Lesezeit: 7 Minuten
Islamistische Parteien in Nordafrika

Gewählte Islamisten

Analyse
von Ziad Majed

Nach den Wahlen werden islamistische Parteien die politische Landschaft Nordafrikas prägen. Aber auch Muslimbrüder und Salafisten werden sich an ihre neue Rolle gewöhnen – und sich an ihrer Politik messen lassen müssen.

Es war keine große Überraschung, dass »Islamisten« mit Wurzeln in der Muslimbruderschaft in Tunesien, in Form der Partei Al-Nahda, 38 Prozent und in Ägypten, dem Ursprung der Bewegung, wo sie als Freiheits- und Gerechtigkeitspartei antreten, 38 Prozent der Stimmen erhielten.

 

Da die Bruderschaft als politische Kraft unter den meisten arabischen Regimen jahrzehntelang verboten war, nahm sie stets für sich in Anspruch, die einzig wirkliche Alternative zu bieten. Nach dem Umbruch in Ägypten und Tunesien traten sie in den ersten freien Wahlen als »Außenseiter« an, die sich von der alten politischen Ordnung von dominantem Regime und schwacher, aber zugelassener Opposition radikal abgrenzte. Auf diese Weise gaben sie sich Anstrich von politischer Unschuld, befreit vom Ballast der Vergangenheit und damit in den Augen vieler Wähler außer- – oder gar überhalb – der Kritik an der vergangenen Epoche.

 

Und natürlich verfügten die Muslimbrüder über einen Organisationsapparat, der an politische Verfolgung angepasst und in der Lage war, auf umfangreiche materielle Ressourcen, Mobilisierungspotenzial und griffige Slogans zurückzugreifen. All das gab den Muslimbrüdern einen fast unschlagbaren Wettbewerbsvorteil im Kampf um die Stimmen.

 

In Marokko kamen die Muslimbrüder – repräsentiert durch die »Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung« (PJD) nicht über 26 Prozent hinaus, obwohl dieses Ergebnis immer noch ausreichte, um als stärkste Kraft aus den Wahlen hervorzugehen. Die Gründe dafür korrespondieren auch mit dem Abschneiden ihres jordanisches Zweiges vor knapp zwei Jahrzehnten. Denn ihre politisch-religiöse Identität ist weder von dem Maß an Verfolgung wie in Ägypten geprägt. Außerdem steht sie nicht im Konflikt mit der Identität, aus dem das Königshaus seine Legitimität bezieht – so wie auch in Jordanien sieht sich die Monarchie in Marokko in der Linie der Haschemiten, der Sippe des Propheten Muhammad.

 

Dass die Muslimbrüder in Marokko nicht noch stärker abschneiden, liegt auch daran, dass hier säkular ausgerichtete Parteien viele Wähler mit ihren politischen und ökonomischen Positionen erreichen können, die von der Agenda der PJD nicht abgedeckt werden.

 

Das Mubarak-Regime sah die Salafisten auch als Gegengewicht zu den Muslimbrüdern

 

Die wirkliche Überraschung der ersten nachrevolutionären Wahlphase ist dagegen der Wahlerfolg der Salafisten in Ägypten, allen voran der Al-Nour-Partei, die fast ein Viertel aller Stimmen auf sich vereinen konnten. Überraschend, weil die meisten Umfragen ihnen ein Abschneiden zwischen 10 und 15 Prozent bescheinigt hatten.

 

Wenn man aber genauer hinschaut, lassen sich einige Aspekte des raschen Aufstiegs der Salafisten erklären. Noch mehr als die Muslimbrüder können sie für sich Anspruch nehmen, sich nicht am politischen Spiel der Mubarak-Ära beteiligt zu haben und profitieren zugleich von Jahren großzügiger finanzieller Unterstützung aus den Golf-Ländern. Gerade in den vergangenen Jahren expandierte ihr Netzwerk an Moscheen und religiös-karitativen Einrichtungen sprunghaft, zudem erreichten sie durch PR-Kampagnen für Hajj-Fahrten nach Mekka oder die Verschleierung von Frauen große mediale Aufmerksamkeit.

