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Gedenkkulturen in Polen und Libanon

Versöhnung, Marketing und die liebe Ironie

Feature

Phönizische Schiffe gehören zur Dekoration vieler libanesischer Restaurants in Deutschland aber auch in Polen. Doch was hat das mit Versöhnung zu tun? Weiße Kartoffel und Orient Beauty lösen das Rätsel und hinterfragen Gedenkkulturen.

»Orient Beauty« – Rana Siblini stammt aus Beirut und ist Sprachwissenschaftlerin und Lehrerin von Beruf. 2010 kam sie nach Deutschland. In Münster schreibt sie an ihrer Doktorarbeit über Nostalgie in der mittelalterlichen arabischen Dichtung. »Weiße Kartoffel« – Stanislaw Strasburger ist polnischer Schriftsteller und freiberuflicher Kulturmanager. Er beschäftigt sich immer wieder mit dem facettenreichen Thema Multikulturalität. Seit mehreren Jahren pendelt er zwischen Köln, Beirut und seiner Heimatstadt Warschau. Orient Beauty und Weiße Kartoffel sprechen miteinander Deutsch. Doch manchmal, wenn es hakt ... Hi, kifak, ça va?

 

Weiße Kartoffel: Kannst du dich an das Wandgemälde mit den phönizischen Schiffen in dem libanesischen Restaurant in Warschau erinnern? Ich weiß immer noch nicht, warum es dich damals so amüsiert hat. Ein Volk von Seefahrern und Händlern, das als Erfinder des Geldes gilt. Du kannst doch Stolz auf deine antiken Vorfahren sein.

 

Orient Beauty: Ach, Weiße Kartoffel, ich möchte nicht gleich zu Anfang meckern, aber was haben wir schon von der glorreichen Vergangenheit? Heute sind wir für die ganze Welt nicht viel mehr als ein Kriegsschauplatz. Klar kann ich mich an die Einrichtung des Restaurants erinnern – eine Mischung aus einem Beduinenzelt und einem osmanischen Harem mit phönizischen Motiven. Und dazu noch Hommus zum Löffeln. So als bekäme man einen Berliner mit Messer und Gabel serviert ... Hommus isst du doch mit einem Stück Brot zwischen den Fingern! Und dann noch der obligatorische Bauchtanz an jedem Wochenende, und die Mischung ist perfekt! Erlaubt ist, was gefällt! Alles mit allem zu versöhnen ist auch eine Kunst. Ein wahres Denkmal der Versöhnung.

 

Weiße Kartoffel: Jetzt werde aber bloß nicht ironisch, Beauty! Jimmy, der Besitzer des Lokals, hat es uns doch erklärt. So bringt er seinen Kunden das libanesische Flair und die Küche des Landes näher. Das zeugt doch eher von guten Marketingkenntnissen, meinst du nicht?

 

Orient Beauty: Marketing und Versöhnung schließen sich keineswegs gegenseitig aus. Glaub mir, damit kennen wir uns bestens aus, besonders seit dem Ende des Bürgerkrieges ...

 

Weiße Kartoffel: Ach wirklich? Von Versöhnung sehe ich im Libanon aber nicht viel. Von Denkmälern ganz zu schweigen. In Warschau dagegen ist an jedem zweiten Gebäude eine Tafel angebracht, auf der an die von den Nationalsozialisten erschossenen wehrlosen Menschen erinnert wird. Statuen, Obelisken, die Namen von Plätzen und Straßen, es wimmelt nur so von ...

 

Orient Beauty: Ja, ja, ich weiß. Ich habe die Schlangen vor dem Museum des Warschauer Aufstands gesehen. Aber was für einen Sinn hat es, sich das Grauen ständig vor Augen zu führen? Als ich durch Warschau spaziert bin, spürte ich, wie der Schwermut der Stadt mich förmlich zu Boden drückte. Und dabei habt ihr doch eine hübsche Hauptstadt. Soll ich mich für eine solche Gedenkkultur etwa begeistern?

 

Weiße Kartoffel: Aber das Grauen darf nicht in Vergessenheit geraten. Sonst ist keine Versöhnung möglich.

 

Orient Beauty: Meinst du das wirklich? Im Libanon gehen wir einen anderen Weg. Das Stichwort heißt Wiederaufbau und Unterhaltung. Das Zentrum von Beirut ist vermutlich der größte städtische Marshallplan aller Zeiten. Sicher, die Beiruter Downtown hat etwas vom Ambiente des Restaurants in Warschau. Aber beide sind echte Publikumsrenner ... Wir blicken in die Zukunft und messen uns an den Besten. Und die Vergangenheit? Man muss auch mal loslassen können! Was dem Marketing und dem Wohlbefinden der Besucher zugute kommt. Weißt du was, ich glaube, wir sind da ein bisschen lockerer als euer Tourismus des Grauens. Mehr Selbstironie ... Suchst du gute Unterhaltung? In Beirut bist du am richtigen Ort.

 

Weiße Kartoffel: Ich bin schwer beeindruckt! Versöhnung auf libanesisch: historische Amnesie und Wiederaufbau à la Disneyland! Es lebe eine gute PR! Versuchst du mir das zu sagen?

 

Orient Beauty: Jetzt werde aber bloß nicht ironisch, Weiße Kartoffel. Das Ambiente des libanesischen Restaurants verbirgt im Übrigen noch mehr Geheimnisse über uns. Aber das ist eine ganz andere Geschichte ...


Die Reihe wird parallel auf Polnisch, Arabisch und Deutsch veröffentlicht.

Gefördert durch das Land NRW. Unterstützt durch das Buchinstitut aus Polen und das Goethe-Institut Libanon.

Von: 
Rana Siblini und Stanislaw Strasburger

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