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Interview über Sturz der Muslimbrüder in Ägypten

»Was haben die Muslimbrüder je für Ägypten getan?«

Interview

Erneutes Todesurteil gegen 683 Mursi-Anhänger, Verbot der Bewegung des 6. April, Journalisten weiterhin vor Gericht – Ägyptens Übergangsregierung strebt einen Konformismus an, den auch eine 18-köpfigen Delegation in Berlin vertrat.

»Muhammad Mursi war ein faschistischer Führer einer Gruppe von Terroristen«, wettert Ahmed El-Fadaly, Vorsitzender der »Friedens- und Demokratie-Partei«. Nabil Zaki, der Vorsitzende der nasseristisch orientierten Tagammu-Partei, ergänzt in seiner Rede: »Die Muslimbrüder wurden von einem Hitler-Verehrer gegründet! Ägypten braucht die Hilfe Deutschlands im Kampf gegen diese Terrororganisation!«.  Während des Empfangs einer Delegation von ägyptischen Politikern und Journalisten am 24. April in der ägyptischen Botschaft in Berlin dominierte die politische Hetze gegen die Muslimbrüder.

 

Die Delegation der 18 Politiker und Journalisten repräsentiere die Meinung der ägyptischen Gesellschaft, hieß es von Seiten der Delegationsteilnehmer. Als Aushängeschild für die Meinungsvielfalt der Delegation sollte wohl der ehemalige Muslimbruder Kamal El-Hilbawy herhalten, der bei dem Botschaftsempfang abwesend war. Seine Anwesenheit hätte jedoch kaum etwas an der polarisierten Darstellung der ägyptischen Gesellschaft geändert, da auch er in öffentlichen Reden gegen die Muslimbrüder hetzt.

 

Gegen das düstere Bild des Staatsfeindes, welches die Redner der Delegation von den Muslimbrüdern zeichneten, erhob jedenfalls keiner der Delegationsteilnehmer Einspruch. Die Delegation demonstrierte damit, wie stark der ägyptische Konformismus mittlerweile Medien und Politik durchzieht. Am 28. April wurden weitere 683 Mursi-Anhänger von einem Gericht in Minya zu Tode verurteilt. Trotz internationaler Aufregung und Proteste, die bereits gegen das erste Massenurteil vom 24. März aufflammten, hält die ägyptische Justiz an ihrer Linie fest. Das erste Urteil gegen 529 Mursi-Anhänger bleibt gegen 37 von ihnen bestehen. Die restlichen 492 Angeklagten wurden zu teils lebenslangen Haftstrafen verurteilt.

 

Am 28. April, zeitgleich mit dem zweiten Todesurteil in Minya, sprach ein Gericht in Kairo das Verbot der Jugendbewegung des 6. April aus. Die Bewegung war 2011 an der Organisation der Proteste gegen den damaligen Präsidenten Hosni Mubarak beteiligt. Der Anführer der Bewegung, Ahmed Maher, wurde schon im Dezember 2013, wegen Verstoßes gegen das Anti-Demonstrationsgesetz, zu drei Jahren Haft verurteilt. Aber nicht nur Muslimbrüder und Aktivisten stehen in Ägypten am Pranger. Auch die Presse durchlebt schwere Zeiten.

 

Immer noch stehen 20 Journalisten, davon neun des katarischen TV-Senders Al-Jazeera, in Ägypten unter Anklage, mit der terroristischen Organisation der Muslimbrüder gemeinsame Sache gemacht zu haben. Seit Beginn des Arabischen Frühlings steht Ägypten auf Platz 159 von insgesamt 180 Ländern sehr weit unten in der Rangliste der Pressefreiheit, die jährlich von Reporter ohne Grenzen herausgegeben wird. Bereits während Muhammad Mursis Amtszeit häuften sich die Klagen und Prozesse gegen Journalisten.

 

Doch seit seinem Sturz durch das Militär werden angebliche Sympathisanten der Muslimbrüder in den Medien systematisch verfolgt. Unter den Teilnehmern der ägyptischen Delegation in Berlin befanden sich auch acht Journalisten verschiedenster ägyptischer Medien. Mahmoud Mosallam ist Chefredakteur von Al-Watan, einer ägyptischen Tageszeitung, die im Februar über ein angebliches Mordkomplott deutscher Geheimdienstler gegen Abdelfatah El Sisi berichtete, jegliche Beweise aber schuldig blieb. Mahmoud Mosallam und Hofni Wafi, Journalist bei der halbstaatlichen Al-Ahram, sprechen im Interview darüber, wie sie die Situation der Presse in ihrem Land einschätzen.

