Lesezeit: 11 Minuten
Hip-Hop im Sudan und in Saudi-Arabien

Die Rapper vom Roten Meer

Feature
Hip-Hop im Sudan und in Saudi-Arabien
Der 22-jährige Künstler Hyper249 gehört zu den erfolgreichsten Vertretern der sudanesischen Rap-Szene, die sich auf beiden Seiten des Roten Meeres immer größerer Beliebtheit erfreut. Naier & Farag

Sucht man nach einem verbindenden Beat des Roten Meeres, stößt man auf sudanesische Rapper. Ihre Musik erobert die Nachbarländer. Das hat auch mit Politik zu tun.

Umringt von weiteren jungen Männern rappt er in das Mikrofon, das ihm eine weitere Person mit Maske entgegenstreckt. Vor dem Hintergrund eines verlassenen Geländes performen acht junge Künstler nacheinander ihre Tracks. Authentischer, rauer Straßen-Rap, der an die Neunziger erinnert. Doch die Rapper vor der Kamera sind in ihren Zwanzigern und kamen vor acht Monaten für diese Aufnahmen zusammen.

 

Einer von ihnen tritt unter seinem Künstlernamen Hyper249 (zuletzt auch einfach als Hyper) meist mit Sonnenbrille vor die Kamera. Der 22-Jährige stieß im Frühjahr 2024 mit seinem Track »Kanet Ayam Ya Watany« (»Das waren Tage, mein Land«).

 

»Sie erschlugen unser Land, teilten sein Erbe, schworen, es mit ihren schmutzigen Händen zu schützen«, rappt er in der ersten Zeile auf Arabisch, unterlegt von einem einschlägigen Beat, und fährt fort, indem er sich an die Kriegstreiber im Sudan richtet: »Bomben in der Nachbarschaft / Demokratie in den Villen / stehlen, töten, plündern, sprengen / Fick den Präsidenten in seinem Zimmer / Fick Hemedti.«

 

Das Lied handelt von seiner Heimat und thematisiert den Frust der jungen Generation über die Herrschenden, die das Land in den Abgrund steuern und lässt gleichzeitig im Refrain eine Nostalgie zu, die an ein Sudan, an die Tage vor dem Krieg erinnert: »Das waren Tage, mein Land, wie Träume, mein Land.«

 

Produziert hat das Video »Rap Shar3« (zu Deutsch: »Straßen-Rap«). Der ägyptische Medienkanal will talentierte, aber unterrepräsentierte Rapper und Rapperinnen in der MENA-Region fördern. Anfang 2024 veröffentlichte die junge Plattform die Sudan-Ausgabe und kam auf Youtube auf bisher weit über eine Million Aufrufe. Die Ausgabe war so beliebt, dass die Fangemeinschaft eine weitere Folge forderte und »Rap Shar3« schließlich nachlegte.

 

Auch der Künstler Manoura, der mit richtigem Namen Youssef Mounir heißt, ist Fan von den jungen aufstrebenden Rapper. »Die sudanesische Szene ist im Moment sehr frisch. Das gefällt mir«, erzählt der Ägypter gegenüber zenith. Vor allem in Saudi-Arabien und Ägypten hat der sudanesische Rap Momentum. Die Spotify-Statistiken verraten, dass Hörer ihre Musik besonders häufig in Alexandria, Kairo, Giza, Riad und Dschidda abrufen. Also in Ägypten und Saudi-Arabien. »Das liegt am Krieg im Sudan«, glaubt Mounir.

 

Sudan teilt die Gewässer des Roten Meeres unter anderem mit Ägypten und Saudi-Arabien. Nicht erst seit dem Ausbruch des Krieges im April 2023 hat sich eine beträchtliche Zahl von Sudanesen Richtung Norden und Osten begeben. Vor der konfliktbedingten Flucht und parallel dazu migrieren junge Menschen, insbesondere Männer, seit Jahrzehnten in die am Roten Meer gelegenen Staaten. Sie suchen neue Möglichkeiten, Freiheit, Bildung und eine lebenswerte Zukunft. Einige versuchen sich auch im Musikbusiness.

