Lesezeit: 6 Minuten
Euphorie für die europäischen Spitzenclubs im Libanon

Die Mannschaft der Anderen

Feature

Nicht nur Deutschland hat die Bayern gestern gefeiert. Auch in Beirut jubelten Fans ausgelassen, Autos hupten durch die Nacht. Aber woher kommt bloß die Euphorie für die europäischen Spitzenclubs im Libanon?

Das Halbfinale der Champions League haben sich viele wohl anders vorgestellt. Auch im Libanon. Eine weitere Auflage des »El Classico« sollte es werden, ein Kräftemessen der Giganten. Aber bereits am Dienstag zerschlug sich dieser Traum. Hunderte Barcelona-Anhänger versammelten sich in den unzähligen Bars in der Beiruter Innenstadt, trugen mit stolzer Brust ihre Trikots von Messi, Piqué oder Iniesta auf. Freuen sollten sich an diesem Abend aber die Chelsea-Fans. Es war der zweite Abend in Folge, an dem die Barcelona-Fans in Beirut mit hängenden Köpfen nach Hause gingen. Erst vergangenen Samstag feierte ganz Beirut das entscheidende »El Classico« der Saison: die Vorentscheidung um die spanischen Meisterschaft zwischen den ewigen Antagonisten vom FC Barcelona und Real Madrid. Dieses Event lässt sich hier kaum noch wegdenken: Tische in Bars und Restaurants sind Wochen vorher reserviert, Bars und Restaurants erhöhen an diesen Abend die Preise immens. Jeder will es sehen, jeder fiebert mit, die einen für Real, die anderen für Barca.

 

Die Götter sind tot

 

Nachdem der FC Chelsea zu zehnt den Gott aus Barcelona zu Grabe trug, wurden gestern Nacht auch noch die »Galaktischen« aus dem Fußball-Himmel gerissen. Keiner der Real-Fans hatte mit einer Niederlage gerechnet, alle hatten im Geiste schon den Champions League-Titel eingefahren. Und während die einen starben, kam in Beirut eine neue Spezies zum Vorschein: Bayern München-Fans. Es wurde bislang meist spekuliert, ob es sie wirklich gab. Auch wenn man als Deutscher stets den gleichen Spruch zuhören bekommt, wenn man seine Nationalität preisgibt: »Du bist Deutscher, ahhhn, ich liebe Bayern München.« Ja, die Bayern mögen die einzigen bekannten Fußballer im Libanon sein, gucken tun die Libanesen aber die englische Premier League und die spanische Primera Division. Bundesliga? Fehlanzeige.

 

Und gestern? Da jubelten die Libanesen, als Manuel Neuer den ersten Elfmeter hielt. Sie jubelten noch mal lauter, als Neuer den zweiten hielt. Und sie hielten den Atem an, als erst Toni Kroos und dann auch noch Kapitän Philipp Lahm ihre Schüsse vergaben. Nach dem Sieg fuhren kleine Autokorsos durch die Stadt. Sie hupten, sie jubelten, sie wehten Flaggen, sie feierten die Bayern. Aber neben all der Euphorie für ausländische Teams, fragt man sich an dieser Stelle: Wieso feiern Libanesen Barcelona, Madrid, Chelsea, Manchester United und auch die Bayern? Haben die denn keine eigenen Fußballmannschaften?

 

Das ist relativ schnell erklärt: Bassam ist seitdem er Kind ist Real-Fan. »Damals war ich Fan von Brasilien. Die großen Spieler haben dann bei Madrid gespielt. So entwickelte sich die Begeisterung für das spanische Team«, erklärt der Student. Ein Bayern-Fan sagte schlicht: »Ich mag guten Fußball gucken. Gestern war ich für Barcelona, heute für die Bayern.« Während des Bürgerkrieges zwischen 1975 und 1990 kam der libanesische Fußball fast vollständig zum erliegen. Aber mit dem einheimischen Fußball starb nicht die Begeisterung für den Sport. Und was tut man, wenn man kein eigenes Nationalteam hat? Richtig, man kann sich eines aussuchen. Dann ist man eben für Brasilien, für Deutschland, England und jüngst auch für Spanien, für die Besten eben. Aber was ist mit der eigenen Liga? Warum »El Classico«? Warum Ronaldo und Messi, wo sind die eigenen Helden des Libanons?

