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Fahrrad fahren in Ägypten

Ägypten kommt in die Gänge

Feature

Was machen ägyptische Jugendliche eigentlich, wenn sie nicht demonstrieren? Sie fahren Fahrrad. In einem Verkehrsmoloch wie Kairo ist das ein ziemlich revolutionärer Akt, wie Bettina Gräf erlebte.

Es ist Ende August in Kairo, ein Freitag. Um sieben Uhr morgens holt mich Mohamed in Zamalek ab, wir fahren auf einen Parkplatz hinter dem internationalen Fußballstadion in Nasr City im Nordosten der Stadt. Hier trifft sich die Gruppe »Go Bike«. Später sollen es 38 Grad werden. Als wir ankommen, sind viele der Jugendlichen schon da. Einige haben ihre eigenen Fahrräder dabei. Sie stehen in kleinen Grüppchen herum, die meisten in Trainingsanzügen oder Fahrradklamotten. Manche tragen Helme, andere Mützen oder Kopftücher – oder beides. Die Stimmung ist ausgelassen, jeder Neuankömmling wird mit lautem Hallo begrüßt.

 

Jedoch kennen sich nicht alle von den letzten Fahrradausflügen. Manche wirken schüchtern, beobachten zunächst das Geschehen. Samy dreht die Musik seiner Anlage laut und ruft alle Anwesenden mit einer Trillerpfeife zum Aufwärmen. Die wenigen Autofahrer, die gerade unterwegs sind, schauen zwei Mal, einige hupen. Wahrscheinlich bekommen sie nicht oft junge Männer und Frauen auf der Straße bei der Morgengymnastik zu sehen. Währenddessen biegt ein Geländewagen ein, beladen mit etwa 40 Fahrrädern. Drei ältere Mechaniker mit verschmierten Händen und Hemden steigen aus und beginnen die Fahrräder abzuladen.

 

Dann kann es losgehen. Ziel ist ein öffentliches Sportzentrum in Heliopolis, ungefähr vier Kilometer nördlich von Nasr City gelegen. Unterwegs wird es heiß. Wir machen Pausen, trinken, fotografieren, kichern, lachen, stöhnen. Nur Wenige geben auf und müssen von den hilfsbereiten Mechanikern eingesammelt werden. Der Rest kämpft sich durch. In Heliopolis angekommen, erwartet uns frisch gepresster Saft, Limonade und Cola.

 

Die einzigen anderen Radfahrer sind die Brotlieferanten

 

Die Idee für die Fahrradtouren stammt ursprünglich nicht von ihnen selbst. Zunächst waren die vier Gründer – Muhammad, Samy, Ahmed und Muhammad –  selbst Mitglied in einer anderen Gruppe namens »Cycle Egypt«, die sich 2007 zuerst in Alexandria und später in Kairo gründete. Im Mai 2012 legten sie ihr Geld zusammen und kauften 70 Fahrräder, die sie unter der Woche in einem Lager in New Cairo parken – die Geburtsstunde von »Go Bike.. Go Life«. Wichtig ist ihnen der Gedanke, Fahrräder anstatt Autos als Transportmittel zu benutzen – weil es gesünder sei und aus Rücksicht auf die Umwelt.

 

Dass früher sehr viel mehr Menschen auf zwei Rädern unterwegs waren, daran erinnern im heutigen Kairoer Verkehr höchstens noch die virtuosen Brotlieferanten. Die Hauptverkehrsadern sind, außer nachts und freitags, überwiegend von Autos verstopft. Es ist nunmehr zehn Uhr. Wir gehen alle zusammen in ein staatliches Sportzentrum, das Konzept dahinter stammt wohl noch aus Nassers Zeiten. Der Eintritt kostet nur 5 Pfund pro Person. Die privaten Klubs, die es überall in Kairo gibt, sind erheblich teurer und demzufolge für viele nicht erschwinglich.

 

Drinnen angekommen sucht sich jeder aus, war er mag: Fußball – Frauen gegen Frauen und Männer gegen Männer unter lautem Gejohle – Darts, Bowlen und Tischtennis. Mehrere Personen fotografieren und filmen, später werden sie das Material auf der Facebook-Seite von »Go Bike« ins Netz stellen. Es sind zwei Stunden vergangen  und plötzlich treibt Muhammad zur Eile an. Schließlich möchten manche pünktlich zum Freitagsgebet zurück sein. Während des Ramadan hatten die Teilnehmer Online diskutiert, ob man wirklich fahren sollte, und wenn ja, wie und wann. Die Lösung waren Sonnenuntergangsfahrten mit gemeinsamem Fastenbrechen.

 

Fahrradtouristen in der eigenen Stadt

 

Jede Woche wählen die beiden Muhammads, Samy und Ahmed einen anderen Ort für ihre »Go Bike«-Touren aus. Mal fuhren sie zum Kairoer Fernsehturm in Zamalek, ein anderes Mal zur alten Zitadelle. Sie sind Fahrradtouristen in der eigenen Stadt. Die Fahrradmechaniker verdienen für ihre Arbeit an diesem Tag zusammen 200 ägyptische Pfund, umgerechnet etwa 25 Euro. Für 30 Pfund pro Person werden die Fahrräder verliehen. Bleiben für die vier Jungs circa 500 Pfund übrig. Davon bezahlen sie den Leihwagen, das Benzin, die Eintrittskarten für das Sportzentrum und Wasser. Wenn noch etwas übrig bleibt, wollen sie es für die Produktion von T-Shirts mit eigenem »Go Bike«-Logo sparen.

 

Ein primäres Ziel aber bleibt, gemeinsam Freizeit zu erleben und dabei neue Leute kennenzulernen – was für ein Privileg in einer Stadt mit so viel sichtbarer Armut. Und doch gehören diese Jugendlichen nicht zur privilegierten Oberschicht. Sie sind Teil der relativ gut situierten und gebildeten Schicht, die die Revolution im Januar 2011 angezettelt beziehungsweise angeposted hat und die sich gegen autoritäre Verhältnisse auf vielen Ebenen richtet. Insofern sind ihre Fahrradtouren ein Teil des Kampfes für ein gerechtes und entspanntes Ägypten.


Dr. Bettina Gräf ist Islamwissenschaftlerin, lehrt u.a. an der HU Berlin und forscht als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum Moderner Orient (ZMO) in Berlin.

Von: 
Bettina Gräf

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