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Islamwissenschaftlerin Leyla Yawari

»Es gibt in ganz Deutschland Familien, in denen der Josef fehlt«

Interview

Islamwissenschaftlerin Leyla Yawari über ihr Kinderbuch »Weihnachten gehört allen!«, den fehlenden Josef und eigene Weihnachtserfahrungen.

zenith: Wie ist die Idee zu Ihrem Buch »Weihnachten gehört allen!« entstanden?

Leyla Yawari: Die Idee entstand auf zwei Ebenen: Im Rahmen meines Studienfaches der Erziehungswissenschaften habe ich gemerkt, dass es dort eine große Nachfrage aber wenig Material zum aktuellen interreligiösen Themen gibt. Zudem ist meine Magisterarbeit interkulturell angelegt. Es geht für mich darum, in Zeiten der extremen Außenpositionen von Thilo Sarazin auf der einen Seite und Pierre Vogel auf der anderen Seite zu zeigen, dass es nicht nur diese Perspektiven gibt. Ich sehe mich als interreligiöse, interkulturelle Mitte und als Bildungslobbyist.

 

Inwiefern ist dieses Buch denn Bildungslobbyismus?

Ich will an die Leute Informationen vermitteln, die zwischenmenschlich relevant sind. Es ist zwar ein Kinderbuch, aber es steckt auch eine Message für Erwachsene drin – sowohl für Bild- aber auch für Spiegel-Leser. Es ist aber auch ein Buch zum Vorlesen und Selbstlesen im Kindergarten und in der Grundschule.

 

Weshalb haben Sie gerade die Weihnachtsgeschichte aufgegriffen?

Die Idee kam ursprünglich von Kindern selbst. Ich hatte vor einer 2. Grundschulklasse über Maria im Islam erzählt. Am Ende sagten die Kinder: »Das ist ja wie bei uns.« Sie meinten damit Maria als alleinerziehende Mutter. So wie in der Erzählung im Koran, gibt es in ganz Deutschland Familien, in denen der Josef fehlt.


Leyla Yawari

 

 

lebt in Hamburg, studiert Islamwissenschaften, Erziehungswissenschaften und Ethnologie und engagiert sich für interkulturelle und interreligiöse Projekte. Das vorliegende Buch erschien in ihrem eigenen Verlag und entstand parallel zu ihrer Magisterarbeit. Sie bezeichnet sich selbst als persischstämmige Deutsche mit Migrationsvordergund.


Sie selbst haben iranische Wurzeln. Wie kamen Sie eigentlich mit Weihnachten erstmals in Kontakt?

Das war zu meiner Grundschulzeit. Wie auch im Buch gab es da ein Krippenspiel, bei dem ich mitgemacht habe. Ich spielte allerdings nicht die Maria sondern einen Stern im Hintergrund. Mein interreligiöses Verständnis wurde aber auch von meiner Familie geprägt. Meine Mutter schaute nicht nur das Krippenspiel an, sondern ging mit mir auch in eine Kirche. Dort spendete sie 5 D-Mark, was für mich als Kind unheimlich viel Geld war. Darum fragte ich sie, warum sie das Geld nicht unserem Gott schenkt. Da erklärte sie mir: »Das Geld kommt beim gleichen Gott an – es gibt nur einen Gott.«

 

Das Buch enthält auch einige Bilder, die nicht wie typische Weihnachtsbuch-Illustrationen aussehen. Was ist der Gedanke dahinter?

Die Bilder hat die Sängerin Nneka gemalt. Ich habe sie schon vor Jahren kennengelernt, als sie die Musik für einen Kurzfilm gemacht hat, den ich drehte. Religiöse und interkulturelle Themen brennen uns beiden unter den Nägeln. Da ich auch die Bilder in ihrer Wohnung kenne, die sie selbst gemalt hatte, war sie meine erste Wahl, und sie sagte auch sofort zu. Ja, die Bilder sind nicht klassisch, aber ich finde es legitim, dass ein Engel auch mal eine dunkle Hautfarbe hat.

 

Das unterstreicht, dass es sich um kein gewöhnliches Kinderbuch zur Weihnachtszeit handelt.

Nein. Ich möchte natürlich Kinder ansprechen, aber eben auch die breite Masse der Gesellschaft erreichen, die die im Buch beschriebene Situation selbst bereits lebt. Und darin will ich sie unterstützen. Das ist meine Perspektive des interkulturellen Dialogs: Kenntnis vom anderen haben und mehr miteinander reden. Insofern bin ich auch gegen islamischen Religionsunterricht an Schulen, da die Schüler dabei ja wieder voneinander getrennt werden.

 

Nun hat die Weihnachtszeit begonnen, was bedeutet für Sie ganz persönlich Weihnachten?

Weihnachten steht für mich im Kontext der Nächstenliebe. Darin erschöpft sich auch der interreligiöse Dialog: Es geht darum, dass ich meinem Gegenüber die selben Rechte einräume wie mir selbst – egal welche Religion oder Hautfarbe der andere hat.

Von: 
Matthias Naue

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