 

Jede Woche ein eigener Bürgerkrieg

 

Auch das ist schnell erzählt, auch wenn die Erklärung etwas komplizierter ist: Zwischen den Fans der verschiedenen Teams kam es immer wieder zu heftigen Ausschreitungen. Jedes Wochenende war wie ein eigener, kleiner Bürgerkrieg. Nach der Ermordung Rafik Hariri 2005 und dem Krieg 2006 wurden Fans aus den Stadien verbannt. Zu brutal gingen die Fans der verschiedenen Mannschaften aufeinander los. Stadien und Straßen wurden zu eigenen Kriegsschauplätzen, Verletzte und sogar Tote waren die Folge. Die extreme Gewalt hat ihre eigenen Gründe: Die unterschiedlichen Mannschaften im Libanon sind konfessionell voneinander getrennt. Christen, Sunniten, Schiiten, Armenier, Drusen. Entwickelt hat sich die Spaltung und Konfessionalisierung des Fußballs nach dem Bürgerkrieg.

 

Nejmeh gilt als Verein der Drusen, der Rekordmeister Al-Ansar hat zum größten Teil sunnitische Fans und Spieler. Und so geht es weiter, Club für Club, Konfession für Konfession. Und als wäre das nicht schon genug, fingen Politiker an, die einzelnen Clubs finanziell zu fördern. So hat die ebenfalls konfessionell gespaltene Politik den Fußball instrumentalisiert. »Im Libanon geht es eben immer um Politik und um Religion. Selbst im Fußball«, sagt der Real-Fan Bassam frustriert. »Der Spaß am Spiel ging dabei verloren.« Jihad Shahf, Mitglied des libanesischen Fußballverbandes gibt zu, dass die kleinen Budgets der Klubs der Grund war, warum Politiker durch Geldspritzen einen immensen Einfluss auf den Sport nehmen konnten. Al-Ahad ist finanziert von der Hizbullah, Nejmeh und Ansar vom Hariri-Clan, Safa wiederum wird vom Drusen Bahij Abou Hamzeh gesponsort.

 

Eine Flagge für alle

 

Die Stadien sind heute wieder offen, leer bleiben sie trotzdem. Der lange Ausschluss der Fans hat diese vertrieben. Sie gucken nun lieber »El Classico«, Champions League und Co. Aber trotz der düsteren Gegenwartsprognosen für den libanesischen Fußball, gibt es ein schwaches Licht am Ende des Tunnels: Im März spielte die libanesische Nationalmannschaft gegen die Vereinigten Arabischen Emirate, es war das letzte Spiel der dritten Qualifikationsrunde für die Weltmeisterschaft 2014. Ein vergessenes Bild erwachte zum Leben: Libanesen jeglicher Konfession guckten gemeinsam Fußball. Schulen waren ab 13 Uhr Ortszeit geschlossen, Büros zu kleinen Stadien umgebaut, Bars gefüllt, Universitäten bauten Leinwände auf, jeder im Land guckte das Spiel.

 

Und überall gab es nur eine Flagge: die libanesische. Und ganz plötzlich, schaffte ein Spiel, was vorher undenkbar war: es brachte die Menschen zusammen. Die letzte Qualifikationsrunde für die WM findet erst im Juni statt. Vorher spielen zunächst am 19. Mai die Bayern im eigenen Stadium. Beirut wird an diesem Abend wieder gespalten sein, zwischen Chelsea- und Bayern-Fans.

Von: 
Helen Staude

Banner ausblenden

Die neue zenith 02/2022 ist da: Reise zum Mittelpunkt der Erde

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Die neue zenith ist da: mit einem großen Dossier zur Region Persischer Golf und überraschenden Entdeckungen. Von Archäologe über Weltpolitik und Wattenmeer zu E-Sports und großem Kino.

Banner ausblenden

Newsletter 2

Der heiße Draht

Frische Analysen, neue Podcast-Folgen, exklusive Einladungen zu Hintergrundgesprächen und Werkstattberichte: Jeden Donnerstag erhalten tausende Abonnenten den zenith-Newsletter. Sie  wollen auch auf dem Laufenden bleiben? Dann melden Sie sich hier kostenlos an.

Banner ausblenden

WM Katar

So eine WM gab es noch nie

Auf 152 Seiten knöpfen sich Robert Chatterjee und Leo Wigger alle wichtigen Fragen rund um die erste Fußball-WM in einem arabischen Land vor.