Seit 2011 verwahren Schweizer Banken eingefrorene Gelder aus Tunesien, Ägypten, Libyen und Syrien. Um manche Guthaben ist ein juristisches Tauziehen entbrannt. Die Schweiz will kooperieren – ohne ihr System grundlegend in Frage zu stellen.
Knapp eine Milliarde Schweizer Franken aus dem Umfeld von Ben Ali, Mubarak, Gaddafi und Assad harren seit 2011 auf Schweizer Konten aus. Während von den ursprünglich unter UN-Sanktionen blockierten 650 Millionen Schweizer Franken, die aus Libyen stammten, bereits 550 Millionen wieder freigegeben werden konnten, bleiben sämtliche Vermögen aus Ägypten, Tunesien und Syrien bis auf weiteres gesperrt. Die Schweizer Regierung bemüht sich, einen vorbildlichen Umgang mit den Vermögen arabischer Diktatoren zu demonstrieren – auch um weitere Imageschäden abzuwenden. Die Fälle im Überblick:
Syrien
Bei den syrischen Vermögen – zur Zeit 130 Millionen Franken, also gut 100 Millionen Euro – hängt die Entwicklung wie im Falle Libyens von der Verschärfung oder Lockerung der internationalen Sanktionen ab. Allerdings sind in beiden Fällen gewisse Gelder – der genaue Betrag ist unbekannt – zusätzlich unter dem Geldwäschegesetz (GwG) gesperrt, nachdem Banken Meldung wegen Verdachts auf Geldwäsche erstattet hatten. Diese Ermittlungen laufen momentan noch; im Fall Libyens wurden sie 2012 auf den Verdacht auf »Unterstützung einer kriminellen Organisation« erweitert.
Tunesien
Die Gelder aus Tunesien und Ägypten sind nicht unter internationalen Sanktionen blockiert wie die libyschen und syrischen, aber ebenfalls gleich mehrfach gesperrt. So ließ der Bundesrat nach dem Sturz Zine el-Abidine Ben Alis per Notverordnung circa 60 Millionen Franken (49 Millionen Euro) aus dessen Umfeld für drei Jahre einfrieren. Kurz vor Ablauf dieser Sperrung im Januar 2014 gab die Regierung bekannt, die Notverordnung um drei weitere Jahre zu verlängern.
Doch auch ohne die Fortsetzung hätten die Gelder nicht freigegeben werden können: Gleich nach der ersten Sperrung im Januar 2011 hatte die Bundesanwaltschaft zusätzlich eigene Verfahren aufgrund des Verdachts auf Geldwäsche und Unterstützung einer kriminellen Organisation eingeleitet, nachdem diesbezüglich Meldungen von Banken eingegangen waren. Im Oktober 2011 war noch ein Rechtshilfegesuch aus Tunesien erfolgt, das zu einer dritten Blockierung der Gelder geführt hat und zur Zeit noch in Bearbeitung ist. Aber nur wenn die tunesische Justiz damit nachweisen kann, dass die Vermögen unrechtmäßig erworben worden sind, können sie zurückerstattet werden.
Ägypten
Bei den ägyptischen Vermögen ist die Situation noch komplizierter: Auch hier sperrte der Bundesrat am Tag von Hosni Mubaraks Abgang im Februar 2011 per Notrecht beachtliche Vermögenswerte, die in der Schweiz deponiert waren – 410 Millionen Franken (335 Millionen Euro). Drei Monate später nahm die Bundesanwaltschaft auch hier eigene Ermittlungen unter dem GwG auf. Im August 2011 traf dann noch ein Rechtshilfegesuch aus Ägypten ein, im Dezember 2011 und März 2012 folgten zwei weitere.
Eigentlich wären die ägyptischen Gelder also ebenfalls dreifach gesperrt. Doch im Sommer 2012 tauchte in der ägyptischen Presse die Meldung auf, wonach bereits 700 Millionen Franken (570 Millionen Euro) in der Schweiz blockiert wären. Die Bundesanwaltschaft musste dies bestätigen, sagt aber bis heute nicht, auf welchen Gesetzesgrundlagen diese Betragssperrung beruht. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bundesanwaltschaft die drei Rechtshilfeverfahren Anfang 2013 aussetzte, weil eine menschenrechtskonforme Justiz in Ägypten nicht mehr gewährleistet sei.