 

zenith: Wie bewerten Sie als Journalisten die aktuelle Situation der Medien in Ägypten?

Hofni Wafi: Im Moment haben wir mehr Pressefreiheit und Demokratie. Die Muslimbrüder haben Zeitungen und internationale Fernsehsender geschlossen und Journalisten in ihrer Freiheit eingeschränkt. Mahmoud Mosallam: Die Freiheit der Presse ist jetzt besser als während der Zeit der Muslimbrüder. Sie betrachteten die Medien als ihren ersten Feind und geben ihnen die Schuld für ihr Scheitern. Sie haben einige Fernsehsender, die auf religiöser Grundlage errichtet wurden, für politische Zwecke und religiöse Propaganda missbraucht.

 

...und im Moment gibt es keine derartige Propaganda?

Mahmoud Mosallam: Die besagten Fernsehkanäle wurden geschlossen. Die Pressefreiheit ist jetzt viel besser gewährleistet als vorher. Hofni Wafi: Neue Zeitungen haben Zulassungen bekommen, so dass wir jetzt 70 Zeitungen in Ägypten haben. Aber es gibt auch Regeln für die Presse – von Seiten des Staates. Zum Beispiel darf die Presse nicht über das Militär und die internationale Sicherheit berichten. Unter Mursi durfte nur negativ über das Militär berichtet werden, jetzt weder positiv noch negativ.

 

Wie finden Sie diese Regelung?

Hofni Wafi: Es ist eine Übergangsphase – bis ein neuer Präsident gewählt wird.

 


Mahmoud Mosallam ist Chefredakteur der Kairoer Tageszeitung Al-Watan. Von 2009 – 2012 schrieb er für die Tageszeitung Al-Masry Al-Youm.

 

Hofni Wafi ist Journalist bei der halbstaatlichen ägyptischen Tageszeitung Al-Ahram, der größten und ältesten noch bestehenden arabischsprachigen Zeitung.


 
 
Was sagen Sie zur Inhaftierung der Journalisten von Al-Jazeera?

Mahmoud Mosallam: Al-Jazeera ist für politische Hetze verantwortlich. Der Sender handelt ausschließlich nach der Agenda der Muslimbrüder. Bei einer Meinungsumfrage, die Al-Jazeera selbst nach der Revolution vom 30. Juni durchführte, musste der Sender feststellen, dass seine Zuschauerzahlen in Ägypten zurückgegangen sind. Diejenigen, die sich auf die Informationen von Al-Jazeera verlassen, kann man an einer Hand abzählen. Al-Jazeera bricht die Gesetze des Landes. Und zudem stehen nur wenige Vertreter des Senders tatsächlich vor Gericht. Hofni Wafi: Al-Jazeera arbeitet ohne Zulassung in Ägypten und unterstützt die Muslimbrüder und den Terrorismus. Katar und Al-Jazeera wollen Ägypten unterdrücken. Zur Zeit von Mursi war Al-Jazeera ausnahmslos die Stimme der Muslimbruderschaft.

 

Aber gehört es nicht zur Pressefreiheit dazu, dass auch den Muslimbrüdern Gehör verschafft wird?

Hofni Wafi: Pressefreiheit heißt nicht, dass die nationale Sicherheit bedroht werden darf – auch in Deutschland würde das keinem Fernsehsender erlaubt werden. Abgesehen davon wurde auch zur Zeit von Mursi stark in die Pressefreiheit eingegriffen. Hamdeen Sabbahi, ein Kandidat bei den Präsidentschaftswahlen von 2012, wurde nach Mursis Wahlsieg ein Auftrittsverbot im Fernsehen erteilt. Ich habe damals für den Fernsehsender CBC gearbeitet. Uns wurde gedroht, dass der Sender geschlossen wird, wenn wir Hamdeen Sabbahi einladen.

 

Ahmed al-Fadaly, Vorsitzender der »Friedens- und Demokratie-Partei« und Mitglied der Delegation, hat Mursi als »faschistischen Führer einer Gruppe von Terroristen« bezeichnet.

