Sein Weg als Islamwissenschaftler und Anthropologe in die Sicherheitsbranche war ein ungewöhnlicher, der zugleich viel über unsere Zeit erzählt. Nun ist unser Candid Fellow und langjähriger zenith-Kollege Florian Peil mit nur 49 Jahren plötzlich gestorben.
Dem landläufigen Klischee zufolge ist die Sicherheitsbranche nicht gerade ein Terrain für Intellektuelle. Wer in Krisenstaaten schon einmal auf ihre Leistung zugegriffen hat, denkt vermutlich an ehemalige Spezialkräfte oder Polizisten. Höfliche, schweigsame, manchmal etwas raubauzige, vor allem aber durchtrainierte Zeitgenossen, die gut mit Schusswaffen umgehen können. Im Antlitz lauernder Gefahren können einfache Antworten, ein klares Freund-Feind-Schema hilfreich sein. Komplexe Analysen zu Kultur oder den politischen Umständen von Gewalt, Kriminalität oder Terrorismus – vor allem jede Art von Zweifel – sind dabei manchmal eher hinderlich. Florian Peil hingegen vertrat in dieser Branche eine eher intellektuelle Schule. Sein Fachgebiet der protective intelligence brachte er nicht nur praktisch zur Anwendung, sondern er entwickelte es auch theoretisch weiter. Im Kern geht es darum, potenzielle Gefahren und Angreifer zu erkennen, bevor diese ihre Wirkung entfalten zu können.
In seinem 2021 erschienenen Buch »Die fünf Ringe der Sicherheit« entwarf er ein allgemeinverständliches Schema mit Verhaltensregeln, mit denen sich Geschäftsreisende in Krisenstaaten, aber auch Menschen im Alltag in Berlin oder Paris gegen Überfälle oder Terrorattentate besser schützen können. Peil beriet und schulte mit diesem Konzept Mitarbeiter von Stiftungen, Nichtregierungsorganisationen oder DAX-notierten Unternehmen. Als Sicherheitsberater unterstützte er auch die Arbeit der Candid Foundation – vor Auslandseinsätzen oder aber in der Vorbereitung und Absicherung von Veranstaltungen.
Als Candid Fellow ließ er Kolleginnen und Kollegen im Netzwerk an seinem Wissen teilhaben und publizierte gelegentlich auch im Magazin zenith – so auch im anlässlich des 20-jährigen Bestehens herausgebrachten Jubiläumsheft, wo Florian die kuriose, beinahe schicksalhafte Verquickung seines Studienfaches Islamwissenschaft mit der Sicherheitsbranche rekapitulierte. Der 11. September 2001 war hier ausschlaggebend, für seine Biografie ebenso wie für zenith und viele andere Nahost-Spezialisten aus dem Umfeld des Magazins, die eigentlich arabische Geschichte und Literatur studiert hatten, seitdem aber gezwungen waren, sich mit Terrorismus zu beschäftigen.
Florian Peil, geboren am 8. Mai 1975, wuchs mit seinem Bruder Christian in Braunschweig und Karlsruhe auf. Sein Vater Udo Peil war Professor für Bauingenieurswesen, seine Mutter Kristiane Grundschulpädagogin. Nach dem Zivildienst unternahm Florian seine erste »Orientreise« und tourte für sechs Wochen durch Marokko. 1997 begann er an der Georg-August-Universität Göttingen mit dem Studium der Islamwissenschaft, Anthropologie und Politikwissenschaft, das er 2004 an der Freien Universität Berlin als Magister Artium abschloss. Während des Studiums jobbte er als Kulturreiseleiter in Ländern der arabischen Welt. Wer einmal eine ganze Gruppe pensionierter Studienräte durch die römischen Ruinen Jordaniens geführt hat, weiß, dass man mit Improvisieren nicht weit kommt. Man muss gut organisiert sein und vor allem wissen, wovon man redet.
Als Referent beim Verfassungsschutz unterhielt er unter anderem Kontakt zu Moscheegemeinden, um Radikalisierung und extremistische Netzwerke zu identifizieren und Vertrauen zu Muslimen aufzubauen
Selbstbewusstes Auftreten allein genügt nicht. Das im Studium beinahe obligatorische Auslandssemester für Arabischkurse verbrachte Florian, wie zahlreiche Kolleginnen und Kollegen aus dem zenith-Netzwerk, in Kairo. Ägypten mochte damals ein bleiernes, autoritäres System im Stillstand sein – für Sprachstudenten war es hingegen eine Spielwiese zur Selbstentfaltung und vergleichsweise sicher. Im Sommer 2002 lebte er für eine Feldforschung in Anthropologie für einige Zeit im Sinai. Es sei nicht gerade einfach, den ganzen Tag hinter Beduinen herzulaufen und ihnen »ein paar Infos aus der Nase zu ziehen«, schrieb er wie gewohnt selbstironisch über sein Unterfangen als junger Wissenschaftler. Eine andere große Reise, die er allein unternahm, führte ihn durch die Weiten der Sahara Mauretaniens.
