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Das Dritte Reich und die Muslime

Der Feind meines Feindes

Feature

Volker Koop schildert in »Hitlers Muslime« eine spannende, bisher wenig beachtete Seite des Dritten Reichs: Den Versuch der NS-Führung, Islam und Muslime für die eigenen Kriegsziele zu instrumentalisieren.

Eine bekannte Devise der Politik lautet: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Daher überrascht es wenig, wenn man liest, dass die Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg eifrig Kontakt zu Muslimen suchten – sowohl zu jenen in den von ihnen besetzten Gebieten als auch zu solchen, die außerhalb ihres Machtbereichs lebten.

 

Für die Nazis hatten Muslime dieselben Feinde wie sie selbst: den russischen Kommunismus, den englisch-französischen Imperialismus, vor allem aber die Gefahr, die ihrer Meinung nach von den Juden ausging. Man kennt die Aufnahmen von Treffen zwischen Hitler und Amin al-Husseini, dem Mufti von Jerusalem, oder von bosnisch-muslimischen Soldaten der Waffen-SS, der Division »Handschar«, mit Totenköpfen auf den Fezen.

 

Doch was die wirklichen Gründe der NS-Führung waren, sich um die Muslime in Osteuropa, in der Sowjetunion und der islamischen Welt zu bemühen, und wie die Zusammenarbeit dann im Alltag vor und hinter der Front aussah, das ist meist wenig bekannt. »Hitlers Muslime. Die Geschichte einer unheiligen Allianz« nennt Volker Koop sein neuestes Buch, das diese Wissenslücke schließen will.

 

Die gut 280 Seiten umfassende Darstellung des 1945 geborenen freien Journalisten, der bereits zahlreiche Arbeiten zur NS-Zeit vorgelegt hat, macht dabei von Anfang an das ambivalente Verhältnis der Nazis zu dieser Religion und ihren Gläubigen deutlich. »Der Islam übte«, so schreibt er, einerseits »eine irrationale Faszination auf führende Nationalsozialisten aus.

 

Hitler schwärmte vom muslimischen Himmel, der ihm so viel lebhafter schien als der christliche, und Heinrich Himmler, der Reichsführer-SS, sah in Muslimen die idealen Soldaten, die mit Fanatismus kämpften und mit ihrem Tod im Kampf als Märtyrer schnurstracks in den Himmel gelangten.« Andererseits gab es bei den Nazis »keinen Zweifel an der ›Überlegenheit des Deutschtums‹ über Muslime, unabhängig von ihrer Herkunft«.

 

Koop führt wiederholt Äußerungen von NS-Funktionären, auch Hitler, an, die die Skepsis, Geringschätzung, ja Verachtung gegenüber Muslimen zum Ausdruck bringen.

 

Die Turkvölker des Kaukasus und Zentralasiens sollten die Reihen an der Ostfront auffüllen

 

Angesichts der Ausweitung des Zweiten Weltkriegs nach Südosteuropa und in die Sowjetunion und der daraus folgenden hohen Verluste unter den Wehrmachts- und SS-Angehörigen waren die Nationalsozialisten aber zunehmend darauf angewiesen, ihre Reihen mit nichtdeutschen Truppen aufzufüllen. »Allein zur SS waren bis Ende 1944 rund 150.000 ›fremdvölkische‹ Soldaten, meist muslimische, einberufen worden.«

 

Diese stammten vor allem aus der großen Masse an sowjetischen Soldaten, die die Deutschen gefangen genommen hatten und aus denen sie die Muslime systematisch heraussuchten. »Die besonderen Sympathien des NS-Regimes genossen«, so Koop, »die muslimischen Bewohner Turkestans«. Das umfasst das Gebiet in Zentralasien, das sich vom Kaspischen Meer bis zur Wüste Gobi erstreckt und zu dem Turkmenistan, Usbekistan, Kirgistan und Tadschikistan, der Norden Afghanistans, der Süden Kasachstans und die chinesische Provinz Xinjiang gehören.

 

Hinzu kamen die Turkvölker im Kaukasus, etwa die Aserbaidschaner und Mescheten, und schließlich die Tataren auf der Krim. Sie hatten nach der Besetzung durch die Bolschewiki nach dem Ersten Weltkrieg nicht nur ihre kurzzeitige Selbstständigkeit verloren. Unter Stalin wurden sie auch ihrer gemeinsamen kulturellen Identität beraubt, etwa indem jedem Volk einen eigenes, erst lateinisches, dann kyrillisches Alphabet verordnet und ihr Glaube unterdrückt wurde.  

 

Koop schildert detailreich und in langen Zitaten, wie die Wehrmacht so genannte Ostlegionen mit »turkvölkischen« Soldaten aufbaute und an und hinter der Ostfront einsetzte. Im Rahmen des »Unternehmen Zeppelin« wurden sogar kriegsgefangene sowjetische Muslime zu Agenten ausgebildet, die hinter den feindlichen Linien Sabotageakte verüben sollten. Die Aktion hatte aber kaum Erfolg, da nur wenige Muslime zum Einsatz kamen.

