Wie auch schon im Februar scheint sich Kairo zu teilen. So fanden am Freitag gleich drei Demonstrationen statt. Und das Militär? – baut eine Mauer.
Die wohl größte Demonstration blieb der Tahrir, auf dem seit nun mehr als einer Woche Zehntausende Menschen für den Sturz der Militärregierung demonstrierten. Aber auch am Abbasseyya-Platz sammelten sich Tausende Menschen, um wiederum der Militärführung ihre Loyalität zu bekunden. Der letzte Protest, der eigentlich keiner war, denn niemand ging hin, wurde von den Muslimbrüdern organisiert. Solidarität zur Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem sollte er ausdrücken. In Wahrheit war er ein verzweifelter Versuch der Muslimbruderschaft, Sympathien zurückzugewinnen, die sie während der blutigen Auseinandersetzungen in Kairo verloren hatte. Die Brüder hatten sich nicht, wie beispielsweise die Salafisten, solidarisch auf die Seite der Demonstranten gestellt, sondern weiterhin ihre Wahlkampagne vorangetrieben.
Stacheldraht und eine Mauer versperren den Zugang
Das Militär hat eine Mauer gebaut. Mitten auf der hart umkämpften Mohammad-Mahmoud-Straße steht sie. Tagelang hatten sich hier, nur eine Straße vom Innenministerium und dem Parlament entfernt, Demonstranten und Polizei erbitterte Kämpfe geliefert. Massive Sandsteine übereinander gestapelt, versperren nun den Durchgang. Auf der Mauer haben sich Ärzte platziert. Dahinter steht das Militär. Die Seitenstraßen und Zugänge auf diese Straße, mit Stacheldraht gesichert. Und überall stehen sie wieder, die Panzer.
Über die Frage, wer vor wem geschützt werden muss, sind sich Tahrir-Demonstranten und das Militär uneins. Dabei zeigten die vergangenen Tage einen Exzess der Gewalt seitens der Kräfte des Innenministeriums, der »Al-Amn Al-Markazi« (CSF) – und das Militär schaute zu. Es schaute zu, als CSF-Kräfte Unmengen an hochgefährlichem CS-Gas auf Demonstranten schossen, mit Gummigeschossen gezielt auf die Augen der Demonstranten zielten, einige gezielt erschossen und Mona El Tahawi, eine bekannte Journalistin, festnahmen, ihr die Arme brachen und sie schwer sexuell belästigten. Bei all dem schaute das Militär zu. Und manchmal nahm es sogar daran teil.
Stellenweise schien es, als hätte das Militär die Kontrolle über das Innenministerium verloren. Oder wollten sie die Gewalt der Kräfte des Innenministeriums gegen Demonstranten nicht stoppen? Beispielsweise als der Waffenstillstand am Mittwoch von CSF-Kräften gebrochen wurde. Seit den Mittagsstunden war es ruhig gewesen. Die Scheichs der Azhar hatten einen Waffenstillstand ausgehandelt und vor dem Parlament standen sich nun Demonstranten und die »Al-Amn Al-Markazi« Auge in Auge gegenüber – oder fast. Das Militär hatte sich zwischen die beiden Fronten gestellt. Oder doch schützend vor die langen Reihen der schwarz gekleideten CSF-Kräfte? Denn die Augen und Panzer des Militärs zielten unentwegt auf die Demonstranten. Ausgerechnet als sich Demonstranten zum Beten niederknieten, eskalierte die Situation. Aus den Reihen der CSF-Kräfte und über die Köpfe des Militärs flog das CS-Gas und tauchte die Betenden in Nebel. Der Kampf war wieder eröffnet – brutaler denn je.
