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Homosexualität in Ägypten

Sisi sagt Schwulen den Kampf an

Feature

Aus Angst vor den Muslimbrüdern haben viele ägyptische Schwule den Militärputsch gegen Mohammed Mursi unterstützt. Doch seit Abdulfattah Al-Sisi an der Macht ist, hat sich ihre Lage dramatisch verschlechtert.

»Homophobie ist nicht revolutionär« stand im Frühjahr 2013 für einige Monate über einem Graffiti zweier sich küssender Männer an den Mauern der Amerikanischen Universität in Kairo. Die Uni grenzt an den Tahrir-Platz und an die Mohammad-Mahmoud-Straße, wo ägyptische Bürger 2011 und 2013 ihre Präsidenten zu Fall brachten und dazwischen regelmäßig gegen Militärherrschaft, Islamismus und Polizeigewalt demonstrierten. Seit Sicherheitskräfte im November 2011 bei Protesten in der Mohammad-Mahmoud-Straße über 40 Menschen töteten, ist die Straße ein Symbol des Widerstands.

 

Aus ihren Mauern wurde eine Galerie, die den Opfern und Gegnern der herrschenden Eliten in unzähligen Graffitis ein Denkmal setzt. So auch – wenngleich eher kurz – der Schwulenszene in Ägypten Homosexualität ist weder ein neues noch ein seltenes Phänomen in Ägypten. Abbildungen und Beschreibungen homoerotischer Handlungen finden sich bereits auf Tonscherben und in Papyrusfragmenten aus dem Alten Ägypten. Auch moderne ägyptische Autoren wie der Nobelpreisträger Naguib Mahfouz oder Bestsellerautor Alaa Al-Aswani haben Homosexualität in ihren Werken als Bestandteil der Gesellschaft porträtiert. In Siwa, einer Oase nahe der libyschen Grenze, gab es eine alte Tradition männlicher Homosexualität und sogar eine Art Homo-Ehe, die erst 1928 von König Fuad verboten wurde.

 

Diverse touristische Hot-Spots wie Luxor sind dafür bekannt, dass sich junge Männer für westliche Frauen mittleren Alters, aber auch für schwule Männer aus aller Welt prostituieren. Von den Bewohnern wird diese Praxis weitgehend geduldet und solange es nicht zu offensichtlich wurde, hielten sich auch die Behörden bislang weitgehend zurück. Wie viele andere Großstädte hat auch Kairo eine florierende Schwulenszene. Man trifft sich auf privaten Partys und in bestimmten Clubs und Bars – trotz der Razzien, mit denen regelmäßig zu rechnen ist.

 

Einer der berüchtigtsten Angriffe auf die Community ereignete sich 2001 als in dem »Queen Boat«-Nachtclub 52 Männer festgenommen wurden. Nach ihrer Inhaftierung wurden sie gefoltert, misshandelt und wegen »sexueller Ausschweifungen« angeklagt, denn Homosexualität ist nicht explizit illegal. In einem medial ausgeschlachteten Prozess, in dessen Zuge ägyptische Zeitungen Bilder, Namen und sogar Adressen der Angeklagten veröffentlichten, wurden schließlich 21 Männer zu Gefängnisstrafen verurteilt.

 

Überwachung von Online-Communities und Dating-Apps nimmt Homosexuelle ins Visier

 

Mit dem »Queen Boat«-Vorfall endete eine Zeit, in der die Schwulenszene weitgehend in Ruhe gelassen wurde. Als Hossam Baghat von der »Ägyptischen Organisation für Menschenrechte« die Verfolgung von Homosexuellen kritisierte, wurde er gefeuert und sein Arbeitgeber distanzierte sich öffentlich. »Ich persönlich mag Homosexualität nicht und will sie nicht verteidigen«, sagte der Generalsekretär der Organisation damals in einem Interview.

 

In einem Artikel erklärte Baghat die plötzliche Verfolgung als Versuch, von den wirtschaftlichen Problemen Ägyptens und der Unfähigkeit der Regierung, diese in den Griff zu bekommen, abzulenken. Außerdem warf er dem Regime vor, sich als Hüter islamischer Tugenden profilieren zu wollen, um der damals immer beliebter werdenden Muslimbruderschaft den Wind aus den Segeln zu nehmen. Diese Geschichte scheint sich nun zu wiederholen.

 

Vor allem durch die Überwachung von Online-Communities und Dating-Apps verfolgen die Behörden Homosexuelle derzeit weitreichender und brutaler als je zuvor. Präsident Sisi versucht, sich der Gesellschaft als noch islamistischer als die Islamisten zu präsentieren, um die Muslimbrüder weiter zu marginalisieren. Die Verfolgung von Homosexuellen und anderen Minderheiten wie Atheisten hilft außerdem dabei, von der bislang wenig erfolgreichen Bilanz der neuen Machthaber abzulenken.

 

Homophobie in Ägypten ist keineswegs auf den Islam beschränkt

 

Es ist eine vielversprechende Strategie, denn Homophobie ist tief in der Gesellschaft verwurzelt. Laut einer Pew-Umfrage aus dem vergangenen Jahr vertreten 95 Prozent der Ägypter die Auffassung, dass ihre Gesellschaft Homosexualität nicht akzeptieren sollte. Wer sich dennoch outet oder geoutet wird, riskiert von Familie und Freunden verstoßen zu werden. Viele sonst eher liberal gesinnte Ägypter kritisieren zwar die Brutalität der Verfolgung, nicht aber die Verfolgung an sich. Religion spielt dabei eine wichtige Rolle.

 

Allerdings ist Homophobie keineswegs auf den Islam beschränkt. Der verstorbene koptische Papst Shenouda III nannte Homosexualität »eine Anomalie« und »gegen die Natur«. Christliche Autoritäten in Ägypten sind deutlich konservativer als in Europa und sehen in der zunehmenden Akzeptanz von Homosexualität, aber auch in dem modernisierten Familien- und Frauenbild, in der westlichen Gesellschaft einen dramatischen Verfall christlicher Werte. Auch die Geschichte des eingangs erwähnten Graffitis spiegelt die Situation der ägyptischen Schwulenszene wieder.

 

Bevor es das wohl erste und einzige Graffiti gegen Homophobie wurde, war es selbst homophob. In seiner ursprünglichen Form stellte es zwei sich küssende Polizisten dar und der Slogan lautete »Polizisten sind schwul.« Einige weniger engstirnige Graffiti-Künstler änderten den Slogan zu »Homophobie ist nicht revolutionär« .Doch diese Version wurde nach einigen Wochen übermalt.

Von: 
Ragnar Weilandt

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