Performancekunst ist seichte Unterhaltung und harter Tobak zugleich. Beim internationalen Performancefestival »Voicing Resistance« vereinen sich in »netten Aufführungen« Körperästhetik und Narrative des Alltags.
Nur eine Silhouette, nur ein schwarzer Körper, nur ein Schatten räkelt sich, zuckt und hüpft auf der Bühne. Es könnte auch das Intro eines professionellen R'n'B-Musikvideos sein, es ist aber Taoufiq Izzediou aus Marrakesch der dort tanzt. Auf Einladung des Berliner Ballhaus’ Naunynstraße in Zusammenarbeit mit vielen französischen und deutschen Einrichtungen führt der franco-marokkanisch ausgebildete Künstler seine Choreographie »Aaléef« auf.
Aaléef ist der erste Buchstabe im arabischen Alphabet und schreibt sich als simpler vertikaler Strich, so ungefähr: »I«. Und genau so steht der Tänzer vor seinem Publikum und zieht sich selig aus. Sein Tanz erzählt die Geschichte, die viele junge Menschen in Marokko – aber auch durchaus in der französischen Banlieue – durchleben: Die Erzählung von der eigenen Identität. Bin ich Mann oder Frau? Bin ich »zwischen Orient und Okzident« oder ganz wo anders? Bin ich glücklich oder traurig? Soll ich bleiben oder gehen?
In der stärksten Szene tanzt Izzediou zum Takt des Gnawa-Meisters Adil Amimi, der seine traditionelle Basslaute elektrisch verstärkt, um den Tänzer nicht nur in einen Rausch zu spielen, sondern die Tranceklänge aus den marokkanischen Bruderschaften dermaßen zu überspitzen, dass der Tänzer für einen kurzen Augenblick in einen Zustand der Befreiung verweilt. Frei von Gott, Sex und den Kämpfen mit sich selbst und seiner Umwelt.
Am Ende werden noch lustige Tanzeinlagen eingeflochten, eine Metamorphose zur Frau mit Lippenstift und Blinkender Plastikbrille. Das ist schön anzusehen, kann aber auch ernst gemeint sein. Man weiß nicht genau was, die Interpretation bleibt dem informierten Zuschauer überlassen. Genauso wie bei den anderen Programmpunkten im Festivalkalender.
Nachdenken und grübeln
Die Transformationen in den arabischen Gesellschaften verändern auch vieles bei uns, so kommen wir immer mehr in den Genuss von Kunst aus der Region. Beim internationalen Performancefestival »Voicing Resistance« in Berlin müssen wir uns aber mehr denn je anstrengen und uns »darauf einlassen«. Man kann sich natürlich auch nur auf die knappe Beschreibung im Festivalheftlein verlassen und die Ästhetik einfach genießen, eine Auseinandersetzung lohnt sich aber allemal.
Wenn europäische Kultur- und Außenpolitik nicht dreist gelogen hat, bekommen wir demnächst immer häufiger – nicht nur in Berlin und Paris – die Gelegenheit über die Kunstprodukte unserer Nachbarn im Süden nachzudenken. Das internationale Performancefestival »Voicing Resistance« läuft erstmal noch bis zum 20. Juni im Kreuzberger Ballhaus Naunynstraße, mit Beiträgen aus dem Freedom Theatre in Jenin, mit Hip-Hop-Beats aus Palästina und einem Gender-Märchentheater aus Beirut.