Protestierende Flüchtlinge geben sich am Brandenburger Tor mit einem Gespräch und am Kreuzberger Oranienplatz mit wenig zufrieden. Wirklich zufrieden sind am Ende die anderen.
Es mieft im Zelt. Jemand wirft ein Stück Kohle in den Ofen. Besucher bekommen die ersten Minuten nur schlecht Luft, so warm ist es hier. Ein kleiner Junge liegt regungslos auf einer labbrigen Matratze. Trotz des Trubels um ihn herum schläft er weiter. Immerhin leben hier 18 Menschen auf engstem Raum. Abdalla Yassir weigerte sich, in Darfur für die sudanesische Armee Menschen zu töten.
Nun sitzt er in einem Zelt im Herzen von Kreuzberg und weigert sich, als Unmensch behandelt zu werden. In Osnabrück bekam er als Flüchtling ein Ausreiseverbot aus dem Landkreis, zehn Quadratmeter für seine fünfköpfige Familie und einen Platz auf einer langen Warteliste für einen improvisierten Deutschkurs. Deswegen schloss sich Abdalla einer Protestaktion von Flüchtlingen an, die von linken Gruppen unterstützt wird.
Abdallas schlafender Sohn ist in Italien geboren, neulich feierten sie seinen ersten Geburtstag im Park, in dem sie seit mehr als einem Monat kampieren: »Für den Kleinen ist alles harmlos«, sagt der Vater, »mein Großer ist aber schon zehn und bekommt alles mit. Ich habe den Verdacht, dass es schlimm für ihn ist«.
Vor einigen Monaten nahm der Mann mit den großen Händen, dem breiten Schnauzbart und dem permanenten Lächeln seine drei Kinder, seine Frau und seine Hoffnung auf einen langen Trip mit. Durch die Wüste bis ans Mittelmeer, danach mit dem Bot nach Lampedusa. »Ich dachte, wir sterben und war überglücklich, dass die Überfahrt nur 24 Stunden dauerte«, sagt Abdalla.
Der 38-Jährige erzählt von den Strapazen auf der Flucht, dass sie damals, als Libyen im Bürgerkrieg versank, vor den Bomben der Nato, der Gaddafi-Milizen und der Rebellen in Deckung gehen mussten und dass ihm im Sudan eine Gefängnisstrafe inklusive Folter wegen Kriegseinsatzverweigerung droht. Seine Frau Mauda streichelt ihren Sohn, lauscht, hält ihre eheliche Schweigepflicht ein und nickt: »In Italien haben sie mir meine Kinder weggenommen, mich einsperren wollen, da gab es nur einen scheinbaren Ausweg: weiter gen Norden«, erzählt Abdalla weiter.
Nippel, Kälte, Freude
Zwischen Matratzen-Concord und Chai-Tee schlürfenden Touristen fordern die im Camp lebenden rund 150 aus ganz Deutschland angereisten Flüchtlinge drei simple Dinge, wie Abdalla es formuliert: »Abschaffung der Residenzpflicht, Abschiebestopp in Krisengebiete, Arbeitserlaubnisse«. Einige von ihnen wechselten nach mäßigem Medieninteresse vom Oranien- an den Pariser Platz, traten dort in den Hungerstreik und schliefen bei Minustemperaturen auf dem Kopfsteinpflaster.
Decken, Zelte, selbst Rollstühle sind hier kategorisch verboten und wurden von der Polizei konfisziert. Die Piratenpartei schmiss neulich ihre Geheimwaffe in die Waagschale: sechs Brüste von drei Piratinnen. Als Anke Domscheit-Berg, Julia Schramm und Anne Helm ankündigten mit »Titten für Menschenrechte« am Brandenburger Tor zu demonstrieren, überschlugen sich die Hauptstadtredaktionen und schickten voller Vorfreude Fotografen und Journalisten an das Berliner Wahrzeichen.
Die Objektive waren also gespannt auf die piratische Oberweite gerichtet, als unter den Pullovern nur T-Shirts mit der Aufschrift »Human Rights, No Tits« zum Vorschein kamen. Die Journalisten waren richtig sauer, einige berichteten über den PR-Coup der Piraten, andere gar nicht, fast niemand über die Flüchtlinge.
»Just some refugees protesting«, erklärt ein Fremdenführer den ungewöhnlichen Anblick für eine Touristengruppe aus den USA und geht nahtlos zur Bedeutung des Brandenburger Tores in der deutschen Geschichte über. Zehn Tage nach Beginn der Proteste kam endlich jemand von der Bundesregierung auf den Pariser Platz: die Bundesbeauftragte für Integration, Maria Böhmer, auf Drängen der Berliner Integrationssenatorin Dilek Kolat.
Beide Frauen saßen stundenlang mit den Protestierenden zusammen, dann hieß es: »Die Flüchtlinge geben Protest nach Gespräch auf«. Alle zufrieden? Könnte man meinen: »Konkret hat sich nichts verbessert, aber immerhin dulden sie uns hier im Kreuzberger Camp«, sagt Abdalla.
Auf dem Pariser Platz ist das Problem von der Integrationsbeauftragten wegdiskutiert worden, zurück auf dem Oranienplatz gibt es gar kein Problem. Es ist nett hier, irgendwie passt das Elend sogar zum Kreuzberger Flair. Eine Combo spielt fröhliche Blasmusik, die Jungs kicken Fußball, linke Kreuzberger bringen Säcke voller Altkleidung vorbei, bald bekommt das Camp sogar einen Stromanschluss. Das Elend der Anderen macht sich hier irgendwie gut.




