Seit über einem Jahr zieht sich der Bestechungsskandal im türkischen Fußball nun hin. Betroffen ist die ganze »Süper Lig«. Und es geht um mehr als Meisterschaften und Abstieg, sondern um ganz handfeste wirtschaftliche Interessen.
In Europa zittern noch bis Ende des Monats Millionen Fans mit ihren Mannschaften um den Ausgang der Fußballeuropameisterschaft. Dafür interessiert sich dieses Jahr in der Türkei, die sich diesmal nicht qualifizieren konnte, niemand. Der türkische Fußball hat selbst mit so massiven Problemen zu kämpfen, dass manche Sportkommentatoren schon seinen baldigen Tod prognostizieren.
Der Istanbuler Traditionsverein Beşiktaş steht kurz vor dem finanziellen Ruin. Zu verantworten hat dies der ehemalige Vereinspräsident Demirören, der inzwischen zum Präsidenten des Türkischen Fußballverbands aufgestiegen ist. Dieser quälte sich in den letzten Monaten damit, eine Entscheidung im grossen Bestechungsskandal – in dem insgesamt 16 Klubs angeklagt sind – zu fällen. Fenerbahçe etwa, dem ehemaligen Verein Christoph Daums, wird vorgeworfen, in großem Stil Spieler anderer Mannschaften bestochen zu haben.
Die mangelnde Konsequenz des Zentralverbandes, den Skandal angemessen zu ahnden, bringt vor allem den dritten Istanbuler Spitzenclub, Galatasaray, auf die Palme. Dieser befürchtet als Folge den Ausschluss der Türkei von allen UEFA-Spielen. Aber eins nach dem anderen..... Am 22. Mai 2011 gewann Fenerbahçe die türkische Meisterschaft. Trabzonspor, der Verein vom Schwarzen Meer, wurde Zweiter – und das, obwohl beide die Saison punktgleich abschlossen. Fenerbahçe aber schoss 4 Tore mehr und ging damit letztendlich als Sieger aus diesem bis zum letzten Spieltag währenden Kopf-an-Kopf Rennen hervor.
Auch der zweite Istanbuler Klub Beşiktaş begann die Saison 2010/2011 mit großen Hoffnungen und teuren Spielertransfers. Doch in der zweiten Hälfte der Saison wurden die Ergebnisse drastisch schlechter. Nach mehreren Niederlagen in Serie übernahm Bernd Schuster, der deutsche Trainer des Vereins, die personelle Verantwortung und trat zurück. Beşiktaş machte sich keine Hoffnungen mehr, die Meisterschaft zu gewinnen, schielte aber immer noch nach dem türkischen Cup. Der ehemalige Beşiktaş-Spieler Tayfur Havutçu wurde zum Trainer ernannt um noch in letzter Minute ein Wunder zu vollbringen.
Nun sitzen Präsident und Torwart von Sivasspor in Untersuchungshaft
Im Finalspiel des türkischen Pokals trat Beşiktaş gegen die Istanbuler Mannschaft İBB an. Nach einem 2:2 konnte Beşiktaş das Spiel erst im Elfmeterschießen für sich entscheiden. Damit endete die Saison 2010/2011 in unverdächtiger Weise: wie üblich hatten Istanbuler Traditionsklubs Meisterschaft und Cup für sich entschieden. Seit 1959 wurden diese Trophäen nur insgesamt sieben Mal nicht von ihnen nach Hause geholt.
Auch auf offizieller Seite schien alles rosig: am 29. Juni wurde Mehmet Ali Aydınlar, zum neuen Präsidenten des Fußballverbandes gewählt. Er hatte sich als Vorstandsmitglied bei Fenerbahçe und einflussreicher Geschäftsmann einen Namen gemacht, so dass die Mehrzahl der Clubs seine Kandidatur unterstützte. Der Moment allgemeiner Harmonie und Einigkeit währte allerdings nur kurz; dem neuen Präsidenten standen turbulente Tage ins Haus.