 

Die Spotify-Statistiken zeigen: Das große Publikum sitzt in Alexandria, Dschidda und Riad

 

Die nun durch den Krieg gewachsene sudanesische Diaspora beeinflusst die Musikszene und den Markt vor Ort, erklärt Youssef Mounir. »Die Künstler sind mit ägyptischen und saudischen Musiklabels im Geschäft.« Über diesen Weg haben sich auch Mounir und Hyper kennengelernt, bei »El-Batron«, einem der wichtigsten Labels in Ägypten. »Seit etwa einem Jahr arbeiten wir nun zusammen – und ich bin besessen von seiner Musik.« Als visueller Künstler und Produzent hat er an Hypers im Sommer erschienenen Song »Bath Taghreeby« (»Demostreaming«) und dem dazugehörigen Musikvideo mitgewirkt.

 

Teil dieser Kollaboration war auch der 24-jährige Sudanese Ahmed Hassan, der sich zenith mit seinem Künstlernamen OX vorstellt. Ahmed Hassan ist Freund und Manager von Hyper und Teil seines Rap-Projekts. Beide brachen ihr Studium im Sudan ab, noch bevor der Krieg ausbrach, und migrierten in die ägyptische Hauptstadt Kairo. Doch mit dem Rap begannen sie schon in ihrer Heimat, erinnert sich Hassan. »Hyper spielte Gitarre, bevor er nach Ägypten kam. Im Jahr 2021 haben wir mit dem Rappen begonnen.« Ein Freund und Produzent halfen ihnen bei den ersten Versuchen und Aufnahmen im Studio. »Wir sendeten ihm jeweils die Vocals zu und er hat den Rest gemacht und uns den fertigen Track dann zurückgeschickt«, erzählt Ahmed Hassan.

 

Durch die Teilnahme bei einem Rap-Wettbewerb, organisiert von der Plattform »Freedom Music Egypt« im Jahr 2022 mischte Hyper dann auch das erste Mal in der ägyptischen Rap-Szene mit. Er gewann den Rap-Battle-Wettbewerb, kurz darauf folgte sein erstes Album sowie der Auftritt bei »Rap Shar3«.

 

Sudanesischer Rap ist keine neue Erscheinung. »Er hat seine Wurzeln in den Neunzigern«, weiß Ahmed Hassan. Die meisten würden wie er die Anfänge des Raps im Sudan in die 1990er- und frühen 2000er-Jahre verorten. Die Journalistin Hala Kashif erklärte im Sommer im Kulturmagazin GQ Middle East, wie Rap im Sudan auch dank gebrannter Audiokassetten Anklang fand. Songs von Eminem und 50 Cent, Snoop Dogg und weiteren überwiegend US amerikanischen Hip-Hop-Künstlern verbreiteten sich auf diese Weise im Land. So war die erste Welle des sudanesischen Raps stark vom Gangster-Rap beeinflusst und sozusagen ein Nebenprodukt der westlichen Musikproduktion.

 

»In jüngster Zeit haben Rapper jedoch begonnen, sich mit jugendbezogenen Themen zu befassen und ein detailliertes Bild des Lebens von jungen Menschen zu vermitteln«, erklärt Ahmed Hassan. »Es ist halb Mitternacht, ich bin noch wach. Da ist ein Feuer in meinem Gehirn, das einen Feuerlöscher braucht. Die Realität ist krank, aber dies ist das Heilmittel«, rappt Hyper in »Marijuana« über einen entspannten Beat und richtet sich im Song an eine vertraute Person, die er hofft nach dem »Chaos«, also vermutlich nach dem Krieg, wiederzusehen: »Ich habe dir eine Menge zu erzählen. Nach dem Chaos werden wir uns am selben Ort treffen, am selben Ort bei Sonnenuntergang.«

 

Hip-Hop im Sudan und in Saudi-Arabien
Anfang 2024 veröffentlichte die Plattform »Rap Shar3« eine Sudan-Ausgabe und kam auf Youtube auf bisher weit über eine Million Aufrufe. Youtube / Rap Shar3

 

Die Texte handeln vom Leben in der Diaspora, sind aber vor allem von den Gefühlen junger Menschen inspiriert. Hyper schafft es so, seine Emotionen in Bezug auf die Situation in seiner Heimat zu thematisieren und gleichzeitig ein nicht sudanesisches Publikum anzusprechen. Damit distanzieren sie sich auch von einer Generation von arabischen Rappern, die vorwiegend für die Produktion von Protestsongs Bekanntheit erlangten. Doch das bedeutet nicht, dass ihre Musik weniger politisch ist.