 

Nicht außer Acht gelassen werden sollte aber auch, dass die Behörden die Salafisten stets gewähren ließen. Einerseits übernahmen diese wichtige sozialkaritative Aufgaben – und sparten dem Staat so eine Menge Geld – und zeigten gleichzeitig keinerlei Ambitionen auf politisches Engagement. Andererseits bildeten die Salafisten so auch ein Gegengewicht zu den Muslimbrüdern, deren Mitglieder bei Wahlen, wenn nicht als Partei, aber häufig als Einzelkandidaten antraten.

 

Mögen sich die Salafisten auch zum ersten Mal an den Wahlen beteiligen, so scheinen sie dennoch die zweite politische Kraft im Land zu sein – mit einer Rhetorik, die sich von allen anderen Kräften unterscheidet und ihrem starken religiösen Bezug als Fundament der Politik. Aber auch die Salafisten werden sich mit ihrer neuen Rolle als politisch relevanter Akteur zurecht finden und den politischen Realitäten anpassen müssen.

 

Freitagspredigten allein werden Ägyptens Probleme nicht lösen

Diese neue Realität beschert Muslimbrüdern und Salafisten zunächst legislative – und bald gar – die exekutive Macht in Ägypten. All das basiert auf dem Mandat der Wähler und gemäß des demokratischen Zyklus, der einen politischen und rechtlichen Rahmen vorgibt. Die neue Macht bringt somit Verantwortlichkeit mit sich – gegenüber der veröffentlichten Meinung, aber auch in Form von Protesten und – auch das darf nicht vergessen werden – im Hinblick auf die nächsten Wahlen.

 

Wenn die Islamisten in Ägypten ihren Wahlerfolg also wiederholen wollen, müssen sie ihre Versprechen in glaubhafte Lösungen für eine ganze Reihe von Problemen umsetzen: Arbeitslosigkeit, Wirtschaftspolitik, Stadtentwicklung sowie Steuer-, Gesundheits- und Justizwesen sind hier die drängendsten, aber beileibe nicht die einzigen Politikfelder, zu denen die Parteiprogramme der Islamisten bislang meist schwiegen. Ebenso wichtig wird es für sie sein, einen pragmatischen Ansatz zum Platz Ägyptens in den regionalen und internationalen Beziehungen zu entwickeln. Freitagspredigten allein werden all diese Probleme nicht lösen.

 

Das Jahr 2012 wird von einer Reihe politischer, ideologischer und sozialer Konfrontationen in vielen arabischen Ländern geprägt sein. Solange diese Konfrontationen auf friedliche und zivile Art ablaufen, wird ihr Ausgang allein durch die Machtbalance innerhalb dieser Gesellschaft bestimmt werden. Und allein das – ungeachtet der immer wieder aufflackernden Krisen – wird eines bestätigen: Der Arabische Frühling von 2011 ist unumkehrbar.

Von: 
Ziad Majed

Banner ausblenden

Die neue zenith 02/2022 ist da: Reise zum Mittelpunkt der Erde

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Die neue zenith ist da: mit einem großen Dossier zur Region Persischer Golf und überraschenden Entdeckungen. Von Archäologe über Weltpolitik und Wattenmeer zu E-Sports und großem Kino.

Banner ausblenden

Newsletter 2

Der heiße Draht

Frische Analysen, neue Podcast-Folgen, exklusive Einladungen zu Hintergrundgesprächen und Werkstattberichte: Jeden Donnerstag erhalten tausende Abonnenten den zenith-Newsletter. Sie  wollen auch auf dem Laufenden bleiben? Dann melden Sie sich hier kostenlos an.

Banner ausblenden

WM Katar

So eine WM gab es noch nie

Auf 152 Seiten knöpfen sich Robert Chatterjee und Leo Wigger alle wichtigen Fragen rund um die erste Fußball-WM in einem arabischen Land vor.