Der Armeerat erklärt die Welt…
Am Donnerstag, ein erneuter Waffenstillstand, war gerade erst verhandelt worden, verkündetet General Mukhtar Al-Mulla auf einer Pressekonferenz, dass zu keiner Zeit scharf auf Demonstranten geschossen wurde. Das Militär trage zwar ausschließlich scharfe Waffen, würde diese aber nie »gegen einen ägyptischen Bürger« richten – Es sei denn, dieser mache sich strafbar. Wer Beweise hat, dass scharf geschossen wurde, so der Offizier, solle sich an die Staatsanwaltschaft wenden. Die würde diesen Vorwürfen dann nachgehen. »Und überhaupt, warum gehen diese Leute denn in die Seitenstraßen des Tahrirs, wenn sie doch wissen, dass dort bewaffnete Soldaten stehen?«, empört sich Al-Mulla. Man verleugnet ja nicht, dass stellenweise die Menschenrechte untergraben wurden, aber das permanente Gerede von den Menschenrechten, wettert Al-Mulla weiter, »gelten die etwa nicht für die Polizisten, die von diesen Leuten angegriffen werden? Es heißt ja schließlich Menschen-Recht, schließt das die Polizisten nicht mit ein?«
Das Militär gibt sich die größte Mühe, das Land zu führen, so al-Mulla. Man solle nicht glauben, dass die Regierungsgeschäfte zu führen eine Freude sei. Im Gegenteil, eine Last sei es. »Statt zu demonstrieren, dem Militär die Arbeit schwer zu machen und den demokratischen Prozess aufzuhalten«, schlägt der Offizier vor, sollten sich alle politischen Kräfte auf die Wahlen konzentrieren. Gekonnt betont al-Mulla die Verpflichtung des ägyptischen Militärs gegenüber dem ägyptischen Volk. Die Regierungsgeschäfte in solch schweren Zeiten einfach abzugeben, so der General, würde heißen, sich aus der Verantwortung zu schleichen. »Wir sind die einzige Kraft im Land, die Ägypten schützen kann. Wie war das denn im Februar, als das Chaos ausbrach?! Da hat auch jeder nach uns gerufen«, erinnert der General.
General Al- Mulla hat seine Worte sehr gut gewählt. Spitzen gegen »diese Leute«, die die Läden zerstören, und »die«, die Polizisten angreifen und auf sie schießen, wechseln sich mit Verständnisbekundungen für »die Anderen«, die »nationalistischen« Menschen, die friedlich auf dem Tahrir demonstrieren und Lobeshymnen auf das »tapfere ägyptische Volk«, das im Februar auf die Straße zog, um den Diktator zu stürzen, diejenigen, die Ägypten lieben und das Wohl Ägyptens in die Hände des Militärs legen. Man dürfe nicht vergessen, verkündet der General selbstbewusst, dass der Tahrir nicht Ägypten ist. »Die Mehrheit der Bevölkerung steht hinter uns.« Und damit hat er Recht. Denn das Teile-und-Herrsche-Prinzip beherrschen die Offiziere, wie ihr Vorgänger Mubarak, perfekt.
Mit der Kontrolle über das Staatsfernsehen hat das Militär alle Trümpfe in der Hand, denn noch immer verlassen sich viele Ägypter auf die staatliche Berichterstattung (oder haben nicht die finanziellen Mittel, um die privaten Kanäle per Satellit zu empfangen), die unentwegt Geschichten über ausländische Interventionen senden, die von amerikanischen Studenten erzählen, die festgenommen wurden, als sie angeblich Molotov-Cocktails warfen oder Statements des Militärs, laut denen Demonstranten auf dem Tahrir im Ausland trainiert wurden.
… und spaltet das Land
Gerechtigkeit ist ein Luxus, den sich viele auf dem Abbasseyya-Platz nicht leisten können. Viele sind zum ersten Mal auf einer Demonstration, manche waren schon im Februar auf dem Tahrir dabei, aber alle haben sie genug. »Diese ständigen Demonstrationen müssen aufhören! Sie halten das Land auf und zerstören die Wirtschaft!«, erklärt ein Mann, ein Lehrer. Es ist die Angst, die die Demonstranten auf die Demonstration treibt. Angst um ihre Arbeit, Angst um ihre Kinder, Angst vor dem unbekannten Feind.