 

Es ist ein neuer Stil, der sich in den letzten Jahren durchsetzt und den sudanesischen Rap in Diasporaländern beliebt macht. Youssef Mounir beschreibt diese Art des Genres als Hoffnungsträger für viele junge Menschen. »Diese Musik vermittelt ein Stück Seelenfrieden, und viele Menschen brauchen das. Zu einem gewissen Punkt lässt mich diese Musik weniger einsam fühlen«, sagt er gegenüber zenith.

 

»Wir gehen raus und fliegen, wir vergessen die Sorgen, wir vergessen den Kummer«, singt Hyper im Song «Khalia Be Niya« (zu Deutsch: »Es bei der Intention belassen«) von A.G Nimeri. Die beiden sudanesischen Rapper vermitteln Hoffnung. Der Song berührt, und zwar nicht nur Menschen, die sich mit dem Sudan verbunden fühlen. »Ich mag den sudanesischen Rap vor allem wegen der Texte. Es handelt sich um Conscious-Rap, und der war in der Region bislang noch nicht so viel anzutreffen«, erklärt Youssef Mounir.

 

Der sudanesische Rapper A.G. Nimeri, dessen politische Rap-Songs ihn während der Revolution 2018/19 bekannt machten, nimmt wahr, dass sich der Fokus einiger Rapper seit Beginn des Krieges eher auf die innere Gefühlswelt und weniger auf Politik konzentriert. Gegenüber dem New Lines Magazine erklärte er, mit »Khalia Be Niya« mit Hyper auch ein Zeichen gegen die Polarisierung im Sudan zu setzen. Es werden nicht die Mächtigen, die Kriegsparteien angesprochen, es geht um einen selbst: »Lass es sein, keine Sorgen, wir werden morgen aufbauen«, singt der Musiker weiter.

 

Unter diese »New-School«-Generation, wie sie Ahmed Hassan nennt, fällt auch der sudanesisch-saudische Rapper Dafencii. Der junge Musiker produziert unter dem in der Region einflussreichen saudischen Label »MDLBST« und ist bekannt für seine Versiertheit im Umgang mit Texten auf Englisch, Arabisch und Randok.

 

Der Fokus einiger Rapper hat sich seit Beginn des Krieges eher auf die innere Gefühlswelt und weniger auf Politik konzentriert

 

Dieser markante sudanesische Straßenslang verleiht dem sudanesischen Rap eine authentische und einzigartige Note. Ahmed Hassan beschreibt es so: »Es ist noch immer Arabisch, aber Randok ist ein Straßenslang, den es auch nur im Sudan gibt.« Der verleiht den Songs eine Rauheit und einen Fluss und unterscheidet sich so von anderen arabischen Rap-Songs.

 

Dass sich so ein einzigartiger Stil herausbilden konnte, liegt daran, dass der sudanesische Rap kaum Profit machte und somit auch nicht von genreüblichen Veränderungen und Kontroversen um die Kommerzialisierung der Musik eingebunden war. Das führte zur Entwicklung eines authentischen und lokalisierten Sounds. Ein weiterer Grund liegt aber auch in den vergleichsweise strengen Zensurbestimmungen gegenüber Rap im Sudan, wohingegen etwa Saudi-Arabien und Ägypten die Hip-Hop-Szene eher fördern und vermarkten.

 

Ahmed Hassan spürt, dass der zeitgenössische Rap junger Sudanesen auch in der saudischen und ägyptischen Zuhörerschaft immer größere Akzeptanz erfährt, »weil sich der Kulturaustausch tatsächlich auf die Musik auswirkt«, sagt er. Der sudanesische Rapper Flippter, dessen Texte im Zuge der Aufstände im Sudan vor allem politisch aufgeladen sind, beschreibt gegenüber GQ Middle East den Einfluss dieses kulturellen Austausches auf seine Musik.