 

»Ich habe ein Interesse daran, dass sie streng gläubig sind«, so Himmler 1943

 

Bei der Lektüre wird indes wiederholt deutlich, mit welcher Akribie die NS-Führung den Plan verfolgte, Muslime für die angeblich gemeinsame Sache zu gewinnen. Zwar versprachen die Deutschen den Turken nach einem Sieg über die Sowjets Freiheit und Souveränität. Doch Dokumente belegen, dass die Nazis politische und kulturelle Unabhängigkeit nie ernsthaft in Erwägung zogen.

 

Im Gegenteil sollten die Turkvölker laut einem Plan Himmlers für die Zeit nach dem Krieg in eine »friedliche und für uns gegenüber waffenlose Form« und zwar zu Buddhisten, die Nichtturken zu Bibelforschern, »umerzogen« werden. Die »turkvölkischen« Soldaten, Offiziere und Politiker dienten dabei nicht zuletzt deshalb in den »Ostlegionen« oder den »Nationalkomitees«, die als offizielle Vertretungen von der Reichsregierung installiert wurden, weil ihnen im Fall eines sowjetischen Sieges der Tod drohte, da Stalin alle, die in die Hände der Deutschen fielen, des Verrats bezichtigte.

 

In einer ähnlich schwierigen Situation befanden sich auch die bosnischen Muslime. Koop zeigt anschaulich, wie Wehrmacht und SS auch deren Notlage – zwischen den verfeindeten Kroaten und Serben – für ihre eigenen Ziele ausnutzten. Dafür wurde ein enormer Aufwand betrieben, nicht nur die oft divergierenden Interessen der Deutschen, Kroaten, Bosniaken und Italiener zufrieden zu stellen, sondern später auch den Dienst der muslimischen Legionäre detailliert zu regeln: »Berücksichtigt wurden islamische Sitten, die Bekleidung und Verpflegung sowie auch die Begräbnisriten.

 

Himmler selbst schaltete sich häufig in solche Fragen ein.« Den Muslimen wurden »Feldimame« zur Seite gestellt, am Kriegsende noch Institute in Dresden und Guben gegründet und Kurse an der Universität Göttingen gegeben. Es wurden Geistliche ausgebildet, die Soldaten in Religion und Weltanschauung unterrichten sollten. »Ich habe ein Interesse daran, dass sie streng gläubig sind«, so Himmler 1943 vor Reichs- und Gauleitern in Posen.

 

Einer, der sich nicht nur in diesen Fragen rund um die Turkvölker und die Bosniaken einschaltete, sondern für die NS-Führung auch eine entscheidende Rolle dabei spielte, die arabischsprachigen Muslime für die vermeintlich gemeinsamen Kriegsziele zu gewinnen, war der Mufti von Jerusalem, Mohammed Amin al-Husseini (1893-1974). Er wird in »Hitlers Muslime« ausführlich behandelt.

 

Bereits in den 1930er Jahren hatte er den Kontakt zur NS-Regierung gesucht. Diese aber hielt sich mit einer Annäherung an den palästinensischen Nationalisten zurück. Erst mit Kriegsbeginn wurde die Zusammenarbeit mit al-Husseini, der ab 1941 in Berlin lebte, intensiver. Doch »an ihm schieden sich unter den Nationalsozialisten die Geister.

 

Besonders militärische Kreise schätzten ihn nur in begrenztem Maße, wie aus zahlreichen abfälligen Äußerungen hervorgeht, während vor allem der Reichsführer-SS seine schützende Hand über ihn hielt.« Das ambivalente Verhältnis zu dem arabischen Politiker, der die Juden aus Palästina vertreiben und seine Heimat in die Eigenständigkeit führen wollte, ist – das wird im Buch mehrfach deutlich – auch ein Indikator dafür, wie stark die Gegensätze zwischen Wehrmacht, SS und auch Auswärtigem Amt im Krieg waren.

 

Der Mufti von Jerusalem wollte der alleinige Ansprechpartner der Deutschen für den arabischen Raum sein

 

Al-Husseini nutzte seine Kontakte und Einflussmöglichkeiten, um Konkurrenten im Kampf um die politische Führerschaft auszuschalten, so etwa den irakischen Ministerpräsidenten Raschid al-Gailani (1892-1965), der nach einem gescheiterten pro-deutschen Putsch 1941 im Irak nach Deutschland geflohen war.

