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Musiker Ahmed Asery über jemenitischen Blues

»Uns blind zu stellen, ist keine Option«

Interview

Musiker Ahmed Asery erzählt im Interview vom jemenitischen Blues, dem schlechten Image seines Landes – und warum er auch vor Ex-Präsident Saleh spielen würde.

zenith: Herr Asery, Musik haben Sie ja bereits vor der Revolution im Jemen gemacht. Bekannt ist eine Geschichte, wie sie von Ihren Eltern aus dem Haus geworfen wurden, weil sie eine Band gründen wollten. In was für einem Umfeld wuchsen Sie auf?

Ahmed Asery: In einer Gesellschaft, wie sie im Jemen existiert, wollen Eltern nicht, dass ihre Kinder auch nur in irgendeiner Form mit Nonkonformismus in Berührung kommen. Sie mochten keine Musik, sie mochten es nicht, dass ich musizierte. Stattdessen sollte ich Arzt werden, und so fing ich an, Medizin zu studieren. 2010 habe ich dann eingesehen, dass Musik meine wahre Passion ist – zwar bin ich weiter zu den Kursen gegangen, um meinen Abschluss zu erhalten, die Meinungsverschiedenheiten mit den Eltern waren aber zu vielfältig. Also baute ich mir ein eigenes Leben auf.

 

Oft wird die jemenitische Gesellschaft als lethargisch, vom nachmittäglichen Qat-Kauen gelähmt, beschrieben. Denken Sie ähnlich? Und wie haben Sie die ersten Tage des Aufstandes, nicht nur im Jemen, sondern auch in Ägypten und Tunesien wahrgenommen?

Als wir die Bilder im Fernsehen sahen, spürten wir eine Begeisterung, einen Drang auf die Straße zu gehen und das Land zu verändern. Uns ging es darum, frei zu leben, uns den Dingen widmen zu können, für die wir brennen. Das ist doch das, was Menschlichkeit ausmacht und genau daran ist unsere Gesellschaft bislang gescheitert. In ihrem Zentrum stand immer die Gewalt. Schon seit 2007 haben wir Aktivisten dagegen protestiert und versucht, die Leute wachzurütteln. Wir wollen verändern, wie die Menschen in unserer Gesellschaft zusammenleben.

 

Es geht Ihnen also nicht in erster Linie um die Politik, sondern um eine grundsätzlichere Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse. Werfen wir trotzdem einen Blick auf die Ereignisse der letzten Monate: Wie bewerten Sie den Ablauf der Wahlen im Februar 2012? Haben sie etwas verändert?

Politische Veränderung ist nur sekundär auf dem Weg zum Wandel des Menschen. Die Wahlen hätten ein wichtiger Schritt weg von der »geografischen Diskriminierung«, wie wir den schwelenden Nord-Süd-Konflikt im Jemen nennen, sein können. Er reißt unser Volk und unsere Freunde auseinander, entfremdet uns voneinander. Und leider wird der Hass von allen Seiten geschürt. Die Menschen hassen einander, nur weil sie aus einem anderen Landesteil kommen. Unsere Aufgabe als Aktivisten ist es da, diesen Hass zu analysieren und Toleranz zu fördern. Wenn da sich da Ali Abdullah Saleh bereit erklärt, uns zuzuhören, dann spiele ich auch vor ihm. Kein Problem – so lange er sich unseren Worten offen gegenüber zeigt.

 

Oft versucht die wissenschaftliche Literatur, die Proteste in Libyen, Syrien oder Jemen aus einer tribalen Perspektive heraus zu erklären, was viele Aktivisten kritisieren, die sich lediglich als Staatsbürger verstehen. Wie stehen Sie zum Konzept der tribalen Gesellschaft?

Etwas anzuerkennen heißt nicht, es auch gut zu heißen. Natürlich haben wir dieses Problem im Jemen und wir können es nur beheben, wenn wir offen damit umgehen. Uns blind zu stellen, ist keine Option. Wir haben Stammeskonflikte, wir haben Korruption, wir haben Organisationen, die schädliche Ideologien verbreiten. Das können wir nicht ausblenden. Uns darauf zu einigen, wie wir dagegen vorgehen, ist hingegen eine andere Frage.

 

Als die Revolution im Sommer vergangenen Jahres hochkochte und viele Aktivisten Aufmerksamkeit aus Europa bekamen, entschieden Sie sich dafür, auf Afrika-Tournee zu gehen. Wie kam das?

Das war der einfachste Weg, den Jemen zu verlassen. Wir haben Drohungen erhalten, die Staatssicherheit rief uns immer wieder an und wir haben um unser Leben gefürchtet. In unserer Musik geht es darum, Leben zu bewahren, nicht es für die Revolution zu opfern. Im Jemen gibt es viele Künstler, die zu Dschihad und Mord aufrufen.

 

»Wir wollen keine Modeerscheinung sein«

 

Wohingegen Ihre Musik sich nie zur Schlachthymne eignet. Was hat Sie inspiriert, diese nahezu bluesartige, introvertierte Musik zu schreiben?

Wir leben alle gemeinsam in einer Wohnung. Da entstehen ganz natürlich Debatten und Diskussionen zwischen uns Bandmitgliedern. In unseren Liedern führen wir die dann fort, was für uns der beste Weg ist, Probleme zu lösen. Laute, aggressive Musik passt da nicht.

 

Dass ihr immer mit akustischen Gitarren auftretet, liegt also nicht an den dauernden Stromausfällen?

Nein, meine Gitarre ist schon seit langen Jahren mein Begleiter, seit ich angefangen habe, Musik zu spielen. Mit ihren vielen Löchern und anderen Schäden erinnert sie mich an gemeinsame Erlebnisse. Sie ist wie ein Freund. 2010 fiel sie während einer Aktion für den Umweltschutz, die wir mit dem französischen Bergsteiger Daniel Du Lac organisiert hatten, von einem Berg.

 

Sie sind in vielen Bereichen der jemenitischen Zivilgesellschaft aktiv. Gleichzeitig wird Musik aus dem afrikanischen oder arabischen Raum in Europa immer populärer. Haben Sie die Hoffnung, einmal kommerziell erfolgreich zu sein?

In der Tat ist die Aufmerksamkeit größer geworden. Wir wollen aber keine Modeerscheinung sein, wir kommen nicht hier her, um den Leuten zu sagen, wie die arabische Welt ist, sondern um Ideen auszutauschen, um zu lernen.


Ahmed Asery wurde 1985 im Jemen geboren. Er ist Sänger und Gitarrist der Band »3 Meters Away«, die er 2010 selbst gründete. 2011 nahmen er und seine an den Protesten im Jemen teil und traten auch auf dem Tahrir-Platz in Sanaa auf.

Von: 
Nils Metzger

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