 

»Der Sudan und Saudi-Arabien haben meine Musik und meine Identität als Rapper stark beeinflusst«, sagt der Rapper. »Beide Kulturen haben mich auf ihre Weise tief beeinflusst und meinen Sound, meine Texte und meine Perspektive geprägt. Das ständige Hin und Her hat mich auch gelehrt, anpassungsfähig und belastbar zu sein und meinen Wurzeln immer treu zu bleiben, während ich gleichzeitig neue Einflüsse und Sounds willkommen heiße.«

 

Dieser Einfluss der beiden Kulturen findet sich in Flippters Song »Gorasa«. Dort steigt er in der ersten Zeile auf Englisch ein: »Rhyming on some Saudi and camel type of beat, but I remain a Pha(black)raoh prince of Meroe type of Nubian's halo« (»Ich rappe auf einem Beat, der an Saudi-Arabien und Kamele erinnert, aber ich bleibe ein Pharao-Prinz aus Meroë mit nubischem Heiligenschein«). Im Jahr 2017 erschienen als Musikvideo auf dem Youtube-Kanal »Dogar«, thematisiert Flippter in diesem dreiteiligen Werk den sudanesisch-saudischen Einfluss auf seine Musik und zollt dabei seiner sudanesischen Herkunft Respekt.

 

Gleichzeitig kann der Song auch als sarkastischer Kommentar zu saudischen Stereotypen über die Sudanesen, etwa eine ländliche Lebensweise und Faulheit, gelesen werden. »Die Leute sagten, ich sei hungrig/ Fauler Mann/ Aber mein Geist ist voll«, rappt er im Vordergrund des Videos auf Arabisch weiter, während im Hintergrund eine überspitzte Darstellung seiner sudanesischen Landsleute während der Feldarbeit eingeblendet wird.

 

Ahmed Hassan ist sich sicher, dass sich dieser Kulturaustausch positiv auf die ägyptische und sudanesische Rap-Szene auswirken. »Der Szene im Sudan erfährt bereits großen Zulauf. Der könnte in Zukunft zunehmen«, beobachtet er. Dazu trägt auch bei, dass sich beispielsweise in Saudi-Arabien immer mehr Möglichkeiten für Kunstschaffende auftun, erklärt Youssef Mounir. »Dort können die Rapper auch mehr soziale Kontakte knüpfen.

 

In Saudi-Arabien ist auch genug Geld vorhanden – das hilft den Künstlern zu wachsen.« Auch der Manager und Produzent sieht die nahe Zukunft der Projekte mit Hyper in Saudi-Arabien. Kollaborationen mit Rappern aus dem Golfstaat seien bereits geplant.

 

Das Interesse am sudanesischen Rap ist für junge Menschen aus dem Sudan also auch ein Sprungbrett, eine Chance für eine Zukunft. »Uns bieten sich im Moment mehr Möglichkeiten«, erklärt Ahmed Hassan. Und Musik wie jene von Hyper wiederum inspiriert junge Menschen, glaubt Youssef Mounir: »Das bringt viele Leute dazu, selber Musik zu machen und Spaß an ihrem Leben zu haben.«

Von: 
Simone Keller

Banner ausblenden

Die neue zenith 02/2022 ist da: Reise zum Mittelpunkt der Erde

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Die neue zenith ist da: mit einem großen Dossier zur Region Persischer Golf und überraschenden Entdeckungen. Von Archäologe über Weltpolitik und Wattenmeer zu E-Sports und großem Kino.

Banner ausblenden

Newsletter 2

Der heiße Draht

Frische Analysen, neue Podcast-Folgen, exklusive Einladungen zu Hintergrundgesprächen und Werkstattberichte: Jeden Donnerstag erhalten tausende Abonnenten den zenith-Newsletter. Sie  wollen auch auf dem Laufenden bleiben? Dann melden Sie sich hier kostenlos an.

Banner ausblenden

WM Katar

So eine WM gab es noch nie

Auf 152 Seiten knöpfen sich Robert Chatterjee und Leo Wigger alle wichtigen Fragen rund um die erste Fußball-WM in einem arabischen Land vor.