Im Juni 2013 kamen das Bundesamt für Justiz (BJ) und das Außendepartement (EDA) zwar zum Schluss, dass die Gerichte trotz politischer Instabilität in Ägypten ausreichend unabhängig arbeiten könnten, um die Verfahren fortzusetzen. Doch die Rechtshilfeverfahren blieben sistiert – bis heute. Erst wenn die Rechtshilfe wieder aufgenommen wird und die ägyptische Justiz in einem Rechtsprozess nachweisen kann, dass die Vermögen illegaler Herkunft sind, könnten die 700 Millionen an Ägypten zurückerstattet werden.
Wann dieser Moment kommen wird, ist völlig unklar. »Wir prüfen zurzeit die Situation wieder«, sagt BJ-Sprecher Falco Galli im Dezember 2013 gegenüber zenith. Aufgrund der instabilen politischen Lage sei eine abschließende Lagebeurteilung aber nicht möglich. Auch das EDA meint: »Zurzeit kann nicht abgeschätzt werden, in welche Richtung die Situation sich entwickeln wird und welche Konsequenzen sich für die pendenten Rechtshilfeverfahren ergeben werden.«
Die neue Gesetzesregelung klammert die Geldeinlagen noch aktiver Potentaten aus
Weil am 11. Februar 2014 die bundesrätliche Sperrverordnung von 2011 ablaufen wird, hat der Bundesrat bekannt gegeben, die Notverordnung auch im ägyptischen Fall um drei weitere Jahre zu verlängern. Lionel Halpérin, Anwalt von Alaa und Gamal Mubarak, geht davon aus, dass die Vermögen seiner Klienten in absehbarer Zeit auch nicht freigegeben werden. Der Genfer Kantonsparlamentarier bestätigt, dass die Konten seiner Klienten dreifach gesperrt seien: unter dem GwG, wegen der Rechtshilfeverfahren und unter der nun verlängerten Sperrverordnung von 2011. Laut Schweizer Medienberichten lagern darauf 300 Millionen Schweizer Franken (245 Millionen Euro).
Doch für den Anwalt ist zumindest die Sperrung durch das Rechtshilfeverfahren unzulässig gewesen. »Die Anklagen in Ägypten hängen in keiner Weise mit den Konten in der Schweiz und den Anfragen zusammen, welche die ägyptische Justiz im Rechtshilfegesuch gestellt hat«, sagt Halpérin gegenüber zenith. Zudem hält er die Suspendierung der Verfahren für ungerechtfertigt und rein politisch motiviert: »Entweder sind die Bedingungen für ein faires Verfahren im Herkunftsland erfüllt oder nicht.
Im letzteren Fall müssten die Rechtshilfegesuche schlicht abgelehnt werden.« Er zeigt zwar Verständnis für die ursprüngliche Sperrverordnung des Bundesrats, ist aber der Meinung, die Regierung hätte sie längst aufheben müssen. »Sobald die Strafverfahren eröffnet werden, gibt es keinen Grund mehr, die bundesrätliche Verordnung aufrecht zu erhalten. Die Gelder sind dann sowieso unter dem Geldwäschegesetz blockiert.«
Allerdings ist er überzeugt, dass auch die strafrechtlichen Vorwürfe unter dem GwG gegen Alaa und Gamal Mubarak – Verdacht auf Geldwäsche und Unterstützung einer kriminellen Organisation – unbegründet sind. »Wir haben im August einen Bericht bei der Bundesanwaltschaft eingereicht, der detailliert darlegt, dass meine Klienten ihre Gelder rechtmäßig erworben haben«, erklärt Halpérin.
Zurzeit wartet er noch auf eine Antwort. Doch schon steht die nächste Herausforderung für den Anwalt an: Der Bundesrat arbeitet an einem Gesetzesentwurf, der erlauben soll, Gelder von PEP zu sperren und einzuziehen, wenn eine Rechtshilfezusammenarbeit ausgeschlossen ist, weil die Justiz im Heimatland menschenrechtlichen Anforderungen nicht entspricht. Bisher war eine Einziehung nur möglich gewesen, wenn das Rechtshilfeverfahren aufgrund von »Staatsversagen« gänzlich scheitert. »Ich bin schockiert vom Inhalt dieses Gesetzes.
