Seit Anfang des Jahres eskalieren die Kämpfe im Norden von Mali. Die Tuareg-Rebellion droht, zum Vorboten eines regionalen Flächenbrandes zu werden, der die gesamte Sahel-Zone erfasst, meint Alex Thurston.
Am 29. April wird im westafrikanischen Mali ein neuer Präsident gewählt – unabhängig vom Ergebnis wollte das Land damit eigentlich seine erfolgreiche Entwicklung hin zu einer jungen, stabilen Demokratie unter Beweis stellen. Denn Mali nähert sich einem Meilenstein: dem zweiten aufeinanderfolgenden friedlichen Machtwechsel, in der Region durchaus nicht Regel und das, was einige Politikwissenschaftler als konsolidierte Demokratie bezeichnen.
Präsident Amadou Toumani Touré, seit 2002 im Amt, hatte gehofft, mit stabilen Grundlagen für die weitere Entwicklung aus dem Amt zu scheiden: Frieden, Infrastruktur und Wachstum, vor allem durch die Einnahmen aus dem Bergbau. In Tourés Amtszeit fielen allerdings auch politische Krisen wie der Streit um ein neues Scharia-inspiriertes Familienrecht und Angriffe der Terrororganisation »Al-Qaida im Islamischen Maghreb«. Dennoch, im Großen und Ganzen schien Tourés Hinterlassenschaft bis Ende 2011 noch weitgehend intakt.
Im Januar 2012 änderte sich das schlagartig. Tourés Nachfolger tritt sein Erbe in einem zunehmend instabilen und von Gewalt geprägten Land an. Am 17. Januar riefen Tuareg-Milizen unter dem Banner der Azawad-Befreiungsfront (NMLA) die Rebellion gegen die Hauptstadt Bamako aus. Die NMLA will nach eigener Aussage einen unabhängigen Staat der Tuareg in ihrem Heimatgebiet, Azawad genannt, ausrufen. Die Ursachen für den Aufstand der Tuareg liegen jedoch tiefer in einem grundlegenden Gefühl von Vernachlässigung und Marginalisierung durch die Regierung im Süden.
Die Bühne für den neuerlichen Ausbruch bereitete der Sturz des libyschen Regimes um Diktator Muammar al-Gaddafi. Dessen Niederlage im libyschen Bürgerkrieg ließ auch einen einflussreichen Mediator im Konflikt zwischen den transnationalen Tuareg und den Regierungen der Sahel-Staaten von der Bühne verschwinden. Erst 2009 hatte Gaddafi ein Waffenstillstandsabkommen in Mali vermittelt – und tausende Tuareg-Kämpfer in seinen Sold gestellt.
Jene Kämpfer strömen seit Ende Herbst nun zurück nach Mali und angrenzende Länder wie Niger und Mauretanien. Die NMLA ist kein loser Rebellenzusammenschluss, sondern eine ernstzunehmende militärische Kraft. Seitdem die Kämpfe ausgebrochen sind, hat die Azawad-Befreiungsfront einige Städte im Norden Malis unter seine Kontrolle gebracht. Die malische Armee wiederum hat sich im Wesentlichen darauf beschränkt, strategisch bedeutsame Stellungen zu verteidigen und die NMLA aus der Luft unter Beschuss zu nehmen.
Der ganzen Sahel-Zone droht eine neue Hungerkatastrophe
Die Sicherheitskrise im Norden schlägt nun auch im Süden Wellen – und hat eine politische Krise ausgelöst. Wütende Familien, meist von Armeeangehörigen, gingen in der Hauptstadt Bamako und in anderen Städten auf die Straße. Dabei waren die Demonstrationen nicht selten kurz davor, in Pogrome gegen im Süden lebende Tuareg auszuarten – eine Entwicklung, die der Vorbote einer neuen Welle ethnischer Konflikte werden könnte. Präsident Touré versucht verzweifelt, die Lage zu beruhigen und verhandelt sowohl mit den Tuareg, als auch den Demonstranten im Süden – bislang ohne Erfolg.
Viel gravierender als die sicherheitspolitische ist jedoch die humanitäre Krise, die nun durch die Rebellion ausgelöst wurde. 30.000 Menschen sind inzwischen auf der Flucht, sowohl innerhalb der Landesgrenzen als auch in den Nachbarländern. In einer ständig von Hunger bedrohten Region kämpfen diese Menschen ums nackte Überleben. Um ihnen vor Ort kurzfristig zu helfen, fehlen Regierungen und Hilfsorganisationen die Mittel, sie langfristig in Camps umzusiedeln stellt jedoch ein nur schwer kalkulierbares Risiko für die Entwicklung der Region dar.
Dürre, steigende Lebensmittelpreise und viel zu knappe Hilfsressourcen lassen in Mali – aber auch in den Nachbarländern – das Bedrohungsszenario einer Hungerkatastrophe heraufziehen. Die Kämpfe drohen Hilfsorganisationen daran hindern, zu den Hungernden vorzudringen und die Regierung von der Bedürfnissen der Zivilbevölkerung ablenken.
Eine gemeinsame regionale Strategie ist bislang nicht erkennbar
Die jüngsten Entwicklungen verkomplizieren auch Malis Beziehungen zu seinen wichtigsten Verbündeten. Die Tuareg-Rebellion ist nicht nur in Mali Grund zur Sorge, sondern auch bei seinen Nachbarn und der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich. Die Ansätze der regionalen Akteure unterscheiden sich beträchtlich. Algerien etwa gab zu Protokoll, dass es auf eine friedliche Lösung des Konflikts setzt – es hat seine Militärhilfen für Malis Streitkräfte erst einmal gestutzt. Frankreich und Mali haben Gräueltaten der Rebellen gemeinsam verurteilt, doch in zwei entscheidenden Punkten verfolgen beide Regierungen unterschiedliche Strategien. Paris drängt auf einen sofortigen Waffenstillstand, während Mali anscheinend weiter militärisch vorgehen will.
Gerüchte über eine Beteiligung der zuletzt stark geschwächten AQIM an der Rebellion machen die Runde – ohne dass dafür bisher handfeste Beweise vorliegen. Möglich, dass westliche Regierungen den Konflikt primär als Möglichkeit für die Terroristen sehen, in der Region wieder Fuß zu fassen. Ein Szenario könnte also in Zukunft eine erhebliche Aufstockung der Militärhilfen an Malis Regierung vorsehen – wenngleich die politischen Widerstände in Paris hiergegen erheblich sind.
In der vergangenen Woche verkündete Bamako, die Rebellion bis zu den Wahlen am 29. April niederschlagen zu wollen, doch der Blick auf die Tuareg-Aufstände der 1990er und 2000er Jahre mahnt zur Vorsicht. Diese hatten sich stets über Jahre hingezogen. Sollten die Kämpfe anhalten und an Intensität zunehmen, steht die Regierung vor der unangenehmen Wahl, selbige zu verschieben oder zu einem Zeitpunkt abzuhalten, an dem große Teile des Landes aufgrund der Sicherheitslage nicht abstimmen könnten. Wann immer der Machtwechsel an der Spitze des Staates nun kommen mag, Touré überlässt seinem Nachfolger ein von Konflikten gespaltenes und von humanitären Krisen geplagtes Land.
Alex Thurston promoviert an der Northwestern University (Chicago) über Islam in Afrika. Thurston betreibt den Sahelblog, den größten englischsprachigen Fachblog über die Staaten der Sahel-Zone. Als Gastkommentator schreibt er u.a. für The Guardian und Foreign Policy.