Mahmoud Mosallam: Er hat Recht. Mursi war ein Präsident, der zum Terrorismus aufgerufen hat. In einer seiner letzten Reden vor der Revolution sagte er: »Entweder ich oder es fließt Blut«. Das war das einzige Versprechen, das er erfüllt hat. Immer wieder versprach er den Ägyptern Dinge, die er dann nicht lieferte.

 

Ahmad Al-Fadaly sagte auch, dass die westlichen Medien nicht richtig darüber informiert seien, was in Ägypten geschieht.

Hofni Wafi: Das stimmt. Der amerikanische Fernsehsender CNN zum Beispiel bringt immer falsche Nachrichten über Ägypten. Sie zeigen nur die eine Seite. Die ägyptischen Medien kommen nicht gegen die falsche Berichterstattung ausländischer Medien aus der Türkei, Katar oder Großbritannien an.  Mahmoud Mosallam: Wir haben nach der Revolution des 30. Juni gelernt, dass die internationalen Medien nicht neutral sind. Früher dachte ich immer, dass ausländische Medien wie CNN und The Guardian eine Oase für professionelle journalistische Arbeit sind und Meinungsfreiheit, Demokratie und Liberalismus unterstützen. Leider mussten wir feststellen, dass sie entweder von politischen Tendenzen ihrer Mitarbeiter oder von den Staaten in denen sie tätig sind, kontrolliert werden.

 

Gilt das auch für deutsche Medien?

Hofni Wafi: Ich kenne nur die Deutsche Welle. Dort habe ich gelernt, dass Journalismus neutral sein muss. Aber die deutschen Medien haben keinen großen Wert in Ägypten im Vergleich zu amerikanischen und britischen Medien. Mahmoud Mosallam: Wir haben zum Beispiel ein Problem mit dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel und dem deutschen Fernsehen. Einer meiner Freunde verehrte Deutschland, bis er während der Revolution des 30. Juni in Deutschland war. Überrascht musste er feststellen, wie groß das Ausmaß der gezielten falschen Berichterstattung in Deutschland war. In Deutschland hörte er, dass die Mehrheit der ägyptischen Bevölkerung auf Seiten der Muslimbrüder stehe und das, was am 30. Juni geschah, ein Putsch gewesen sei. Tatsächlich aber war es eine Massenbewegung gegen die Muslimbrüder, hinter der das gesamte ägyptische Volk stand. Außerdem war es kein Putsch, sondern eine Befreiung.

 

Journalisten des Fernsehsenders ARD wurden in Ägypten angegriffen.

Hofni Wafi: Bei Demonstrationen in Griechenland wurden ägyptische Journalisten geschlagen. Solche Übergriffe gibt es also nicht nur in Ägypten. Die Polizei in Ägypten nimmt viele Spionagegruppen fest, da viele Länder, wie Israel gegen uns arbeiten. Wir erleben jetzt eine Übergangsphase. Im Mai werden die EU und alle großen Menschenrechtsorganisationen die Präsidentschaftswahlen in Ägypten beobachten. Alle Journalisten können über die Wahlen berichten. Es wird zwei Kandidaten geben: Abdel-Fatah El Sisi, der für uns ein Held wie der frühere ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser ist, und Hamdeen Sabbahi.

 

Finden Sie nicht, dass auch Muslimbrüder an einer Delegationsreise wie Ihrer nach Deutschland teilnehmen sollten?

Mahmoud Mosallam: Die Muslimbrüder haben sich selbst ins Abseits gestellt. Sie haben Einladungen seitens der ägyptischen Regierung für ihre Beteiligung am Dialog mehrfach abgelehnt. Sie haben sich lieber gegen das Volk, das Militär und die Polizei gestellt und sich mit ausländischen Staaten wie den USA verbündet, um das ägyptische Volk zu bekämpfen und zu zerstören. Sie sind auf Seiten von Al-Qaida und anderer terroristischer Organisationen. Wir sind anders, deswegen wollen sie sich nicht mit uns verbünden.

 

Was sagen Sie zu den Maßnahmen gegen Muhammad Mursi und die Muslimbrüder?

Hofni Wafi: Mursi war ein Diktator, der seine Macht vergrößern wollte und gegen die Gerechtigkeit gearbeitet hat. Die Muslimbrüder stören die Studenten an der Universität und die ägyptische Gesellschaft, da sie täglich Anschläge verüben. Seit achtzig Jahren gibt es die Muslimbrüder in Ägypten, aber was haben sie schon für Ägypten getan?

Von: 
Laura Pannasch

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