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Kandidaten für die ägyptische Präsidentschaft

Fünf vor Zwölf

Feature

Vor dem ersten Wahlgang rechnen sich fünf Kandidaten beste Chancen für die ägyptische Präsidentschaft aus. Denn dass die Kontrahenten aus Ägyptens ersten TV-Duell auch in die Stichwahl kommen, ist alles andere als ausgemacht.

Kurz vor den ersten freien Präsidentschaftswahlen Ägyptens läuft der Wahlkampf auf Hochtouren. Als aussichtsreiche Kandidaten gehen ins Rennen: Amr Moussa, ehemaliger Außenminister; Abdel Moneim Abou El Fotouh, unabhängiger, moderater Islamist; Muhammad Mursi, Kandidat der Muslimbrüder; Hamdeen Sabahi, säkularer Nasserist und Ahmed Schafik, letzter Premierminister unter Mubarak. Die erste große Frage, die sich am Wochenende stellt, ist: Wer geht in die Stichwahl?

 

Bis letzte Woche schien alles auf Abdel Moneim Abou El Fotouh und Amr Moussa hinauszulaufen. Die beiden duellierten sich dann auch in Ägyptens erstem, groß angelegtem TV-Duell. Ganze vier Stunden konnten die Ägypter im Fernsehen verfolgen, wie die beiden Kandidaten zu Themen wie Wirtschaft, Religion, Armutsbekämpfung etc. stehen. Und das taten sie auch – in allen Cafés wurde die Debatte übertragen, und die Menschen schauten gespannt zu, es war brechend voll wie bei einer Fußballübertragung.

 

Während Amr Moussa sich als Staatsmann gab und seine politische Erfahrung betonte, präsentierte sich Abou El Fotouh als ausgleichender, moderater Kandidat der Revolution mit Unterstützung aus allen Lagern. Er warf seinem Gegner Moussa vor, als Vertreter des alten Regimes nicht demokratisch gesinnt zu sein. Abou El Fotouh hingegen sei in erster Linie ein islamistischer Kandidat – und das ohne Erfahrung, konterte Moussa.

 

Beides wirkte. In den Tagen darauf wurden beide Kandidaten kritischer gesehen, vor allem unter liberalen und gemäßigten Wählern – der Mitte eben. Amr Moussa habe nichts gesagt, keine konkreten Aussagen gemacht, er sei ein Opportunist, der sich nicht klar vom Militär distanzieren will. Als Präsident brauche man nun jemand Neues. Doch viele hinterfragten auch den Konsenskandidaten Abou El Fotouh: Wie kann dieser von Salafisten und Liberalen gleichzeitig unterstützt werden?

 

Wie weit wird er gehen, um die wichtigen Stimmen der Salafisten zu bekommen, welche Zugeständnisse wird er machen müssen? Viele Liberale und Revolutionäre warnen bereits seit längerem davor, Abou El Fotouh zu wählen. Er sei kein liberaler Kandidat und wolle, genau wie Muslimbrüder und Salafisten, die Scharia durchsetzen.

 

Der Nasser-Jünger und die Sofa-Partei

 

Und so macht ein anderer Kandidat immer mehr von sich reden: Hamdeen Sabahi. Der Vorsitzende der nasseristischen Partei »Karama – Würde« ist plötzlich auch auf Plakaten an jeder Ecke zu sehen. Sein Wahlspruch »Einer von uns« überzeugt nun nicht mehr nur junge Linke und Nasser-Fans, auch viele Wähler der Mitte sympathisieren nun mit Sabahi. Dabei schlägt er derbe Töne an, beispielsweise mit seinem Ziel, Ägyptens Führungsmacht in der arabischen Welt wieder herzustellen oder Ägypten bis 2020 unter die 10 größten Volkswirtschaften der Welt zu führen. Gegner werfen ihm daher seinen diktatorischen Stil vor. Er wolle Nasser spielen, was wie aus der Zeit gefallen wirke. Ob er am Ende ein überraschend gutes Ergebnis erzielt und vor dem Muslimbruder Mursi landet, bleibt abzuwarten

 

Indes kämpfen die Kandidaten in den letzten Tagen vor der Wahl um jede Stimme. Nicht nur im politisierten Kairo, vor allem in den ländlichen Gegenden wie dem Nildelta, wo die Mehrheit der Ägypter wohnt. Jeder kämpft dabei mit seinem eigenen Stil: Amr Moussa präsentiert sich als erfahrener Politiker, als Staatsmann; Mohamed Mursi von den Muslimbrüdern kaschiert sein mangelndes Charisma mit extremen Parolen wie »Der Koran ist unsere Verfassung«; Abou El Fotouh wirbt mit seinem ausgleichenden Politikstil: »Ich werde euch vor allem zuhören. Als Präsident werde ich euch dienen.«

 

Vor einem jedoch haben Liberale wie Islamisten Angst: Ahmed Schafik, letzter Ministerpräsident unter Mubarak und damit Vertreter der alten Ordnung, liegt in den Wahlumfragen immer auf den ersten Plätzen. Er spricht davon, Ordnung in kürzester Zeit wieder herzustellen, koste es was es wolle. Er droht öffentlich Demonstranten. Ihm trauen viele zu, dass er nach Amtsübernahme sofort das Parlament auflöst. Doch wer wählt ihn dann? Die »Hizb Kanaba«, die Sofa-Partei, die sich die Revolution bequem aus dem Sessel angeschaut hat und nun das Chaos beenden will, so wie es ihnen das Staatsfernsehen lange genug eingetrichtert hat. Ob er wirklich so stark abschneidet wie Umfragen ihn sehen, wird man am Wochenende wissen.

Von: 
Victoria Tiemeier

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