In einer Demokratie sollen politische Autoritäten doch keine juristischen Entscheidungen treffen können«, kommentiert Halpérin. Dieses Gesetz sei auf den Fall Ägypten zugeschnitten. Der Genfer Anwalt nimmt deshalb an, dass der Bundesrat damit die gesperrten Gelder seiner Klienten einziehen will, wenn die Strafrechtsverfahren unter dem GwG zu keinem Ergebnis führen. Ob dies tatsächlich geschieht, kann das EDA nicht sagen.
Sprecher von Below meint nur: »Das schweizerische Gesetzgebungsverfahren erfordert Zeit. Erst wenn das Gesetz in Kraft tritt, könnte sich die Frage stellen, ob es auf die Situation in Ägypten Anwendung finden kann.« Wann auch immer möglich, solle die Zusammenarbeit aber im Rahmen von Rechtshilfeverfahren fortgeführt werden.
Ländern im Übergang fällt es schwer, überhaupt genug Beweise für ein Rechtshilfeverfahren zu sammeln
Wie sich in der Vergangenheit gezeigt hat, fällt es Ländern im Übergang schwer, nach dem Sturz eines Diktators überhaupt genug Beweise für ein Rechtshilfeverfahren gegen ihn zu sammeln. Prozesse zur Rückerstattung von vermutlich illegal erworbenen PEP-Geldern scheitern deshalb manchmal, bevor sie überhaupt angefangen haben. Auch dafür sieht das neue Gesetz eine Lösung vor: Das Außendepartement soll künftig dem Herkunftsstaat Informationen übermitteln dürften, welche die Justiz für das Stellen eines Rechtshilfegesuches benötigt.
Damit würde es trotz Bankkundengeheimnis möglich werden, Bankangaben schon vor der eigentlichen Rechtshilfe herauszugeben. Um zu verhindern, dass die ehemaligen Machthaber ihre Gelder vor dem Gesuch abziehen, will das Gesetz zudem eine Grundlage für die vorsorgliche Sperrung von PEP-Vermögenswerten schaffen. Damit wären in Zukunft keine bundesrätlichen Notverordnungen mehr nötig, wie sie noch in den Fällen Tunesien und Ägypten zum Einsatz kamen.
Vermögen von PEP könnten stattdessen vorsorglich eingefroren werden, wenn Hinweise vorhanden sind, dass diese Regierungspersonen mit Schweizer Konti unmittelbar vor einem Machtverlust stehen und der Korruptionsgrad im betreffenden Staat notorisch hoch ist. Dank der Umbrüche im arabischen Raum scheint also Bewegung in die Schweizer Gesetzgebung gekommen zu sein.
Das begrüßt die NGO »Erklärung von Bern« grundsätzlich, behält allerdings eine gewisse Skepsis bei. »Das neue Gesetz findet nur Anwendung auf Machthaber, die kurz vor dem Sturz stehen oder bereits abgesetzt sind«, erklärt Olivier Longchamp. »Das größere Problem sind allerdings die noch aktiven Diktatoren, die weiterhin Gelder in die Schweiz schaufeln.«
Verschiedene Strafrechtler hätten deshalb bereits vor Jahren eine gesetzliche Neuerung gefordert, die in solchen Fällen Abhilfe schaffe: Eine Erweiterung des Strafrechts, die es erlauben würde, schnell wachsende Vermögen von aktiven PEP aus korrupten Ländern zu sperren und einzuziehen, wenn die Machthaber nicht beweisen können, dass die Gelder legal erworben worden sind.
Das Hauptanliegen von EvB bleibt es aber zu verhindern, dass diese Gelder überhaupt angenommen werden. »Zwar kann es trotz der weitgehenden Sorgfaltspflichten passieren, dass Banken unrechtmäßige PEP-Gelder nicht als solche erkennen und akzeptieren«, gesteht Longchamp ein, »aber manchmal fehlt es am Willen, die Vorschriften einzuhalten.« Und in dieser Hinsicht besteht weiterhin Handlungsbedarf.