Als die türkische Bevölkerung am Morgen des 3. Juli ihre Fernseher einschalteten oder auf dem Smartphone durch die Nachrichten scrollten, sprang ihnen von überall die selbe Meldung entgegen: Im größten Skandal des türkischen Profisports waren 31 Personen festgenommen worden, darunter auch einige der Vorstandsmitglieder Fenerbahçes und dessen jahrelanger Präsident Aziz Yıldırım, dem die Gründung einer kriminellen Vereinigung und Bestechung vorgeworfen wird. In einigen Fallen, so türkische Medien, sollen mehrere hunderttausend Euro den Besitzer gewechselt haben.
Im Hauptfokus der Ermittlungen liegt dabei besonders das Spiel Fenerbahçe-Sivasspor am 22. Mai 2011. Fenerbahçe gewann 4:3 und schlug so gleichzeitig den punktgleich liegenden Verein Trabzonspor im Kampf um die Meisterschaft. Sivasspor-Towart Korcan Ҫelikay ließ einen schwachen Fernschuss einfach durchrollen. Nun sitzt nicht nur er, sondern auch Sivasspor-Präsident Mecnun Otyakmaz in Untersuchungshaft. Sivasspor, damals auf einem mittleren Tabellenplatz, hatte bei besagtem Spiel nicht viel zu verlieren, für Fenerbahçe hingegen ging es um die Meisterschaft. Erwies sich der knappe Sieg Fenerbahçes gegen Trabzonspor im Kampf um den Titel damit nicht als Glück in letzter Minute, sondern vielmehr als ein abgekartetes Spiel?
Die Bestechungsaffäre betrifft nicht nur Fenerbahçe, sondern fast alle Klubs der »Süper Lig«
Hunderte Fenerbahçe-Fans demonstrierten aufgebracht gegen die Verhaftungen und besetzten die Istanbuler Bosporusbrücke, eine der zwei Verbindungen zwischen dem europäischen und asiatischen Teil der Stadt. Erst durch Tränengaseinsatz gelang es der Polizei die Brücke zu räumen. Die Fans treibt die Angst vor der Titelaberkennung und dem Zwangsabstieg in die zweite Liga. Fenerbahçe Istanbul ist das türkische Pendant zum FC Bayern München; ein Traditionsverein mit mehr als 150.00 Mitgliedern und Millionen Anhängern, nicht nur in der Türkei, sondern weltweit.
Aber Fenerbahçe ist inzwischen nicht mehr nur ein einfacher Fussballklub, sondern schon lange auch ein Wirtschaftsimperium. Präsident Yıldırım hatte sich 1998 bei Fenerbahçe eingekauft und seitdem den Wert des Klubs rapide gesteigert. Der Börsenwert lag 2010 bei über 500 Millionen US-Dollar. Der Vorstand forderte, bis zur Verkündung eines Urteils keine weiteren Informationen von Seiten der Anklage an die Medien weiterzugeben, da die Aktien des Vereins bereits sanken.
Auch der Anwalt von Präsident Yıldırım zeigt sich besorgt um den Schaden, der dem Club durch die Untersuchungen erwächst: »Vereinspräsident Yıldırım und die anderen Manager haben ein ruhiges Gewissen. Sie sind aber natürlich besorgt, dass das Ansehen des Vereins Schaden nehmen könnte.« Die Bestechungsaffäre betrifft aber nicht nur Fenerbahçe, sondern fast alle Klubs der »Süper Lig«.
Nur 10 Tage nach den ersten Verhaftungen, am Morgen des 13. Juli, ließen die Ermittler verlauten, auch mit Angehörigen des Fußballvereins Beşiktaş sprechen zu wollen. Vorstandsmitglied Serdal Adalı, Stadionmanager Ahmet Ateş und Trainer Tayfur Havutçu waren zu dem Zeitpunkt im Sommertrainingscamp des Vereins in Österreich. In Adalıs Privatjet flogen die drei zum Verhör nach Istanbul. Sie waren sich sicher, nur zu einer kurzen Zeugenbefragung geladen worden zu sein und baten den Piloten, startbereit am Flughafen zu warten.
