Lesezeit: 8 Minuten
Nachruf auf Ahmed Ben Bella

Der lange Atem des Kurzzeit-Präsidenten

Nachruf

Algeriens erster Präsident war nur drei Jahre an der Macht, gänzlich los wurde die Staatspartei FLN Ahmed Ben Bella aber nie – auch weil sein politisches Erbe der Führung in Algier bis heute als Legitimationsgrundlage dient.

Algeriens ehemaliger Staatspräsident Ahmed Ben Bella, der das Land als erstes Staatsoberhaupt nach der Unabhängigkeit des Landes von Frankreich 1962 führte, verstarb am 11. April in Algier im Alter von 93 Jahren.

 

Bereits am 22. Februar 2012 berichtete die algerische Tageszeitung El Watan irrtümlicherweise Ben Bella sei in einem Militärkrankenhaus in der algerischen Hauptstadt verstorben, seine Familie insistierte jedoch, er habe das Krankenhaus nach längerem Aufenthalt wohlbehalten verlassen. Die Nachricht seines Todes am 11. April 2012 verbreitete sich wie ein Lauffeuer, auch da der amtierende algerische Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika noch am selben Tag eine achttägige Staatstrauer ankündigte.

 

Der am 25. Dezember 1918 in Maghnia in der Provinz Tlemcen in Französisch-Algerien nahe der marokkanischen Grenze geborene spätere Unabhängigkeitskämpfer entstammt einer muslimischen Sufi-Familie und begeisterte sich schon in jungen Jahren für den arabischen Nationalismus und die algerische Unabhängigkeitsbewegung, lange vor Ausbruch des Algerienkrieges 1954.

 

Soldat und Widerstandskämpfer statt Profifußballer

 

Ben Bella trat 1937 der französischen Armee bei und wurde kurze Zeit später nach Marseille versetzt. Dort spielte er von 1939 bis 1940 für den heutigen französischen Erstligaverein Olympique Marseille, lehnte den ihm angebotenen Profivertrag jedoch ab und kehrte nach Algerien zurück. Im Zweiten Weltkrieg kämpfte er unter anderem für die französische Armee in Italien, wurde befördert und mehrfach für seinen Einsatz ausgezeichnet. Nach den Massakern der französischen Armee in den algerischen Städten Sétif und Guelma an arabischen Demonstranten am 8. Mai 1945, dem Tag der Niederlage Hitler-Deutschlands, verließ Ben Bella die Armee und lehnte jedes weitere Engagement kategorisch ab.

 

Kurz darauf trat er der algerischen Unabhängigkeitsbewegung von Messali Hadj bei, der Parti du Peuple Algerien (PPA), der ersten algerischen Partei, die für die bedingungslose Loslösung Algeriens von Frankreich eintrat. 1947 wurde er für die Nachfolgepartei der inzwischen verbotenen PPA gar in Tlemcen zum Stadtrat gewählt, ging jedoch kurz vor deren Verbot in den Untergrund. 1950 wurde Ben Bella verhaftet und zu acht Jahren Gefängnis verurteilt, floh jedoch schon 1952 aus der Haft in Blida, ging nach Kairo und engagierte sich fortan von dort aus für die algerische Unabhängigkeit. Als einer der neun »historischen Führer« gründete er 1954 zusammen mit Hocine Ait Ahmed, Mohammed Boudiaf und dem unter französischer Militärfolter gestorbenen Larbi Ben M‘Hidi in Kairo die Front Libération National (FLN), die spätere Einheitspartei Algeriens. Im November 1954 begann der militärische Arm der FLN in Algerien den bewaffneten Kampf gegen die Kolonialmacht Frankreich.

 

Ben Bella wurde 1956 zusammen mit fünf anderen führenden FLN-Funktionären an Bord eines marokkanischen Flugzeuges vom französischen Geheimdienst einführt und in Frankreich inhaftiert. Erst nach der offiziellen Unabhängigkeit Algeriens im Juli 1962 durfte er nach Algerien zurückkehren. Dort angekommen verbündete er sich zügig mit dem Anführer der Grenzarmee, Houari Boumediénne, der am Vorabend der Unabhängigkeit im tunesischen Exil eine schlagkräftige Armee aufgebaut hatte. Zusammen mit seinem späteren Verteidigungsminister Boumediénne marschierte Ben Bella im Herbst 1962 nach Algier, setzte die Übergangsregierung von Benyoucef Ben Khedda ab und wurde Algeriens erster offizieller Staatspräsident.

 

Bemerkte Ben Bella den innerparteilichen Gegenwind zu spät?

 

Insbesondere in dieser Anfangszeit waren Machtkämpfe in der FLN an der Tagesordnung, vor allem um die Ausrichtung des neu gegründeten Staates, der bereits am 8. Oktober 1962 als 109. Mitglied in die Vereinten Nationen aufgenommen wurde. Ben Bella konnte in dieser Zeit die linkssozialistische Ausrichtung der Einheitspartei FLN und den Beitritt Algeriens zur Bewegung der Blockfreien Staaten durchsetzen, eine Entscheidung, die die außenpolitische Orientierung des Landes bis heute maßgeblich beeinflusst.

