Der neue Roman von John Grisham zeichnet den Weg eines Basketballers aus dem Südsudan an ein US-College nach – und das Schicksal von dessen Familie im Flüchtlingslager in Uganda. Eine Perspektive, die Schule machen sollte.
John Grishams Roman »Das Talent« über einen Südsudanesen, der in den USA zum Basketballstar wird, ist ein sehr amerikanisches Buch. Der Aufstieg des Protagonisten ist märchenhaft und hollywoodreif, die Verführungen durch Geld, Frauen und Drogen sind allgegenwärtig. Nun wäre es bequem, das Buch als leichte Lektüre eines Beststeller-Autors abzutun, aber damit wird man der Geschichte und wie Grisham sie aufbereitet, nicht gerecht.
Und das hat wiederum mit den ziemlich amerikanischen Qualitäten des Buches zu tun. Dazu zählen gute Recherche, große Präzision in den Details und vor allem die Bereitschaft, Einwanderungsbiografien als Erfolgsgeschichten zu schreiben. Und ja natürlich die Liebe zu Erfolgsgeschichten, wenngleich Grisham seinen Lesern zumindest eine böse Überraschung liefert.
Der Autor erzählt die Geschichte von Samuel Sooleymon aus dem Dorf Lotta bei Rumbek im Südsudan. Auf den Erdplätzen in seiner Heimat spielt er Basketball – besonders gut werfen kann er nicht, dribbeln ist auf der unebenem Untergrund auch nicht so einfach. Aber er hat Ehrgeiz und Ausstrahlung.
Grisham erzählt parallel vom Leben im Flüchtlingslager und von Samuels Karriere an der North Carolina Central University
Als er von einem Scout entdeckt wird, ist er 17 Jahre alt und 1,88 Meter groß. Zahlen und Statistiken wie Wurfquoten und durchschnittliche Einsatzzeiten sind die Währungen im US-amerikanischen Sport, dementsprechend nehmen sie auch im Roman viel Platz ein. Eine Reise mit einer südsudanesischen Auswahlmannschaft zu einem Turnier mit Nachwuchsteams in den USA wird zum Wendepunkt in seinem Leben.
Als er sich an die großen Hallen gewöhnt und den immensen Aufwand, der für die Talentrekrutierung im College-Basketball betrieben wird, erfährt er, dass sein Dorf im Südsudan von Rebellen überfallen wurde. Nach und nach tröpfeln die Nachrichten ein: Sein Vater wurde getötet, seine Schwester verschleppt, immerhin schaffen es seine Mutter und seine jüngeren Brüder, sich in ein Flüchtlingslager in Uganda durchzuschlagen.
Grisham erzählt nun parallel vom Leben im Flüchtlingslager und von Samuels Karriere an der North Carolina Central University, einem schwarzen Community-College. Dort erhält er ein Sport-Stipendium – weniger wegen seiner basketballerischen Fähigkeiten als aus Hilfsbereitschaft und dank des Engagements einiger Fürsprecher.
Neben den Vorlesungen und dem Training hat er noch einen Job als Hilfskraft der Football-Mannschaft der Universität: »Er konnte es noch immer nicht fassen, dass er ein Vollstipendium im Gegenwert von 22.000 Dollar pro Jahr erhielt und von der Central 7,25 Dollar pro Stunde dafür bekam, dass er Handtücher faltete und hinter der Footballmannschaft aufräumte.«
Filmreif ist das durchaus, hin und wieder auch kitschig, aber ist das ein Problem?
Grishams Buch lebt von dem Gegensatz zwischen Samuels Leben als Sportler an der US-Uni und der Monotonie und dem Mangel, die seine Familie im Flüchtlingslager erleben. So weit diese Welten auch auseinanderliegen, gibt es eine Gemeinsamkeit. Die Tagesabläufe sind stark von Regeln durchsetzt – präzise und ausführlich von Grisham beschrieben.
Wer den US-College-Sport schätzt, kommt hier auf seine Kosten. Samuel, dem inzwischen der Spitzname »Sooley« verpasst wurde, wächst noch, inzwischen misst er mehr als zwei Meter und auch als Basketballer wird er zunehmend zur Attraktion. Mit seinem Team, den »Eagles«, schlägt er auch favorisierte Mannschaften von reicheren Colleges, selbst die Talentspäher der NBA werden auf ihn aufmerksam. Damit lockt das ganz große Geld.
Der Traum vom Aufstieg wird von Grisham nicht hinterfragt, er wird aber hinterlegt mit großer Empathie und einem aufrichtigem Interesse an dem Schicksal von Menschen im Bürgerkrieg im Südsudan. Die Szenen in den südsudanesischen Dörfern und im Flüchtlingslager in Uganda sind mit so viel Gespür fürs Detail geschildert, dass sie nicht nur die Kulisse für eine Karriere von ganz unten nach ganz oben sind.
Filmreif ist das durchaus, hin und wieder auch kitschig, aber ist das ein Problem? Sportler, die aus afrikanischen Staaten nach Europa und Deutschland kommen und hier vom großen Los träumen, gibt es viele – sie finden sich auf den Sportseiten der Zeitungen und hin und wieder auch in größeren Sozialreportagen. Als Protagonisten für Romane wurden sie bislang noch nicht entdeckt. Schade eigentlich.
John Grisham
Das Talent
Heyne, 2021
400 Seiten, 22 Euro