. Die Stakkato-Geräusche  von Gewehrschüssen und Granateneinschlägen kommen näher. Der Mann erhebt sich langsam von seinem Gartenstuhl, packt seinen Laptop ein und verlässt die Szenerie.

Von: 
Juliane Metzker

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