Michael Lüders versucht in seinem neuen Buch, den Arabischen Frühling dem breiten Publikum nahe zu bringen. Leider bleibt der Islamwissenschaftler dabei allzu oft an der Oberfläche.
In den vergangenen Monaten war Michael Lüders omnipräsent: Wenn es um den Arabischen Frühling zwischen Tunis und Sanaa, Kairo und Damaskus ging, saß er in der Rolle des Experten auf den Sofas von Anne Will & Co. Fachkundig und unterhaltsam erklärte der promovierte Islamwissenschaftler den Deutschen, was es mit der »Arabellion« auf sich hat – und hat nun ein 200 Seiten dickes Buch darüber geschrieben: »Tage des Zorns. Die Arabische Revolution verändert die Welt«.
Der ehemalige Nahost-Korrespondent der ZEIT beschreibt alle Länder, angefangen von Tunesien und Ägypten, über die Veränderungen in den Golfstaaten und in Syrien. Leider ist dieser Rundumschlag inklusive historischer Einordnungen gründlich misslungen. Der Leser hat bereits nach wenigen Seiten das Gefühl, dass Lüders lediglich zu Hause seine zahlreichen Auftritte in all den Brennpunkten und TV-Talkshows nochmals angeschaut und die Antworten verschriftlicht hat. Zwar sind seine Selbstzitate sprachlich brillant und richten sich an eine breite Leserschaft, ernüchternd ist die Lektüre dennoch.
Statt das große Ganze mit interessanten Details zu unterfüttern, verliert sich der Islamwissenschaftler entweder in lückenhaften Allgemeinplätzen – so erklärt er den israelisch-palästinensischen Konflikt in weniger als 30 Seiten inklusive der gegenwärtigen Auswirkungen auf selbigen – oder belässt es dabei, andere Quellen zu kommentieren, wie im Kapitel »Von der Friseurin zur Milliardärin – Macht und Mafia (nicht nur) in Tunesien«.
Hier wäre weniger mehr gewesen
Lüders zeigt auf neun Seiten, wie der Trabelsi-Clan der Gattin des tunesischen Ex-Präsidenten Ben Ali das Land ausgeplündert hat. Fünf Seiten stammen aber nicht aus seiner Feder, sondern sind lediglich kommentierte Abdrucke der Wikileaks-Depeschen aus der US-Botschaft in Tunesien aus dem Jahr 2008.
Ebenfalls ernüchternd ist der moralische Zeigefinger, der vor dem geistigen Auge des Lesers erscheint, wenn Lüders erklärt, die Arabische Revolution passe nicht auf die »vorherrschende ›mentale Festplatte‹« und dann die leidige Sarrazin-Debatte mit den Ereignissen im Nahen Osten vermengt, um zu erklären, die »Mehrheit« frage sich: »Wie kann es sein, dass diese dumpfe Masse Mensch, verfallen einer mittelalterlichen Religion, nach Weltherrschaft strebend, zu einer Solidarität, die Geschichte schreibt?«
Weitaus aufschlussreicher sind seine Ausführungen »Über Inseln« und »Über Greise«, in denen er das Verhalten der Machthaber der Golfregion und des dort ansässigen Satellitensender Al-Jazeeras erklärt. Leider beendet Lüders sein Buch mit einem Ausblick, der wiederum wenig Neues liefert. Auf sieben Seiten streift er die Reformbestrebungen der jordanischen und marokkanischen Monarchen, reißt die komplexen innenpolitischen Probleme der Golfemirate an, die gegenwärtige Lage im Iran und erläutert den außenpolitischen Profilgewinn Ankaras durch die Regierung Erdogan, um in den letzten Zeilen den euro-mediterranen Dialog anzumahnen.
Fazit: Hier wäre weniger mehr gewesen – auch wenn sich das Buch an eine breite Leserschaft richtet.
Tage des Zorns
Die arabische Revolution verändert die Welt
Michael Lüders
C.H. Beck, 2011
207 Seiten, 19,95 Euro