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Präsidentschaftskandidaten der Muslimbrüder

Nun also doch

Analyse

Überraschend nominieren die Muslimbrüder mit Khairat El-Shater einen eigenen Präsidentschaftskandidaten – ein Zeichen gegen oder Kompromiss mit dem regierenden Militärrat?

Der 62-jährige Ingenieur und Unternehmer Khairat El-Shater war unter Mubarak mehrfach aus politischen Gründen inhaftiert, zuletzt wurde er 2006 vor einem Militärgericht zu sieben Jahren Haft verurteilt. Diese wurde aber im März 2011 vom Militärrat aufgehoben. Seit Jahren ist er Financier und intellektueller Kopf der Muslimbrüder. Politisch gilt er als pragmatisch, dem Westen nahe stehend und wirtschaftsliberal.

 

Viel interessanter als die Person El-Shater ist die Frage, warum die Muslimbrüder nun plötzlich doch jemanden aus ihren Reihen als Präsidentschaftskandidaten nominieren. Schließlich beteuerten Politiker der Bruderschaft bisher immer, sie strebten einen Kompromisskandidaten in Kooperation mit anderen politischen Kräften an und würden keinen eigenen Kandidaten ins Rennen schicken. Dieses Versprechen sollte auch die Stimmen beschwichtigen, die vor einer kompletten Übernahme der politischen Macht durch die Muslimbrüder warnten.

 

Die offizielle Begründung der Muslimbrüder ist, dass ein starker Kandidat der politisch stärksten Kraft den demokratischen Prozess sicherstellen soll, den sie in den letzten Wochen durch das unkooperative Verhalten des Militärrats bedroht sahen. Der Militärrat, der seit dem Sturz Mubaraks die exekutive Macht im Land ausübt, verweigert die Übergabe der Macht an eine zivile Regierung vor den Präsidentschaftswahlen im Mai.

 

Das Parlament agiert derzeit ohne rechtliche Grundlage

 

Der Machtkampf zwischen den Muslimbrüdern als stärkster Kraft im Parlament und dem Militärrat eskalierte letzte Woche, als die Muslimbrüder die Absetzung der Regierung Ganzouri forderte, der Militärrat sich aber strikt weigerte. Daraufhin drohte der Chef der Miliitärrats Feldmarschall Tantawi mit der Auflösung des Parlaments. Ohnehin sind die Kompetenzen des Parlaments derzeit ohne rechtliche Grundlage, der Militärrat muss also jeder Entscheidung zustimmen.

 

Um ihre politische Agenda verwirklichen zu können, brauchen die Muslimbrüder also die Exekutive. Denn ob der neue Präsident angesichts der vielen dem alten Regime nahe stehenden Kandidaten wirklich den demokratischen Prozess vorantreibt, scheint keineswegs sicher. Man befürchtet, dass ein gefälschter oder echter Sieg eines Kandidaten des Militärs den erneuten Weg in eine Diktatur bedeuten könnte und möchte dem einen starken Kandidaten der Muslimbrüder entgegen setzen.

 

Politische Gegner der Muslimbrüder haben hingegen andere Theorien. Es wird behauptet, El-Shater wäre der perfekte Kompromisskandidat von Militärrat und Muslimbrüdern: pragmatisch, wirtschaftsliberal, freundlich dem Westen gegenüber – und dazu noch mit Bart. Seit langem kursieren Gerüchte, dass es einen Deal zwischen Muslimbrüdern und Militärrat gibt, der den Muslimbrüdern die Macht und dem Militär die Privilegien sichert.

 

Begründet werden diese Vermutungen mit den auffallend zurückhaltenden Äußerungen der Muslimbrüder über den Militärrat und der Weigerung, die seit vergangenem Jahr in Protesten Gestorbenen als Opfer des Militärs anzuerkennen. Ist die Kandidatur El-Shaters also vorher vom Militärrat abgesegnet worden? Für viele Revolutionäre sind die Muslimbrüder deshalb inzwischen genau so Gegner wie der Militärrat.

 

Schrecken die Taktikspielchen der Muslimbrüder ihre Wähler ab?

 

Doch unklar ist, wie gut El-Shaters Chancen wirklich sind. Schließlich wird sich der Sieg bei den Parlamentswahlen nicht so leicht wiederholen lassen. Das islamistische Lager ist bei den Präsidentschaftswahlen gespalten. Neben El-Shater kandidieren beispielsweise der Salafist Hazem Abu Ismail, der seit Wochen einen aufwendigen Wahlkampf führt und überall in Ägypten auf Plakaten omnipräsent ist.

 

Oder der ehemalige Muslimbruder Abu El-Fotouh, der Lager übergreifend vielen als moderater Kompromisskandidat gilt. Nicht nur Liberale, auch viele Wähler des islamischen Lagers sind von den offensichtlichen Taktikspielchen der Muslimbrüder im Rahmen der konstitutionellen Versammlung abgeschreckt worden.

 

Ob die Nominierung El-Shaters sich also am Ende für die Muslimbrüder auszahlt, oder ob dies der Beginn einer Kampagne gegen die zu strategischen Ambitionen der Muslimbrüder ist, das bleibt abzuwarten.

Von: 
Victoria Tiemeier

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