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Politische Satire wird im Libanon

Sarkasmus statt Angst

Feature

Politische Satire wird im Libanon gesungen. Die Band »al-Rahil al-Kabir« wird in Beirut nicht nur für ihr IS-Spottlied »Hymne auf den Kalifen Baghdadi« gefeiert. Auch die Politelite im eigenen Land kriegt musikalisch ihr Fett weg.

Im vollbesetzten Beiruter Theater »Metro al-Medina« drängen sich noch ein paar zu spät gekommene Journalisten durch den Eingang, während schon die ersten Oud-Töne hinter dem geschlossenen roten Samtvorhang erklingen. Als der sich öffnet, gibt er den Blick frei auf die Mitglieder der Band al-Rahil al-Kabir (zu Deutsch »Der große Verstorbene«). Leise beginnen zwei der sechs im Halbkreis sitzenden Musiker, die ersten Liedzeilen im Unisono und tiefer Stimmlage zu singen.

 

Die Erwartungen des Publikums sind hoch, die Gesichter gespannt. Nach wenigen Minuten haben die Sänger überzeugt, die Instrumente setzen kraftvoll ein und der Saal wird ergriffen vom unverwechselbaren Klang der Band – energetisch, vertraut und neu zugleich und vor allem mitreißend. Zuerst waren nur zwei Konzerte für »al-Rahil al-Kabir« im »Metro al-Madina« angesetzt. Doch schon nach der ersten ausverkauften Show Mitte August war klar: Es wird weitergehen.

 

Die Band spielt nun bereits das fünfte Konzert für ein ständig wachsendes Publikum. In den letzten vier Wochen haben zahlreiche libanesische und auch internationale Zeitungen über die Konzerte von »al-Rahil al-Kabir« berichtet. »Wir hatten erwartet, dass einige unserer Songs gut ankommen würden, aber nicht in diesem Ausmaß. Wir sind selbst beeindruckt von der Berichterstattung«, sagt Khaled, der Songschreiber und Pianist der Band. »Das mag daran liegen, dass in diesem Jahr unser Programm politischer ist als im letzten« vermutet er.

 

»Wir singen über konfessionsgebundene Konflikte in unserer Region, über brutale Regime und angebliche Siege.« »Das wichtigste bei unseren Liedern ist aber, dass wir lachen«, fügt er ein wenig später hinzu. Auf Youtube wurde ihr sarkastischer Song »Mawlid Sidi al-Baghdadi – Hymne für den Herrn al-Baghdadi« bisher über 47.000 mal angehört.

 

Das Publikum klatscht im Takt, lacht ausgelassen und singt den mittlerweile bekannten Text mit: »Verehrter Herr Abu Bakr al-Baghdadi, Vertreter Gottes, Sieger für das Gesetz Gottes, du führst die Diener Gottes in einen Abgrund, tiefer als alle Abgründe«, lautet der Refrain des Liedes, das regelmäßig als Zugabe gewünscht wird. Es spielt darauf an, dass sich der selbsternannte Kalif Abu Bakr al-Baghdadi als Vertreter Gottes und seines Gesetzes versteht und »obwohl Islam Erbarmen bedeutet und im Koran steht, dass es in der Religion keinen Zwang gibt, verfolgt und tötet IS jeden, sogar Sunniten, die nicht ins Bild passen«, so Khaled.

 

In ihren Texten greift die Band auf, was den Libanon bewegt. Die Kämpfer des »Islamischen Staates« (IS) stehen an der Landesgrenze, erste Unterstützer haben sie auch schon im Libanon gefunden. Der Strom von syrischen Kriegsflüchtlingen reist nicht ab und trägt den Konflikt über die Grenzen. Innenpolitisch wackelt der schwache libanesische Staat wie eh und je und viel hängt davon ab, wie sich die verschiedenen Gruppierungen im Libanon in den Konflikten der Region positionieren. Anlass zur Sorge besteht also genug und lachen kann ja bekanntlich Angst und Sorge mindern.

