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Pop-Islam, Scharia und Push-up-Hijab

Verschleierung des kritischen Blicks

Feature

Sind junge, bewusst Kopftuch tragende Musliminnen die Avantgarde eines neuen muslimischen Bewusstseins? Zwei neue Bücher bejahen das. Dabei führen deren Autorinnen jedoch eine problematische Generalisierung fort.

Man begegnet ihnen bei H&M, an Schulen, Universitäten und im Bus. Junge Musliminnen, selbstbewusst und meist ausgesprochen modisch gekleidet. Und stets mit Kopftuch, das streng nur das Gesichtsfeld freilässt, sich aber oft in raffinierten Wickeltechniken auftürmt zu einem imposanten Gebilde, einer Art »Push-up-Hijab«. Mit ihrer sichtbaren Präsenz im öffentlichen Raum fordern sie Anerkennung für eine neue globalisierte Form muslimischer Identität: strenggläubig, modebewusst und aufstiegsorientiert. 

 

Und auch in der deutschen Öffentlichkeit werden die Stimmen derer lauter, die sich berufen fühlen, das Kopftuch und ihre Trägerinnen gegen »Vorurteile« verteidigen zu müssen. Sie weisen in ihren Stellungnahmen zu Recht darauf hin, dass zwischem dem traditionellen Kopftuch der Mütter und der »aus eigener Entscheidung« gewählten Verhüllung der selbstbewussten, bildungsorientierten Töchter Welten liegen. Doch das Bedürfnis, diese Frauen in Schutz zu nehmen, führt nicht selten zu einer Sichtweise, die in ihrer apologetischen Undifferenziertheit der kritisierten »Islamophobie« erstaunlich ähnelt.

 

Als »Vorurteil« wird geradezu reflexartig verurteilt, was der – natürlich stets positiven – Selbstdarstellung der Kopfttuchträgerinnen nicht entspricht. Und da für diese Frauen Islam und Kopftuch untrennbar miteinander verbunden sind, gilt auch ihren Apologetinnen jeder, der das Kopftuch kritisiert, schnell als gegen »den« Islam und »die« Musliminnen eingestellt. Damit reproduzieren sie jedoch die rigide Entweder-Oder-Logik der Fundamentalisten: Jenseits des Schleiers scheint weit und breit kein Islam denkbar.    

 

Pop-Islam: Scharia und Push-up-Hijab

 

Die Journalistin Julia Gerlach hat den frommen Frauen und ihren männlichen Geschlechtsgenossen mit »Zwischen Pop und Dschihad« ein kenntnis- und detailreiches Buch gewidmet. Die von ihr interviewten jungen Gläubigen entdecken den Islam für sich neu und statten ihn mit allen Accessoires einer medial vermittelten, globalen Jugendkultur aus. Sie orientieren sich sowohl an westlicher Mode als auch an einem Islamverständnis, das zweifelsohne als »nicht liberal« zu bezeichnen ist, was Gerlach allerdings nicht weiter zu irritieren scheint. Der von ihr beschriebene Spagat zwischen westlichen Trends und Scharia ist in der Tat atemberaubend: Gott steht über dem Grundgesetz, das aber als mit der Scharia vereinbar gilt. Der Islam als Religion des Friedens soll bekannt gemacht werden, neo-orthodoxe Strenggläubigkeit mit strikter Geschlechtertrennung wird durch ein ausgeprägtes Mode- und Stilbewusstsein zum hippen Lifestyle einer muslimischen Avantgarde stilisiert.

 

Vor lauter Begeisterung über modische Kopftücher und das sympathische Auftreten der von ihr so genannten »Pop-Muslime« kommt Gerlach allerdings bald der kritische Blick abhanden. Nach der Lektüre scheint es, als könnten junge Muslime nur im neo-orthodoxen »Pop-Islam« eine authentische, identitätsstiftende Integration ihrer Herkunftsreligion und westlicher Moderne finden.

 

Der-Hijab als coole äußere Verpackung, dahinter allerdings eine selbst gewählte, strenge Frömmigkeit, bei der sich der Gläubige vor jedem neuen Schritt erst fragen muss, ob er dies oder jenes nun als »Muslim« darf oder nicht: Ein solchermaßen auf dogmatische Ver- und Gebote reduzierter, in die »Identitätsfalle« (Amartya Sen) getappter Islam als die große Hoffnung für eine Neubestimmung dieser Religion in der modernen Welt? Und warum übt ausgerechnet diese literalistische Auslegung des Korans mit ihrer obsessiven Fixierung auf strikte Verhaltensregulierungen eine so starke Anziehungskraft aus – wieso gelten nicht liberal-progressive Neuinterpretationen wie die von Nasr Abu Zaid als »hip« und »cool«?

 

Doch tiefergehende Fragen stellt Gerlach ihren Gesprächspartnern nicht. Sie akzeptiert deren Anspruch auf Deutungshoheit über »Islamic correctness«: Bestimmte Dinge dürfen »die« Muslime eben nicht tun, das sollte die Mehrzeitsgesellschaft tolerieren, um ein friedliches Zusammenleben der Kulturen nicht zu gefährden.