Es sind tief greifende Ängste, die angesprochen werden, wenn das Militär den Propagandaprügel auspackt. Die Taktik des Militärs ist eine perfekte Fusion von Propaganda des Staatsfernsehens, die auf Angst und ein nicht vorhandenes Bildungssystem trifft. Dabei wiegt die Angst vor ausländischer Intervention am schwersten. Man will nicht von Amerika regiert werden, oder schlimmer noch, Israel, und schon gar nicht will man von Mohammed El Baradaei regiert werden, »dem Funktionär der Amerikaner«, dem Mann, »der den Irak zerstörte«.
Sie stehen hinter Tantawi. »Anan [Sami Anan, der zweite Mann hinter Tantawi, dem Vorsitzenden des Obersten Militärrats], sag Tantawi, das ägyptische Volk steht hinter ihm!«, ruft die Menge auf dem Abbasseyya-Platz. Schließlich hatte General al-Fangari schon zu Beginn der Proteste, natürlich über das Staatsfernsehen, verkünden lassen, dass der richtige Ägypter nicht auf dem Tahrir-Platz steht, sondern vor dem Fernseher daheim sitzt.
Die Demonstranten auf dem Tahrir? »Verbrecher! Sie greifen die Polizei an! Die Polizei, die sich um unsere Sicherheit kümmert!«, ist der Mann ist außer sich. »Es gibt Leute, die wollen Essen und Leben! Wir müssen Arbeiten!«, schreit er weiter. Jeder möchte etwas sagen. Die Frau, die ihren Mann im Krieg 1973 verloren hat, der Rentner oder der Werkstattbesitzer. »Wir sind die Ägypter. Nicht die! Das sind Funktionäre! Sie brennen Ägypten ab!«, schreit eine andere Frau hysterisch. Sie wollen gehört werden. Bislang galt die gesammelte Aufmerksamkeit der nationalen und internationalen Presse dem Tahrir. »Wir sind hier! Wo ist Al-Jazeera!«, feuert ein junger Mann die Menge an, die enthusiastisch mit einstimmt. »Das Militär und die Polizei schützen das ägyptische Volk!« skandieren sie.
Kritische Polit-Talker aus dem Privatfernsehen werden verachtet. »Die sind alle vom Ausland bezahlt. Wo leben die denn? Willst du wissen, wie ich lebe? Ich bin Ägypter! Die sind Funktionäre!«, schreit er und haut mit dem Schuh auf das Plakat ein, auf dem Yousri Fouda, Reem Magued, Ibrahim Eissa, Mona El-Shazli und andere Gallionsfiguren der unabhängigen ägyptischen Medienlandschaft abgebildet sind.
Eine Stadt streitet: Wahlen oder Freiheit
So wie sich die Demonstranten auf dem Abbasseyya-Platz einig sind, dass man am Montag wählen gehen wird, wissen die Demonstranten auf dem Tahrir, dass man dem Ruf des Militärrats nach Einhaltung des Wahltermins nicht nachkommen wird. »Diese Wahlen sind eine Farce«, erzählt Sherif. »Noch vor ein paar Tagen haben sie uns umgebracht und jetzt sollen wir wählen?« Wahlen zu diesem Zeitpunkt abzuhalten scheint unmöglich für Ägypter auf dem Tahrir. Denn nicht nur die Wahlbedingungen sondern auch das Wahlverfahren lässt zu wünschen übrig. Die Mehrheit der ägyptischen Bevölkerung versteht das komplizierte Wahlverfahren nicht. Und damit stehen sie nicht alleine da, denn auch viele politische Analysten tun sich schwer, die Mixtur aus Direkt- und Listenwahl, mit einem Schuss persönlichen Ernennungen, zu verstehen.
Zusätzlicher Reibepunkt der Wahlkritiker ist auch der lange Wahlprozess. Über einen Zeitraum von drei Monaten soll gewählt werden, wobei vielerorts die Wahlergebnisse bekannt gegeben werden, wenn ein anderer Teil Ägyptens noch gar nicht abgestimmt hat. Das ganze Szenario gleicht einem Pulverfass mit sehr kurzer Zündschnur. »Wie wollen sie denn die Sicherheit des Wählers garantieren? Sollen uns etwa Soldaten und CSF-Kräfte schützen? Das empfinde ich eher als eine Bedrohung, denn als Schutz«, argumentiert Sherif weiter.