 

Der Mufti von Jerusalem wollte der alleinige Ansprechpartner der Deutschen für den arabischen Raum sein, siegte, wurde aber durch seinen Zwist mit al-Gailani zugleich mit dafür verantwortlich, dass der Plan zur Aufstellung eines »Arabischen Freiheitskorps« misslang und »die wenigen ausgebildeten arabischen Freiheitskämpfer sich schließlich im Kaukasus wiederfanden, statt auf arabischem Boden gegen die britische Kolonialmacht zu kämpfen«.

 

Der Geistliche setzte den Achsenmächten mehrfach eigene Schreiben vor, in denen diese die »Unabhängigkeit und Freiheit der gegenwärtig unter britischer Unterdrückung leidenden arabischen Länder« mit ihrer Unterschrift bekräftigen und bereit sein sollten, »die jüdisch-nationale Heimstätte in Palästina zu beseitigen, die gegen die Interessen der arabischen und islamischen Welt gerichtet ist«.

 

Auch wenn die deutschen Stellen den von ihnen als »Großmufti« titulierten al-Husseini propagandistisch und finanziell unterstützten. Sie waren aufgrund ihrer eigenen politischen Zukunftspläne für die ölreiche und geostrategisch bedeutende Region nicht bereit, sich auf diesen Deal einzulassen.

 

In seiner »Geschichte einer unheiligen Allianz« geht Volker Koop noch anderen Versuchen der Nationalsozialisten nach, den Islam für ihre Ziele zu missbrauchen, so durch die von Anfang zum Scheitern verurteilte Idee, den deutschen »Führer« den Muslimen, insbesondere den schiitischen Iranern, als den zwölften Imam, den Mahdi, zu verkaufen, also die messianische Gestalt, die nach dem Glauben der Schiiten im Verborgenen lebt, einst aber zurückkehren wird, um die Welt zu retten.

 

»Hitlers Muslime« liefert viele Informationen zu einer spannenden, bis eher wenig beachteten Seite des Dritten Reichs. Es nutzt dafür auch Dokumente, die hier erstmals veröffentlicht werden. Die langen Zitate, die den Lesefluss teilweise beeinträchtigen, worauf der Autor im Nachwort selbst eingeht, geben andererseits die Stimmungslage im Originalton plastisch wider. Koop gelingt es insbesondere in den Kapiteln, in denen er die schwierige Zusammenarbeit der Nazis mit den Turkvölkern, Bosniaken und Arabern beschreibt, den Leser nah ans Geschehen zu führen.

 

Die Aktivitäten der NS-Führung zwischen 1933 bis 1939 bleiben an der Oberfläche

 

Man merkt den Widerwillen der Nazis, »fremdvölkische« Soldaten in ihre Reihen aufzunehmen und so »rassische Durchmischung« zu riskieren. Aber auch die Situation, in der sich die muslimischen Soldaten befanden, wird gut veranschaulicht. Diese kämpften meist in der Hoffnung auf eine freie Heimat nach dem Krieg, wohingegen das NS-Regime in ihnen lediglich Kanonenfutter sah, das die gefallenen deutschen Soldaten ersetzen sollte.

 

»Letztlich wurden auch die Muslime von den Nationalsozialisten getäuscht und missbraucht – wie Millionen andere auch«, resümiert der Autor. Da sich Koop auf die Aktivitäten der NS-Führung in der Kriegszeit konzentriert, bleiben jene zwischen 1933 bis 1939 an der Oberfläche.

 

Er behandelt zwar in einem Kapitel die »Geschichte der Muslime in Deutschland«, doch ist es dabei etwa der in der Zwischenkriegszeit ausgefochtene Streit zwischen den beiden etabliertesten muslimischen Organisationen, der »Islamischen Gemeinde zu Berlin« und der »Ahmadiyya Anjuman Inshaat-i-Islam, Lahore«, der ihn beschäftigt.

 

Spannender und auch ertragreicher wäre es gewesen, die deutsche Politik ab 1871 gegenüber islamischen Staaten wie dem Osmanischen Reich, Iran, Afghanistan und später auch den englisch-französischen Einflussgebieten Ägypten, Irak und Syrien zu untersuchen – gerade weil sich Deutschland seit der Zeit Kaiser Wilhelms II. als Freund der islamischen Welt präsentierte.

 

So wären die Kontinuitäten und Brüche in der Berliner Orientpolitik nach 1933 klarer hervorgetreten. Denn die Bemühungen der Deutschen begannen nicht erst mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Im Iran etwa fand die NS-Führung bereits früh einen politischen, wirtschaftlichen und auch ideologischen Partner.

 

Reza Pahlavi, 1925 von den Briten auf den Thron gebracht, wendete sich nach 1933 mit einer pro-nazistischen Politik verstärkt Berlin zu. Es war nicht zuletzt seine Zusammenarbeit mit den Deutschen, die dazu führte, dass der ölreiche Iran im August 1941 von Briten und Sowjets besetzt und er von den Alliierten gezwungen wurde, abzudanken.

Von: 
Behrang Samsami

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