 

Verschleierte muslimische Wirklichkeit

 

Im Gegensatz zum Autorenduo Christina von Braun und Bettina Mathes erkennt Gerlach immerhin, dass – Pop hin oder her – der von dieser angeblichen Avantgarde vertretene Islam alles andere als »liberal« ist. Die beiden Kulturwissenschaftlerinnen haben mit »Verschleierte Wirklichkeit. Die Frau, der Islam und der Westen« ein die gegenwärtige Wirklichkeit ziemlich verschleierndes Werk von großer Belesenheit vorgelegt. Der Erregung über das islamische Kopftuch begegnen sie mit einer Analyse der zunehmenden Entblößung des westlichen Frauenkörpers. Doch auch hier setzt im Laufe einer tour de force durch die Kulturgeschichte der apologetische Impuls die kritische Haltung zunehmend außer Kraft.

 

So sensibel ihr Blick noch für die ideologische Macht ist, mit der Frauen die vollkommene Entblößung ihres Körpers als »Freiheit« verkauft wird, so erstaunlich unkritisch sind sie andererseits bereit, im modernen Kopftuch ausschließlich ein Zeichen von muslimisch-weiblicher Emanzipation und Selbstbestimmung zu sehen. Kopftuchzwang im Iran wird in einem Satz erwähnt, durch den Verweis auf den hohen Prozentsatz von Studentinnen aber sofort wieder heruntergespielt. Man staunt: Kein Wort über all die Frauen, die sich mit dem Mullah-Regime einen täglichen symbolischen Kampf um jeden Zentimeter unterm Kopftuch hervorschauendes Haar liefern!

 

Kopftuchkritiker sind aus dieser Sicht mithin ausnahmslos voyeuristische westliche Männer und westliche sowie verwestlichte muslimische Feministinnen, vereint in ihrem obsessiv-projektiven Bedürfnis, die muslimische Frau durch Entschleierung endlich zu »befreien«. Die berechtigte Kritik an weitverbreiteten Vorurteilen nimmt unversehens Züge einer kulturellen Essentialisierung an: Die »muslimische Frau«, Anfang des 20. Jahrhunderts in vielen Ländern per Gesetz zwangsentschleiert, scheint also erst in der gegenwärtigen Wiederverschleierungsbewegung zu ihrer eigentlichen Identität als »Muslimin« zurückzufinden?

 

Westliche »Vorurteile« gegenüber dem Schleier entlarven von Braun und Mathes in gut psychoanalytisch angehauchter, orientalismuskritischer Tradition als »Projektionen« des verdrängten Eigenen. Doch ihre Schleier-Verteidigung steht den kritisierten Vorurteilen an Emotionalität und Einseitigkeit kaum nach. Immer deutlicher zeigt sich im Verlauf der Lektüre, dass auch sie die Figur der »Muslimin« letztlich benutzen, um projektiv ein unbewusstes Bedürfnis zu befriedigen: »Die Verschleierte« wird hier exotisierend zur Vertreterin des »Anderen« stilisiert und ist damit über jede kritische Hinterfragung erhaben.

 

Als zu schützendes, gar zu verteidigendes Objekt ermöglicht sie dem eigenen Gewissen die Befriedigung einer Wiedergutmachung. So hält bezeichnenderweise die Aussage von westlichen Prostituierten, sie gingen ihrer Arbeit aus »freier Entscheidung« nach, dem aggressiv-entlarvenden Blick der Autorinnen nicht stand, die gleichlautende Behauptung von Kopftuchträgerinnen hingegen ist ihnen über jeden Zweifel erhaben!  

 

Unreflektierter Doppelstandard

 

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass sich von Braun und Mathes in ihren Überlegungen zum westlichen Umgang mit dem »Fremden« auf die Psychoanalytikerin und Philosophin Julia Kristeva berufen, die sich allerdings, wie den Autorinnen anscheinend entgangen ist, explizit gegen das Kopftuch an französischen Schulen ausgesprochen hat. Auch dass intime Kenner sowohl der arabischen als auch westlichen Kultur wie Tahar Ben Jelloun, Adonis und Abdelwahab Meddeb, die über jeden Vorwurf der Islamophobie oder unkritischen Übernahme westlicher Sichtweisen erhaben sind, dem modernen Kopftuch und damit verbundenen Islamverständnis der neuen Frommen dezidiert kritisch gegenüberstehen, könnte zumindest nachdenklich stimmen.

 

Doch lieber nehmen die Apologetinnen einen unreflektiert bleibenden Doppelstandard in Kauf: Je kritischer der Blick auf das Eigene, desto unbedingter muss das Fremde – hier »die Muslimin« – stellvertretend unangetastet und verhüllt bleiben. Das ist als Toleranz verschleierter, auf die zu schützenden »Objekte« herabschauender Paternalismus. Denn Respekt schließt Kritik nicht aus, im Gegenteil. Negative Vorurteile lediglich durch umso vehementer vertretene positive Generalisierungen zu ersetzen führt hingegen zu einer Selbstverschleierung des eigenen Blicks. Und damit wird man letztlich weder dem Eigenen noch dem Fremden gerecht.

 
Von: 
Bettina David

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