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Piraterie im Golf von Guinea

Funktioniert »Atalanta« auch im Golf von Guinea?

Analyse

Vor Somalia ist die Zahl der Piratenangriffe 2013 deutlich zurückgegangen, im Golf von Guinea an der westafrikanischen Küste dagegen drastisch angestiegen. Soll auch in diese Region ein internationaler Marineverband entsendet werden?

Früh am Morgen in einem kleinen Konferenzraum in Hamburgs Hafencity: Knapp ein Dutzend Vertreter deutscher Reedereien hat sich hier versammelt, um den Vortrag von Philip Wilcocks zu hören. Wilcocks ist Chef der »Gulf of Aden Group Transits«. Hinter dem unscheinbaren Firmen-Namen verbirgt sich einer der großen britischen Sicherheits-Anbieter, spezialisiert auf Piraten-Abwehr und bewaffnete Spezialkräfte für den Einsatz auf See.

 

Dafür wirbt der ehemalige Royal-Navy-Admiral Wilcocks an diesem Morgen – und: Er berichtet, wie sich das Risiko von Überfällen verschoben hat: Weg von der somalischen, hin zur westafrikanischen Küste: »Die Piraten dort sind sehr entschlossen, auch Gewalt einzusetzen. Außerdem sind am Golf von Aden die Schiffe auf der Durchfahrt – an der westafrikanischen Küste steuern diese Schiffe Häfen an, liegen dort vor Anker – und müssen auch wieder zurückfahren. Und: In Westafrika hatten wir es bisher eher mit Diebstahl oder Raubüberfällen zu tun – aber auch dort gibt es bereits einige Fälle von Entführungen mit Lösegeldforderungen.«

 

Und davon waren in diesem Jahr auch deutsche Reeder schon betroffen: Im April erst verschleppten Piraten vor Äquatorialguinea vier Seeleute der Hamburger Reederei Leonhardt & Blumberg und hielten diese wochenlang als Geiseln. Zur selben Zeit wurden fünf Crew- Mitglieder eines Frachters der Emder Reederei Lauterjung vor Nigerias Küste entführt. »Das sieht verdammt nach einer Kopie des ›erfolgreichen Geschäftsmodells‹ der somalischen Piraten aus« – sprich, Geiseln gegen Lösegeld – sagt Ralf Nagel, Hauptgeschäftsführer beim »Verband Deutscher Reeder«.

 

Nagel kennt die Zahlen der internationalen Schifffahrtsbehörde, wonach Westafrika der somalischen Küste längst den Rang als gefährlichste Küstenregion abgelaufen hat: Mehr als 1.000 Übergriffe auf Seeleute gab es 2012 im Golf von Guinea: Dort hielten Kriminelle Schiffe und Besatzung meist tagelang in ihrer Gewalt, um Treibstofftanks und Containerfracht zu plündern. Nun setzen die Piraten also offenbar gezielt auf Entführungen: »Es bleibt Grund zur Sorge und wir müssen weiter versuchen, unsere Seeleute aktiv zu schützen.«

 

Vorbild Straße von Malakka in Südostasien

 

Auch mit bewaffneten Sicherheitsleuten. Wenn deutsche Reeder diese auf ihre Schiffe holten, dann war das rechtlich oft eine Grauzone. Das ist nun anders: Private Sicherheitsteams mit Schusswaffen sind auf Frachtern unter deutscher Flagge von Dezember an offiziell erlaubt – wenn sie sich zuvor beim Bund zertifizieren lassen. Lange hat es gedauert, bis dieses Zulassungs-Verfahren in Kraft treten konnte, sagt Reeder Verbandschef Ralf Nagel, schränkt aber ein: »Wir sind nach wie vor der Auffassung, dass Piraterie-Bekämpfung in erster Linie eine hoheitliche Aufgabe ist.«

 

Die Schifffahrtsbranche drängt, doch die Frage ist: Wer soll diesen Schutz vor der westafrikanischen Küste gewährleisten? Die betroffenen Staaten – darunter etwa Nigeria, Benin, Ghana und Togo – vereinbarten Ende Juni auf einer Konferenz in Kamerun ein gemeinsames Vorgehen gegen die Piraterie in ihren Hoheitsgewässern – zum Beispiel mit gemeinsamen Patrouillenfahrten. Ob das aber reicht, um das Problem wirksam zu bekämpfen, da haben Experten ihre Zweifel.

 

So sagt Glen Forbes von OceanUS Live, einem weltweiten Informationsdienst zur Erfassung von Piraten-Aktivitäten: »Es ist ein bekannter Fakt, dass viele Staaten in Westafrika unter schlechter Regierungsführung, Bestechung und Korruption leiden. Und viele Staatsdiener, Beamte, Polizisten sind in die Piraterie verwickelt.« Zwar gibt es Vorbilder, wie eine solche koordinierte Zusammenarbeit von betroffenen Staaten tatsächlich funktionieren könnte – bestes Beispiel ist die Straße von Malakka in Südostasien, mit 2.000 Schiffspassagen täglich eine der wichtigsten Handelsrouten der Welt.

