Reuven Rivlin entschuldigt sich bei einer Gedenkfeier für das Massaker von Kfar Qasim im Jahr 1956, bei dem Grenzpolizisten 49 arabische Israelis töteten. Israels neuer Präsident beweist einmal mehr, dass er kein Grüßaugust sein will.
Politiker werden oft zur Zielscheibe – Tony Blair wurde mit Eiern beworfen, Silvio Berlusconi mit einem Miniaturmodell des Mailänder Doms, und Joschka Fischer bekam einst einen roten Farbbeutel ans Ohr. Auch Reuven Rivlin wurde in seiner langen Politkarriere schon Opfer eines Wurfgeschosses: einem mit Obst und Sahne gedeckten Kuchen. Doch das ist lange her. Heute ist der bald 75-Jährige Israels zehnter Staatspräsident und tritt das große Erbe seines Vorgängers Schimon Peres an.
Fest steht: Rivlin wird gar erst nicht versuchen, auf den Spuren des greisen Nobelpreisträgers zu wandeln und in den Hauptstädten dieser Welt für den Frieden in Nahost zu werben. Er sieht seine Hauptaufgabe in Israel selbst, will die fragmentierte Gesellschaft einen. Peres war ein Präsident der internationalen Salons, Rivlin wird einer der israelischen Wohnstuben sein – dazu passend verzichtet er auch auf die Präsidentenresidenz und bleibt in der von ihm 1973 gekauften Vier-Zimmer-Wohnung wohnen.
Das kommt bei vielen Israelis gut an, ebenso wie der Großvater-Humor des talentierten Witzeerzählers und studierten Juristen mit dem Spitznamen »Rubi«. Im Gegensatz zu seiner italienischen Namensvetterin war der in erster Ehe verheiratete Familienvater von vier Kindern indes noch nie in einen Skandal verwickelt. Oberflächlich betrachtet, ist Reuven Rivlin ein Politiker der alten Likud-Garde, aus echtem Schrot und Korn. Der füllige Vegetarier mit der faustgroßen Nase war 2005 gegen die Räumung der Siedlungen im Gazastreifen, er lehnt bis heute eine Zweistaatenlösung ebenso ab wie eine Teilung Jerusalems – jene Stadt, die seit 1809 der Stammsitz seiner Familie ist und in der er seit seiner Geburt im Stadtteil Rehavija lebt.
Rivlins Mutter Rachel war politisch aktiv und wurde 101 Jahre alt. Sein Vater Josef gehörte zum Establishment der heiligen Stadt, als diese noch ein Provinznest des Osmanischen Reiches war, saß im Ersten Weltkrieg wegen Wehrdienstverweigerung in Damaskus im Gefängnis, promovierte sich später in Frankfurt am Main in Arabistik und Islamwissenschaft, ehe er nach Jerusalem zurückkehrte, die »Geschichten aus Tausendundeiner Nacht« ins Hebräische übersetzte und Professor für Nahoststudien an der Hebräischen Universität wurde.
Von diesem Vater, der in den 1960er Jahren selbst einen Anlauf unternahm, israelischer Präsident zu werden, wurde Reuven Rivlin im zionistisch-revisionistischen Geist erzogen. Er diente als Nachrichtenoffizier unter Mordechai »Motti« Gur im Sechs-Tage-Krieg – ergo: in jener Reservisteneinheit, die die Jerusalemer Altstadt als erste erreichen sollte. Als Zivilist machte er schnell Karriere, war Manager des Fußballvereins Beitar Jerusalem, stellvertretender Bürgermeister von Jerusalem und im Vorstand der Fluggesellschaft El Al.
Erst in den späten 1980er Jahren wandte er sich endgültig der Politik zu. Rivlin ist konservativ – und zugleich ein persönlicher Freund des einstigen Arafat-Consigliere Ahmad Tibi, der für die arabisch-israelische Ta’al-Partei in der Knesset sitzt. Rivlin in einem Links-rechts-Schema eindeutig verorten zu wollen, ist deshalb zu kurz gedacht; selbst die linksliberale Tageszeitung Haaretz nannte ihn einen »Advokaten der Demokratie«. Rivlin ist stets ein unabhängiger Kopf geblieben und nimmt nie ein Blatt vor den Mund. »Israels Führung ist wie ein Hund«, sagte er 2010 öffentlich. »Wie ein Hund sitzen sie da und warten, wohin ihre Herren gehen; unsere politischen Führer warten auf die Umfragewerte.«
»Wir können uns dem wilden und brutalen Terror von Muslimen und Juden beugen – oder ihm in jeder Hinsicht ein Ende bereiten«
Wegen solcher Aussagen wollte Ministerpräsident Benjamin Netanyahu ihn unbedingt verhindern, gar das Amt des Staatspräsidenten abschaffen. Vergeblich: 63 der 120 Abgeordneten stimmten am 10. Juni für Reuven Rivlin als Präsidenten, den Mann der politischen Kärrnerarbeit, der in 15 Jahren als Parlamentsmitglied in mehr als 40 Knesset-Arbeitsgruppen gesessen hat und bei dem auch weiterhin keine Anzeichen von Politikverdruss zu erkennen sind.
Noch als designierter Präsident verfasste er gemeinsam mit Schimon Peres im Sommer einen Kommentar für die Tageszeitung Jediot Achronot – und geißelte die Entführung und Ermordung dreier israelischer Jugendlichen und eines palästinensischen Jungen in deutlichen Worten: »Wir können uns dem wilden und brutalen Terror von Muslimen und Juden beugen – oder ihm in jeder Hinsicht ein Ende bereiten.«