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Hizbullah-Generalsekretär Hassan Nasrallah

Parteichef Gottes

Portrait

Als Anführer des Widerstands gegen Israel wird Hassan Nasrallah, Generalsekretär der schiitischen Hizbullah, von seinen Anhängern im Libanon kultisch verehrt.

Seit zwei Jahrzehnten steht er an der Spitze der einflussreichsten politischen Bewegung des Libanon. Hassan Nasrallah ist das Gesicht der Hizbullah, der »Partei Gottes«. Ihm ist zu verdanken, dass die paramilitärisch-politische Organisation sich enormer Beliebtheit erfreut: Einer Umfrage vom Februar 2010 zufolge sympathisieren 97 Prozent der schiitischen Libanesen, die knapp ein Drittel der Bevölkerung ausmachen, mit den Islamisten. Nasrallahs Ruhm ist mit den Jahren stetig gewachsen, über den Libanon hinaus.

 

Der Hauptgrund dafür ist der Rückzug der israelischen Truppen aus dem Südlibanon im Mai 2000 – ein Sieg, den die Hizbullah für sich verbuchte. Vier Jahre später feierte Nasrallah den nächsten Triumph: Er handelte einen Gefangenenaustausch mit Israel aus, im Zuge dessen Hunderte palästinensische und libanesische Häftlinge freikamen. Auch nach dem »Sommerkrieg« gegen Israel 2006 fühlte sich die Hizbullah, die mithilfe Irans ein umfangreiches Waffenarsenal aufgebaut hat, gestärkt.

 

Dass ohne sie in der Politik nichts geht, zeigte die Oppositionspartei 2007, als sie – aus Protest gegen das UN-Tribunal zur Untersuchung des Mordes an Ex-Premier Rafik Hariri – monatelang die Regierungsarbeit durch Sitzblockaden vor dem Parlament behinderte. Ein Jahr später demonstrierte die Hizbullah ihre militärische Macht, indem sie ganze Beiruter Stadtteile einnahm, um gegen die Schließung ihres Telekommunikationsnetzwerks zu protestieren.

 

Das Konterfei des vollbärtigen Theologen ist im Libanon allgegenwärtig

 

Nach Beilegung der Krise konnten keine Entscheidungen mehr gegen Nasrallahs Willen getroffen werden. Dennoch brachte er Anfang 2011 die Regierung der nationalen Einheit zu Fall: Die Minister der Hizbullah traten aus Protest gegen die Anklage einiger Mitglieder der Bewegung im Mordfall Hariri zurück. Mit Unterstützung des Drusenführers Walid Dschumblat gelang es der Hizbullah daraufhin, ihren Wunschkandidaten Najib Mikati als Ministerpräsidenten durchzusetzen.

 

Geboren wurde Hassan Nasrallah als ältestes von neun Geschwistern 1960 im Beiruter Stadtteil Bourj Hammoud. Nach Ausbruch des Bürgerkriegs 1975 zog die Familie in das südlibanesische Dorf al-Bazourieh. Seinem Wunsch nach religiöser Ausbildung folgend, ging Nasrallah wie viele schiitische Theologiestudenten unter anderem in das irakische Nadschaf. Dort lernte er Abbas al-Mussawi kennen, der Anfang der 1980er Jahre an der Gründung der Hizbullah als Widerstandsbewegung gegen Israel beteiligt war.

 

Nachdem Mussawi einem israelischen Hubschrauberangriff zum Opfer gefallen war, übernahm Nasrallah 1992 den Posten des Generalsekretärs. Mehreren westlichen Staaten, etwa den USA, gilt der vollbärtige Theologe als Anführer einer Terrororganisation. Im Libanon hingegen wird er teilweise kultisch verehrt. Sein Konterfei ist allgegenwärtig: auf Werbetafeln, Schlüsselanhängern, Bildschirmschonern. Leibhaftig zeigt er sich dagegen fast nie, Nasrallah kommuniziert aus Furcht vor Attentaten vor allem über Fernsehansprachen.

 

Einig sind sich Kritiker und Fürsprecher in einem: Nasrallah ist charismatisch, hochintelligent – und tief religiös. Mit seinem rhetorischen Talent vermag er seine Anhänger mitzureißen. Der Märtyrertod, sagte Nasrallah einmal, sei wie das Durchschreiten einer Tür in ein anderes Zimmer, in dem ein angenehmes Klima herrsche. Einer seiner Söhne wurde 1997 im Kampf gegen Israel getötet. Das erfülle ihn mit Stolz, bemerkte der Vater vier weiterer Kinder anschließend.

 

Eine Herausforderung stellt für Nasrallah der Arabische Frühling dar. Hatte er die Revolutionen in Tunesien und Ägypten 2011 noch begrüßt, rief er die Bewohner des benachbarten Syrien dazu auf, sich hinter Baschar al-Assad zu stellen. Hizbullah-Kämpfer beteiligten sich an der Gewalt gegen die Bevölkerung in Syrien – wie schon 2009 in Iran bei der Niederschlagung der Protestbewegung. Sicher ist, dass es ohne die Unterstützung seines Verbündeten Assad für Nasrallah nicht leichter würde.

Von: 
Wiebke Eden-Fleig

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