Sein Interesse an »harten«, politischen Themen wie dem unter der Herrschaft der arabischen Regime gärenden islamistischen Extremismus zeigte Florian unter anderem mit seiner Magister-Abschlussarbeit. Er schrieb über die Erstürmung des Heiligtums von Mekka 1979, mit der eine Gruppe unter Führung von Dschuhaihman Al-Utabi versuchte, das saudische Königshaus zu stürzen.
Nach »9/11«, dem Sturz des Taliban-Regimes und dem verheerenden Einmarsch der Koalitionstruppen in den Irak 2003 erlebte das Fach der Islamwissenschaft einen dramatischen Wandel – vom Orchideenfach zu einer sicherheitsrelevanten beziehungsweise staatstragenden Disziplin. Eine negative Begleiterscheinung war die tendenzielle »Versicherheitlichung« der Themen Islam und Naher Osten in der Öffentlichkeit; eine andere die plötzliche Allgegenwärtigkeit von Scharlatanen ohne jegliches Fachwissen zur muslimischen Welt oder der Religion Islam, die den Diskurs mitprägen konnten, weil sich die meisten Professorinnen und Professoren der Orientalistik für die aktuelle Politik als nicht zuständig betrachteten.
Florian Peil trat 2006 eine Stelle als Referent beim Verfassungsschutz Berlin an. Zu seinen Aufgaben gehörte hier die Früherkennung von Gefahren und die Koordination mit den Behörden des Senats. Er unterhielt unter anderem Kontakt zu Moscheegemeinden, um Radikalisierung und extremistische Netzwerke zu identifizieren und Vertrauen zu Muslimen aufzubauen, deren Umfeld konkret davon betroffen ist.
Da Terrorismus auf die Köpfe abzielt und per Definition Angst, Unsicherheit und Traumata auslösen will, ist auch die gesellschaftliche Hygiene im Umgang mit diesem Thema wichtig. Davon jedenfalls war Florian überzeugt
Nach fünf Jahren Dienstzeit machte er sich selbstständig und erweiterte sein Portfolio als Sicherheitsberater von Schulungen und Trainings hin zur Aufklärung am Einsatzort und der Sicherung von Veranstaltungen. Er bereiste den Nahen Osten regelmäßig – unter anderem mit seinem Partner und engen Kollegen Malte Roschinski. Vor dem Hintergrund des Kriegs in Syrien engagierte sich Florian auch für die Ortung und Freilassung inhaftierter humanitärer Mitarbeiter im Land.
Wer als Islamwissenschaftler in den Medien auftritt, muss hin und wieder darauf hinweisen, dass er deshalb nicht gleich als »Terrorismus-Experte« oder gar »Terror-Experte« insertiert werden möchte. Florian, der insbesondere seit dem Aufstieg der Organisation »Islamischer Staat« ab 2014 gelegentlich öffentlich auftrat und die Ereignisse kommentierte, konnte beide Felder bespielen, begegnete dem aufgeregten, mitunter Panik schürenden Diskurs aber mit Nüchternheit und gelegentlich auch einer Prise Sarkasmus. Das Licht der Öffentlichkeit war für ihn keine relevante Währung und widersprach seinem – privat wie beruflich – doch eher ausgeprägten Hang zur Diskretion. Diejenigen, die die allgemeine Terrorgefahr aufbauschten, um Bücher zu verkaufen, Aufmerksamkeit zu erlangen oder ihre Beratungsleistung an den Mann zu bringen, waren seiner Geringschätzung versichert.
Sicherheit beginnt nicht nur im Kopf. Da Terrorismus auf die Köpfe abzielt und per Definition Angst, Unsicherheit und Traumata auslösen will, ist auch die gesellschaftliche Hygiene im Umgang mit diesem Thema wichtig. Davon jedenfalls war Florian überzeugt. So empfahl er einmal in einem Interview, man solle nach Anschlägen die Finger von sozialen Medien lassen und sich nicht fortwährend in den TV-Nachrichten beschallen lassen. »Es genügt völlig, sich durch einen Artikel in einer seriösen Zeitung über die Hintergründe eines Attentats zu informieren«, so lautete sein Rat. Lakonisch, empathisch, seriös aber stets locker, so die Haltung, mit der er seine Ansichten kundtat.
Am 16. September starb Florian Peil im Alter von 49 Jahren an den Folgen eines Herzinfarkts in Wolfenbüttel. Am Tag vor seinem Kollaps hatte er noch ein Richtfest gefeiert. Ärztliche Versorgung war umgehend da, dennoch konnte er nicht ins Leben zurückgeholt werden. Florian, Vater einer Tochter, hinterlässt neben seiner trauernden Familie und Freunden auch die erschütternde Gewissheit, dass man sich auf manches Schicksal einfach nicht vorbereiten kann.