Historischer Tag in Ägypten: Heute beginnen die Präsidentschaftswahlen. In einem Akt der Radikalopposition verweigern einige Aktivistengruppen ihr Votum. Doch genau damit stärken sie den Demokratisierungsprozess, mein Dominik Peters.
Es herrscht Unmut in den Reihen der Revolutionäre vom Tahrir-Platz. Gewiss, viele ihrer Ziele wurden erreicht: Hosni Mubarak, der ewige Raïs, ist gestürzt, Ober- und Unterhaus sind gewählt und nun folgt in einem historischen Votum bald ein Präsident. Doch in den vergangenen 15 Monaten sind sie dennoch unter die Räder gekommen, ist ihr Ruf nach Freiheit und Gleichheit verhallt.
Wer mag es da verübeln, dass einige von ihnen den Gang zur Urne nicht antreten und sie sich mehr am Demokratieverständnis des baden-württembergischen Ministerpräsident Winfried Kretschmann zu orientieren scheinen. Der hatte am vergangenen Dienstag anlässlich des Jahrestages der Verkündung des Grundgesetzes erklärt, der Normalzustand einer Demokratie sei der des Protests.
Und da man langfristig eine Demokratie sein will, wird eben weiter protestiert. Gut so. Nichts scheint in diesen Tagen wichtiger, als der Protest der Aktivisten aus dem radikallinken und radikalliberalen Spektrum. Zwar genießen sie in großen Teilen der Bevölkerung keine Unterstützung mehr, weil die staatlichen Medien verbreitet haben, dass diese einigen Wenigen der Grund für die desaströse Wirtschaftslage seien.
Drohende Diktatur der Mehrheit
Doch mit ihrer Radikalopposition und denen von ihnen geforderten utopischen Zielen zeigen sie den starken Gruppierungen, die um die Macht kämpfen – neben dem Militär sind die Salafisten ebenso dazu zu zählen wie die Muslimbruderschaft –, dass es eine rote Linie gibt, die nicht überschritten werden darf, wenn der lange Weg hin zur Demokratie gelingen soll.
Diese rote Linie lautet: Eine Minderheit leidet unter der Diktatur der Mehrheit, die die Rechte von Minderheiten und das hohe Gut der Gedanken- und Meinungsfreiheit nur vordergründig akzeptiert. Doch genau diese Übertretung zeichnet sich ab.
Wenn all die jungen Aktivisten – die erst in zehn, fünfzehn Jahren das Alter, die Erfahrung und die Durchsetzungskraft erlangt haben, um im Konzert der Großen mitzuspielen – nun in einem Akt der Radikalopposition ihren Stimmzettel für einen neuen Präsidenten nicht abgeben, ihren Kampf für eine Republik Utopia nicht aufgeben, dann ist diese Wahlverweigerung der größte Dienst am ägyptischen Demokratisierungsprozess seit langem.