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Inszenierung »Backstage@Tahrir.Square«

Wir machen Platz

Feature

Nina Hagen und der Tahrir-Platz in Kairo? Das passt nicht, denkt man! Das Gegenteil beweisen 12 Hamburger Jugendliche in ihrer Inszenierung »Backstage@Tahrir.Square« und zeigen mitreißend ihre Sichtweise auf die Revolution in Ägypten.

»Was ist der Tahrir-Spirit? Hat er dem Tränengas standgehalten? Was können wir davon verstehen, wie daran teilhaben, was können wir von den Ägyptern lernen?« Unter der Leitung von Antonia Arboleda-Hahnemann und Corinna Popp setzten sich zwölf junge Erwachsene künstlerisch und tänzerisch mit diesen Fragen auseinander. Im Rahmen des 21. Backstage Theaterfestivals, das unter dem Motto

 

»Sicht.Weise.Leben« stand, wurde das Stück »Backstage@Tahrir.Square« am 20. Mai am jungen Schauspielhaus Hamburg uraufgeführt. Der Jugendclub »Backstage« gibt Theaterbegeisterten eine Chance, die Bühne zu entdecken und selbst Projekte zu entwickeln, die während des jährlichen Festivals im Malersaal des Schauspielhaus aufgeführt werden.

 

Es riecht nach Farbe. Auf der kahlen Bühne stehen ein paar Stühle und zwei Mädchen sitzen mit dem Rücken zum Publikum und malen mit schwarzen Pinselstrichen Gesichter an eine Wand. Plötzlich taucht im Hintergrund ein arabisches Musikvideo mit fröhlicher Melodie auf und entführt den Zuschauer in die Straßen Kairos. Gleichzeitig marschiert eine Truppe junger Leute im Gleichschritt auf die Bühne und fällt mit einem Knall auf den Boden.

 

So beginnt das Stück, das die Situation auf dem Tahrir-Platz darstellen soll. Die Inszenierung hangelt sich vom Anfang der Revolution, über Demonstrationen über bis in die Gegenwart Kairos. Anderthalb Stunden begleitet der Zuschauer 12 junge Menschen, die in kurzen Szenen ihre Geschichte zur Revolution erzählen. Das Stück thematisiert die Alltagsprobleme junger Ägypter, ihre Ängste, Hoffnungen und Gedanken zum Thema Freiheit.

 

Fiktive Diktatoren, verwirrte Touristen und Margret Thatcher mit knallroten Lippen

 

Die Darsteller hatten zur Charakterfindung Kontakt zu jungen Ägyptern aufgenommen, die die Revolution in Kairo erlebt haben. Durch Emailverkehr konnten sich die Schüler, die vorher keine Berührungspunkte mit dem arabischen Frühling hatten, ein Bild von der Stimmung auf dem Tahrir-Platz und den Gefühlen ihrer Altersgenossen machen. Viele der Charaktere im Stück sind angelehnt an die wahren Persönlichkeiten in Ägypten. Zwischen Abi-Stress und Nebenjobs schrieben die Schauspieler ihre Texte selbst und entwickelten eigene Gedanken zum Thema Freiheit, die sie kreativ umsetzen. Einmal taucht ein fiktiver Diktator auf, der laute Schimpftiraden auf Persisch hält, in einer anderen Szene trippelt Margret Thatcher mit knallroten Lippen auf die Bühne und sinniert über Freiheit.

 

Die abwechslungsreiche Kombination von Theater und Tanz fesselt das Publikum im ausverkauften Saal. Durch die komischen Auftritte eines verirrten deutschen Touristen herrscht trotz dem ernsten Thema eine fröhliche Atmosphäre. Jede Bewegung hat eine Bedeutung. Der Zuschauer wird herausgefordert, in den abstrakten Bewegungen einen Sinn zu sehen. Die Bühne verwandelt sich mal in einen Bus, der durch den Kairoer Verkehr rast, mal zum Schauplatz für Charlie Chaplins Rede als großer Diktator, dann wieder in den Tahrir-Platz, der mit Tränengas geflutet wird.

 

Mit wenigen Requisiten, wie Handys und Gasmasken, aber mit viel Lust am Schauspielen schaffen es die Nachwuchsdarsteller, eine mitreißende Collage des Lebens am Tahrir-Platz darzustellen. Vielleicht gerade weil die Jugendlichen sich alles selbst erarbeitet haben, gelingt es ihnen die Geschehnisse in Kairo glaubwürdig und leicht verständlich darzustellen, sodass man auch ohne breites Vorwissen das Stück versteht. Die Aufführung ist sehenswert und erfüllt ihr Ziel mal einen anderen, frischen Blick auf die Revolution auf dem Tahrir-Platz zu werfen.


Backstage@Tahrir.Square

Regie: Corinna Popp

Choreographie: Antonia Arboleda-Hahnemann

Aufführungstermine:

am 8.9.2012 bei der Langen Nacht der Theater im Hamburger Schauspielhaus (Ausschnitte)

am Freitag, 28.9.

und am Samstag, 29.9.2012 jeweils um 20:00 im Hamburger Sprechwerk.

www.schauspielhaus.de

Von: 
Mai-Britt Wulf

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