 

Der »Islamische Staat« als Witzfigur? So einfach und einseitig sehen die Dinge für »al-Rahil al-Kabir« doch nicht aus. Ihr Spott richtet sich keineswegs nur gegen IS. Vielmehr kann man sich im Libanon öffentlich kaum über jemand anderen mokieren, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. In ihrem Lied »Qumt tlaat maa al-nas – Ich bin aufgestanden, um mit den Leuten raus zugehen« weisen sie mit weitaus indirekteren Anspielungen auf die verzweifelte Situation vieler Opfer von Unterdrückung und Krieg hin, die sich – nach erfolglosen friedlichen Revolutionsversuchen – in Extremismus flüchten und ihre Hoffnung mittlerweile in jeden setzen, der sich dafür anbietet: »Es ist verboten zu schwatzen, es ist verboten den Kopf zu heben, … wir sind überdrüssig geworden, haben Widerwillen empfunden … und haben geschrien ›Ah!‹.

 

Und weil das ›Ah!« verboten ist, stand der erschrockene Sultan auf. … Er jagte seine Hunde auf uns und Schüsse regneten auf uns herab. … Unsere Träume sind zu Albträumen geworden und es blieben uns Vernichtung, Untergang und Dummköpfe. … Und da ist ein berühmter Künstler aufgestanden und brüllte: »›Schämt euch ihr Leute, die ihr den Kopf mit verbotenen Worten erhebt!‹« Dem einen oder anderen im Publikum bleibt mitunter doch ein Lachen im Hals stecken, wenn der bissige Spott sich gegen Vertreter von verschieden politischen und konfessionellen Gruppen im Libanon richtet.

 

»Al-Rahil al-Kabir«, deren Bandmitglieder unterschiedliche konfessionelle Hintergründe haben, richten sich »gegen konfessionelle Denkweisen und solidarisieren sich mit den Menschen und mit deren Revolutionen«, erklärt Khaled. »Sheikh Imam ist unser Vorbild«, fügt er hinzu. Im Konzert spielen sie zwei Stücke des legendären oppositionellen ägyptischen Sängers. Doch es sind keineswegs allein die Texte, die das Charisma der Band ausmachen. Musikalisch verfolgen sie einen innovativen Ansatz. Fast alle Mitglieder sind in klassischer arabischer Musik ausgebildet und erfahren. »Unsere Musik ist nicht schwer zu verstehen, jeder kann mitsingen. Sie ist stark verwurzelt in arabischer Tradition und außerdem bringt sie die Leute zum Lachen«, sagt Khaled über die Musik, die größtenteils aus seiner Feder stammt.

 

»Der aggressive Sound der Band kommt daher, dass wir in einer aggressiven Situation leben«

 

Hört man sich die einzelnen Stücke etwas genauer an, wird deutlich, wie auserlesen ihre musikalische Sprache ist: neben Einflüssen aus klassischer arabischer Musik wie Um Kulthum und Abdel Wahhab sind auch religiöse Gesänge und volkstümliche Lieder aus der Region, aus dem Libanon, Syrien und Ägypten, herauszuhören. »Ich will Musik machen, die unserem Lebensrhythmus hier in Beirut entspricht und gleichzeitig nahtlos an unserer Tradition anknüpft, sagt Khaled. Rhythmisch orientieren sich die Lieder an der gesprochenen arabischen Sprache und sind dadurch ziemlich komplex.

 

Wortspiele entstehen mitunter durch die Kontrastierung von virtuos solistisch gesungenem Text und im Chor wiederholten Satzteilen. Besonders innovativ ist die Spielweise der beiden Lauteninstrumente Oud und Buzuq. Sie erzeugen zuweilen einen untypisch aggressiven Klang, der mit seiner Rockigkeit auch den schläfrigsten Zuhörer aus dem Sessel zu heben vermag. »Der aggressive Sound der Band kommt daher, dass wir in einer aggressiven Situation leben«, erklärt Khaled.

 

Die arabischen Medien lieben sie dafür: »Diese Lieder sind das, wonach wir suchen«, schreibt die libanesische Zeitung al-Akhbar. »Sie verpflichten sich aktuellen politischen und gesellschaftlichen Fragen und scheuen sich nicht, Macht in all ihren Ausformungen zu kritisieren. Sie tun das in Form einer schönen und sorgfältig ausgearbeiteten Musik und einer Sprache, der es an Sarkasmus nicht mangelt.«

Von: 
Anna Schmidt

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