 

In seiner sehr kurzen Amtszeit als Staatspräsident, die am 19. Juni 1965 durch einen Militärputsch seines Verteidigungsministers Houari Boumediénne ihr jähes Ende fand, orientierte sich Ben Bella innen- wie außenpolitisch am damals in der arabischen Welt dominierenden und von Ägyptens Staatschef Gamal Abdel Nasser propagierten Panarabismus.

 

Auch aufgrund seiner Zeit in Kairo hatte Ben Bella gute Kontakte in die ägyptische Hauptstadt und intensivierte die algerisch-ägyptischen Beziehungen in politischer wie wirtschaftlicher Hinsicht. Ägyptische Unternehmen und Waren überschwemmten den algerischen Markt und sorgten innerhalb der FLN aber auch in der Bevölkerung für Unmut. Algerien brauchte nach dem Krieg dringend Hilfe von außen und diese kam aus Kairo. Trotz der von Ben Bella durchgesetzten Landreform zugunsten landloser Farmer und seiner sozialistischen Rhetorik wurde er zunehmend autokratischer und war zum Ende seiner Amtszeit fast nur noch mit außenpolitischen Belangen beschäftigt. Demnach bemerkte er den innerparteilichen Gegenwind zu spät und musste bereits nach weniger als drei Jahren an der Staatsspitze unfreiwillig seinen Hut nehmen.

 

Nach seiner Entmachtung 1965 verbrachte Ahmed Ben Bella seine Zeit bis zum Tode Boumediénnes 1980 in Hausarrest und durfte erst nach dessen Ableben das Land verlassen. Er ging ins Schweizer Exil und kam erst im Zuge des demokratischen Aufbruchs Ende der 1980er Jahre zurück nach Algerien. Die wirtschaftliche Krise des Landes und der niedrige Weltmarktpreis für Erdöl hatten das Ende der Einparteienherrschaft des FLN herbeigeführt und das Land vollzog eine demokratische Wende.

 

Wahlkampf mit dem Andenken an Ben Bella

 

1990 wurden Kommunal- und 1991 Parlamentswahlen abgehalten und Ben Bella gründete mit dem Mouvement pour la démocratie en Algérie (MDA) eine eigene Partei, die bei den Wahlen zum Parlament jedoch nur zwei Prozent der Stimmen ergattern konnte. Nach den Erdrutschwahlsiegen der radikal-islamistischen Front Islamique du Salut (FIS), dem darauf folgenden blutigen Militärputsch 1992 und dem Ausbruch des algerischen Bürgerkrieges ging Ben Bella erneut in sein Exil am Genfer See, seine Partei MDA wurde 1997 offiziell verboten. Ben Bellas politisches Engagement war den militärnahen Machthabern in Algier noch immer ein Dorn im Auge und nach der erneuten Zulassung seiner Partei glänzte diese bei fast allen Urnengängen mit demonstrativem Boykott.

 

Für das unabhängige Algerien war Ben Bella trotz seines politischen Einflussverlustes eine mehr als nur bedeutende Figur. Das algerische Militärregime versuchte seit der Amtszeit Boumediénnes, die Person Ben Bella und die sozialistischen Kader innerhalb der FLN mit Erfolg zurückzudrängen, seine Rolle in der Antikolonialbewegung wird aber auch vom Regime nach wie vor geschätzt, gewürdigt und – wie man an der achttägigen Staatstrauer unschwer erkennen kann – politisch instrumentalisiert.

 

Das Regime in Algier und die beiden Staatsparteien FLN und seine linke Abspaltung Rassemblement National democratique (RND) beziehen auch heute noch einen wesentlichen Teil ihrer Legitimität aus dem Kampf gegen die Kolonialmacht Frankreich. Für Regierung und politische Elite ist der Tod Ben Bellas eine Möglichkeit Wahlkampf zu führen, der Person Ahmed Ben Bella und vor allem seinen Errungenschaften für die Bewegung der Blockfreien und der interessanten politischen Ansätzen seiner kurzen Amtszeit als algerischer Staatspräsident wird sie damit gewiss nicht gerecht.

 

Ahmed Ben Bella verstarb am 11. April 2012 in seinem Haus in Hydra, einem Stadtteil der algerischen Hauptstadt, und wurde am Freitag, 13. April auf dem Carré des Martyrs in Algier beigesetzt.

Von: 
Sofian Philip Naceur

Banner ausblenden

Die neue zenith 02/2022 ist da: Reise zum Mittelpunkt der Erde

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Die neue zenith ist da: mit einem großen Dossier zur Region Persischer Golf und überraschenden Entdeckungen. Von Archäologe über Weltpolitik und Wattenmeer zu E-Sports und großem Kino.

Banner ausblenden

Newsletter 2

Der heiße Draht

Frische Analysen, neue Podcast-Folgen, exklusive Einladungen zu Hintergrundgesprächen und Werkstattberichte: Jeden Donnerstag erhalten tausende Abonnenten den zenith-Newsletter. Sie  wollen auch auf dem Laufenden bleiben? Dann melden Sie sich hier kostenlos an.

Banner ausblenden

WM Katar

So eine WM gab es noch nie

Auf 152 Seiten knöpfen sich Robert Chatterjee und Leo Wigger alle wichtigen Fragen rund um die erste Fußball-WM in einem arabischen Land vor.