»So etwas passiert sonst nur in Polizeistaaten«
Doch dann kam alles ganz anders: der Jet musste zurück in den Hangar, denn alle drei wurden vom Staatsanwalt verdächtigt, im Abschlussspiel des türkischen Pokals bestochen zu haben. Gemeinsam mit zwei Spielern von Istanbul İBB, İbrahim Akın und İskender Alın, wurden sie direkt in Untersuchungshaft gebracht. Das Problem: der private Manager der zwei Spieler hatte Beşiktaş außerhalb der Transferzeit kontaktiert und der Verein hatte Interesse an einem Wechsel gezeigt. Dies wurde den Beteiligten nun als eine Form indirekter Bestechung im Spiel Beşiktaş-İBB vorgeworfen.
Beşiktaş Vorstandsmitglied Yalçın Karadeniz erklärte: »Das ganze Spiel war transparent, die ganze Türkei hat es im Fernsehen verfolgt. Die Transfergespräche wurden lange Zeit vor dem Spiel geführt. Bezüglich der zwei İBB-Spieler, die auch verhaftet wurden: Die ganze Türkei hat gesehen, wie sie sich für ihren Verein IBB eingesetzt haben. İbrahim Akın hat ein Tor geschossen, İskender Alın hat einen Elfmeter verwandelt, auch wenn dieser vom Schiedsrichter nicht anerkannt wurde. Wir glauben an die türkische Justiz und wir sind überzeugt davon, dass die verhafteten Beşiktaş-Angehörigen unschuldig sind.«
Die Türken sind aber nicht nur besorgt über den Skandal, sondern auch darüber, wie von offizieller Seite damit umgegangen wird. So fragen sich viele, warum für einen Bestechungsskandal derselbe Gerichtshof zuständig sein muss wie für den so genannten Ergenekon-Prozess. Bei diesem ging es zunächst um Militärangehörige, denen vorgeworfen wurde, einen Umsturz zu planen.
In letzter Zeit werden jedoch auch mehr und mehr unliebsame Kritiker und Oppositionelle im Rahmen der Ermittlungen verhaftet und teilweise monatelang ohne Anklage in Untersuchungshaft festgehalten. Yüksel Günay, ein hoher Beşiktaş-Funktionär, spielte in einer Presseerklärung auf die Form der Beweisbeschaffung durch abgehörte Telefonate an: »Ich kann sagen, das ist wirklich eine hässliche Situation. So etwas passiert sonst nur in Polizeistaaten.«
Die Sondergerichtshöfe wurden 2004 im Kampf gegen Terror und organisiertes Verbrechen installiert. Sie haben das Recht, die Telefongespräche abzuhören und Verdächtige bis zu drei Jahre in Untersuchungshaft zu stecken. Viele im Land vermuten, der zuständige Staatsanwalt Mehmet Berk wolle einmal »gründlich saubermachen« und nehme es dafür mit der Terrordefinition nicht so genau.
Bislang zahlt der Pay-TV Sender Lig TV pro Jahr 330 Millionen Euro für Übertragungsrechte
Anfang Dezember 2011 legte Berk dem Gericht die 401-seitige Anklageschrift vor. Zu ihrer Verlesung, die drei Tage in Anspruch nahm, waren extra professionelle Sprecher des staatlichen Fernsehsenders TRT engagiert worden. Anfang Februar dieses Jahres begann der Prozess gegen 93 Spieler, Manager, Trainer und Schiedsrichter aus dem Fussballbetrieb. Der Hauptangeklagte, Fenerbahçe-Präsident Yıldırım, hätte im Falle im Falle einer Verurteilung in allen Punkten eigentlich über hundert Jahre Haft zu erwarten gehabt. Doch bis zu Prozessbeginn hatten alle Parteien im türkischen Parlament einer Gesetzesänderung bereits zugestimmt.
