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Die Bomben von Boston

Eine Frage der Haltung

Kommentar

Die Bomben von Boston haben gezeigt, dass es keinen Sieg über den Terror gibt. Anschläge lassen sich nicht gänzlich verhindern. Wir können dem Terror daher nur mit Haltung begegnen, meint Florian Peil.

Mit bemerkenswerter Schnelligkeit haben die amerikanischen Sicherheitsbehörden den Anschlag von Boston aufgeklärt. Die USA feiern den Fahndungserfolg als Sieg über den Terror. Doch tatsächlich kann von einem Erfolg nicht die Rede sein. Vielmehr markiert Boston eine klare Niederlage der USA in diesem Kampf. In der Logik des Terrors bestimmt die Reaktion der Betroffenen den Erfolg eines Anschlags: Je besonnener die Reaktion, desto geringer die weltweite Aufmerksamkeit; je stärker diese ist, desto größer die Wahrnehmung.

 

Terroristen setzen Gewalt ein, um ihrer Botschaft Gehör zu verschaffen. Auch Menschen sollen dabei sterben, möglichst viele sogar. Doch diese Morde dienen stets dem Zweck, ein Maximum an Aufmerksamkeit für die eigene Sache zu erzeugen. Und das haben die beiden Attentäter von Boston erreicht. Ihre größten Helfer dabei: die Sicherheitsbehörden und die Medien der USA. Erst die hysterische Reaktion beider hat den Anschlag von Boston zu einem Triumph für die Terroristen gemacht.

 

Wertvollster Schützenhelfer der Terroristen im Kampf um die weltweite Aufmerksamkeit waren die Medien

 

Die Behörden riegelten während der Fahndung die Stadt inklusive vieler Vororte komplett ab. Über viele Stunden hinweg blieben Geschäfte geschlossen, Busse und Bahnen standen still. Die Menschen wurden aufgefordert, zuhause zu bleiben. Ein Täter wurde im Verlauf der Suche erschossen, der zweite konnte 102 Stunden nach dem Anschlag verhaftet werden. Der Preis für diesen Stillstand: rund 300 Millionen US-Dollar.

 

Fataler als der wirtschaftliche Schaden ist jedoch das Signal an potentielle Nachahmer: Ein 19-jähriger Amateur-Terrorist kann im Alleingang eine amerikanische Metropole über Stunden hinweg lahmlegen. Wertvollster Schützenhelfer der Terroristen im Kampf um die weltweite Aufmerksamkeit waren jedoch die Medien. Sie überboten sich im Minutentakt mit neuen Details zum Verlauf der Ermittlungen – die meisten davon Spekulationen und Falschmeldungen. Der Anschlag von Boston war der erste seit 12 Jahren auf amerikanischem Boden.

 

Drei Menschen starben, mehr als 260 wurden verletzt. Jeder Einzelne ist ein Opfer zuviel, gewiss. Doch die hysterische Reaktion von Behörden und Medien zeigt, dass die USA die Dimension der Bedrohung durch den Terror aus den Augen verloren haben. Denn während die Welt gebannt den Fortgang der Fahndung in Boston verfolgte, explodierte in Texas eine Düngemittel-Fabrik. Die Detonation forderte 14 Todesopfer und verletzte mehr als 200 Menschen. Trotz der höheren Zahl an Todesopfern rutschte dieses Ereignis bald auf die hinteren Spalten der Zeitungen – Boston dominierte die Berichterstattung.

 

Die amerikanische Art des Umgangs mit dem Terror hat den Blick auf die Realität verzerrt

 

Aber warum bekommt ein Terroranschlag im Westen so viel Aufmerksamkeit, beinahe unabhängig von der Zahl der Toten und Verletzten? Verantwortlich dafür ist unsere Fantasie: Sie neigt dazu, im Untergrund operierenden Terrorgruppen mehr Macht zuzuschreiben, als sie tatsächlich haben. Wir überschätzen für gewöhnlich die Gefahr durch den Terrorismus. Anschläge kommen vergleichsweise selten vor, erregen dabei aber stets überproportional viel Aufmerksamkeit. Die abstrakte Bedrohung durch den Terror erschreckt uns mehr als die reale Gefahr, jeden Tag durch einen Verkehrsunfall ums Leben kommen zu können.

 

Der Anschlag von Boston hat den USA die Angst zurückgebracht. Die amerikanische Art des Umgangs mit dem Terror, die Besessenheit von der Sicherheit, hat den Blick auf die Realität verzerrt und lässt die Gefahr durch den Terror größer erscheinen als sie tatsächlich ist. Statt Sicherheit zu schaffen, haben die USA die Angst vor dem Terror in den Köpfen der Menschen zementiert. Der Anschlag von Boston hat auch gezeigt, dass der Terror nie komplett zu eliminieren sein wird.

 

Wir müssen daher zu einer neuen Haltung finden, wie wir mit der Bedrohung umgehen: zu einer Moral des Starkseins, die sich der Angst verweigert, die der Terror uns aufzwingen will. Es ist ein Kampf um unsere Köpfe. Sobald die Terroristen unser Denken beherrschen, haben sie gewonnen. Wir sollten ihnen weniger Aufmerksamkeit schenken. Sie haben sie nicht verdient.


Florian Peil ist Islamwissenschaftler, Sicherheitsberater und Nahost-Analyst.

Von: 
Florian Peil

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