Während die beiden Protestlager ihre Standpunkte klar definiert haben, streiten Politiker, politische Analysten, Parteien und Organisationen weiter darüber, was nun der richtige Weg ist, um Ägypten aus der Krise zu helfen. Wahlen und dann den Militärrat absetzen oder erst den Militärrat absetzen und dann wählen. Insbesondere aber politische Parteien wie die Muslimbrüder drängen für eine schnelle Wahl und kämpfen weiterhin, mit Essenspaketen, die ihr Logo tragen, erbittert um die Stimmen der Armen.
Freut sich am Ende immer der Dritte …
Am Montag reichte die Regierung von Premier Essam Sharaf geschlossen ihren Rücktritt ein. Jetzt soll es Kamal El Ganzouri richten – der dritte Premier in neun Monaten. Das Militär verbraucht seine Premiers schnell. El-Ganzouri, der jahrelang unter Mubarak diente, der von 1996 bis 1999 sogar Premierminister war, soll Ägypten jetzt sicher über die Wahlen bringen. Wie El-Ganzouri der Presse mitteilte, soll ihm der Militärrat mehr Entscheidungsbefugnisse als der vorherigen Regierung zugesprochen haben. Trotzdem, die Tahrir-Gemeinschaft lehnt diesen Vorschlag des Militärs ab, auch und insbesondere weil es El-Ganzouri nicht schaffen wird, noch vor den Wahlen am Montag, ein neues Kabinett zu benennen.
Alleinige Aufsicht hat also erneut das Militär. Stattdessen fordern die Demonstranten auf dem Tahrir eine »Regierung der Rettung«, die den Obersten Militärrat mit sofortiger Wirkung ersetzen soll. Leiten soll diese Regierung Mohammad El Baradaei. Die Wahlen sollen verschoben werden – nur für zwei Wochen, bis sich die Lage im Land wieder beruhigt hat, denn überall im Land protestieren die Menschen.
… oder verlieren am Ende doch alle?
Eine verfahrene Situation. Keiner traut mehr dem Anderen. Immer öfter hört man die Worte »die« und »wir« und während man sich gegenseitig für die Vorfälle der vergangenen Tage beschuldigt, gießen immer weitere Meldungen Öl in das ägyptische Feuer. So wundern sich Tahrir-Demonstranten, warum nur ihre Demonstration an chronischer sexueller Belästigung leidet. Zu Tausenden sind ägyptische Frauen auf den Tahrir geströmt und immer mehr beklagen sich über sexuelle Belästigung, die viele der Demonstrantinnen mittlerweile als organisiert beschreiben. »Sie wollen uns damit abschrecken aber das gelingt ihnen nicht! Wir sind stärker, als die glauben. Wir haben keine Angst!«, sagt Mona, eine junge Frau auf dem Tahrir, die aber vorsichtshalber trotzdem mit ihrem Mann gekommen ist. Am Freitagabend wurde zudem öffentlich, dass nicht nur Blogger und Wahlkandidat Mahmoud Salem angegriffen wurde, sondern auch ein weiterer liberaler Kandidat, Abdallah Farag, nach einer Messerattacke im Krankenhaus liegt.
Angesichts solcher Nachrichten stehen die Wahlen unter einem denkbar ungünstigen Stern. Mit welchem Ergebnis auch immer diese Wahlen enden werden, die Legitimität dieser Wahlen wird in jedem Fall infrage gestellt. Zur Stunde sollen sich die Präsidentschaftskandidaten Mohammad El Baradaei und Amr Moussa mit dem Vorsitzenden des Militärrats Hussein Tantawi treffen. Vielleicht schaffen sie es ja, das Land wieder zu befrieden.
Wie lange die Mauer im Herzen Kairos noch stehen wird, bleibt offen. Viel gewichtiger scheint aber die Frage, wie lange die Mauer zwischen den Ägyptern noch stehen wird und wann das von Ex-Präsident Mubarak prophezeite Chaos ein Ende haben wird.