 

Seit Singapur, Indonesien und Malaysia die Anti-Piraten-Einsätze ihrer Streitkräfte gemeinsam planen, hat die Bedrohung dort deutlich abgenommen. Doch das sei auf Westafrika kaum übertragbar, glauben Sicherheits-Experten wie Glen Forbes – die staatlichen Strukturen dort seien schlicht zu schwach. Forbes erwartet deshalb, dass sich das Piraten-Problem im Golf von Guinea noch verschärfen dürfte, »außer es wird internationalen Marinen – China, Amerika, wem auch immer – erlaubt, in der selben Manier wie bei ›Atalanta‹, dort zu intervenieren.«

 

Hinter den Kulissen werden schon entsprechende Szenarien durchgespielt

 

»Atalanta«. Der Name dieser 2008 gestarteten EU-Militär-Mission am Horn von Afrika steht bei vielen Politikern für ein Erfolgsmodell, das – zusammen mit den Selbstschutzmaßnahmen der Reeder – die Piraten-Aktivitäten vor der somalischen Küste deutlich reduzieren konnte: Dort hat es in der ersten Jahreshälfte lediglich acht Angriffe auf Handelsschiffe gegeben – vor Westafrika waren es knapp viermal so viele. Steht jetzt also ein weiterer internationaler Militär-Einsatz zum Schutz der maritimen Handelsrouten bevor? Müssen auch deutsche Fregatten demnächst im Golf von Guinea mithelfen, Frachtschiffe vor den Schnellbooten der Piraten zu schützen? »So ein Mandat würde ja voraussetzen, dass die entsprechenden Küstenstaaten damit einverstanden sind.

 

In Westafrika ist der Ansatz eher, mit diesen Küstenstaaten Verabredungen zu treffen, wie deren Beiträge zum Schutz vor Piraterie verbessert werden könnten«, meint Ralf Nagel. Wie das aussehen könnte, dazu werden laut Insidern auch in der Bundesregierung hinter den Kulissen schon entsprechende Szenarien durchgespielt – nach außen hin zeigt die Politik allerdings keine klare Linie: Während das Bundesverteidigungsministerium jegliche Überlegungen für einen Einsatz im Westen Afrikas zurückweist und die Kanzlerin ebenfalls »Pläne für eine Ertüchtigungsmission« nicht für sinnvoll erachtet, denkt Entwicklungsminister Dirk Niebel in Interviews laut über ein militärisches Engagement nach.

 

So richtig festlegen mag man sich nicht, vor der Bundestagswahl. »Ich habe den Eindruck, dass die Diskussion in der Bundesregierung erst begonnen hat«, sagt Michael Staack, Politikwissenschaftler und Piraterie-Experte an der Universität der Bundeswehr in Hamburg. »Und außerdem wird es sowieso keine eigenständige deutsche Aktivitäten geben, sondern eine abgestimmte Aktion der Europäischen Union. Aber dieser Prozess steht ganz am Anfang – und Deutschland hat eigentlich sehr gute Erfahrungen damit, zunächst mal die Akteure vor Ort zu stärken und erst dann, wenn es gar nicht mehr anders geht, so eine Option zu wählen.«

 

Reine Finanzhilfe, bessere Ausrüstung oder Militärberater?

 

Der Gedanke an einen solchen Militäreinsatz ist nicht allzu weit hergeholt. Denn ganz in der Nähe, in Mali, engagiert sich der Westen bereits militärisch: An Land hat eine französisch-afrikanische Allianz das Vordringen islamistischer Extremisten bekämpft – offenbar erfolgreich. Im Golf von Guinea allerdings sollte die internationale Gemeinschaft zunächst Aufbauhilfe für die dortigen Sicherheitskräfte leisten, bevor sie selbst interveniert, fordert Michael Staack: »Es ist ganz wichtig, dass die technische Ausrüstung verbessert wird.

 

Außerdem müssen die Einkommensverhältnisse der Polizei und anderer Sicherheitskräfte vor Ort so verbessert werden, dass sie gar nicht auf die Idee kommen, dass Piraterie eine bessere Alternative sein könnte.« Reine Finanzhilfe also? Bessere Ausrüstung, gar die Entsendung von Militärberatern? Oder am Ende doch internationale Marine-Verbände, die die Fahrtgebiete vor Nigeria, Benin und Äquatorialguinea schützen, weil diese Staaten alleine das Piraterie-Problem langfristig nicht in den Griff bekommen? »Es gibt keinen Zweifel: Die brauchen Unterstützung«, schließt Ex-Admiral Philip Wilcocks sein Statement über die Bekämpfung der Piraten an der afrikanischen Westküste. »Wir müssen die bewährte Strategie von Atalanta adaptieren.

 

Denn mit der Präsenz von Marine-Einheiten aus der EU, den USA oder China und von bewaffneten privaten Kräften auf den Schiffen haben wir das Piraterie-Problem vor Somalia reduziert.« Mit dem Ölreichtum und dem wachsenden Handel an Westafrikas Küsten dürfte auch die Piraterie in dieser Region rasch zunehmen, glaubt Wilcocks. Er sieht hier noch eine Menge Arbeit und lukrative Aufträge auf seine Sicherheitsfirma zukommen. Denn: Die westlichen Industriestaaten dürften noch Monate brauchen, um eine überzeugende Unterstützungs-Strategie zur Piratenabwehr im Golf von Guinea vorzulegen – mit oder ohne internationalem Marine-Einsatz. Übernahme mit freundlicher Genehmigung von NDR Info »Streitkräfte und Strategien«.

Von: 
Christoph Rasch

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