Die Höchststrafe pro Anklagepunkt wurde von 12 auf drei Jahre reduziert, Verdächtige können zudem außerhalb des Gefängnisses die Urteilsverkündung abwarten. Aber auch das Verhalten des Fußballverbandes erregt den Volkszorn. Der Präsident konnte die Konflikte in der türkischen Liga und der permanenten gegenseitigen Schuldzuweisungen nicht befrieden und trat am 31. Januar 2011 zurück. Seit März 2012 hat Demiören, der ehemalige Präsident des hochverschuldeten Vereins Beşiktaş, das Amt inne.
Erst im Mai, nach langen 10 Monaten, legte sein Verband den Abschlussbericht vor und stellten fest: es gab keine Manipulation auf dem Platz. Allein einigen Einzelpersonen wurde Fehlverhalten bescheinigt: İbrahim Akın von Istanbul İBB wird für drei, Serdar Kulbilge von Ankaragücü für zwei Jahre gesperrt. Acht Funktionäre erhielten weitere Strafen. Die 16 betroffenen Clubs wie auch Fenerbahçe-Präsident Yıldırım wurden hingegen von jeglichem Verdacht freigesprochen.
Selbst eingefleischte Fans haben Schwierigkeiten, das zu glauben. Und auch Verbandspräsident Demirören relativiert: »Sollte es in der vergangenen Saison Betrugsversuche gegeben haben, hätten sich diese zumindest nicht auf das Ergebnis der Spiele ausgewirkt.« Premierminister Erdoğan hingegen rechtfertigte die Entscheidung des Verbandes: »Personen müssen bestraft werden, nicht Vereine. Wenn man die Clubs bestraft, dann werden auch Millionen von Fans bestraft, die mit ihren Herzen an diesen Vereinen hängen.«
Mag sein, dass auch wirtschaftliche Überlegungen eine Rolle gespielt haben. Wäre Fenerbahçe, der beliebteste Clubs des Landes, zwangsabgestiegen, hätte das auch erhebliche finanzielle Einbußen für die türkische Fußballlandschaft bedeutet – bislang zahlt der Pay-TV Sender Lig TV pro Jahr circa 330 Millionen Euro, um sich die Übertragungsrechte zu sichern. Außerdem glauben viele, der Skandal solle unter den Teppich gekehrt werden, um ja nicht die Bewerbung der Türkei für die Ausrichtung der Europameisterschaft 2020 in diesem Jahr zu gefährden. 2008 hatte das Land die Abstimmung mit nur einer fehlenden Stimme knapp verpasst.
»Die Entscheidung des Verbandes ist ein Witz«
Der Verband verkündete Anfang Mai zudem eine Änderung von Paragraph 58 ihres Statuts. Nur noch erfolgreiche Täuschung wird mit Zwangsabstieg bestraft. »Belässt« es ein Verein hingegen beim Versuch, so hat er nur Punktabzug oder eine Geldstrafe zu befürchten. Weitere Manipulationsversuche im türkischen Fußball sind daher mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten.
Besonders Trabzonspor, der Klub, der im Kampf um die Meisterschaft gegen Fenerbahçe das Nachsehen hatte, ist über die Entscheidung erbost und forderte gemeinsam mit Spitzenclub Galatasaray, den amtierenden Meister Fenerbahçe endlich in die zweite Liga zu verbannen: »Die Entscheidungen des Verbands sind eine Beleidigung für die Intelligenz der türkischen Öffentlichkeit sowie eine Ignoranz der Gerechtigkeit.
Der Verband hat den gesamten türkischen Fußball einer großen Gefahr unterstellt und muss nach unserer Ansicht unbedingt zurücktreten!« Auch der Vorgänger von Präsident Demirörens kritisiert den Beschluss scharf: »Die Entscheidung des Verbandes ist ein Witz, damit werden sie bei der UEFA nicht durchkommen.« Die UEFA gibt sich jedoch überraschend wortkarg und ließ verlauten, bis zu einer Entscheidung des Gerichts wären türkische Teams bei internationalen Spielen zugelassen. Mag sein, dass der UEFA nicht bekannt ist, dass sich türkische Gerichtsverfahren häufig über Jahre hinziehen.