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Protest gegen Anti-Islam-Film in Ägypten

Salafisten und andere Krawallmacher

Feature

Den Protest gegen den Anti-Islam-Film nutzten viele Demonstranten, um Stärke zu zeigen oder offene Rechnungen zu begleichen. Eine besonders unrühmliche Rolle spielten die ägyptischen Medien.

Nach einigen Recherchen internationaler Medien ist nun klar, dass es sich beim Streifen »Unschuld der Muslime« nicht um eine Filmproduktion im eigentlichen Sinne, sondern um das Werk eines in den USA lebenden Kopten namens Nakoula Basseley Nakoula handelt, der unter der falschen Identität Sam Bacile Schauspieler für einen angeblichen Film über das Leben in Ägypten vor 2000 Jahren anheuerte und so einige amateurhafte Szenen zusammenschnitt.

 

Nachträglich manipulierte er diesen durch Doublage und verwandelte so den antiken Wüstenfilm in ein Hassvideo über den Propheten Muhammad. Die Schauspieler und Mitwirkenden des Films distanzierten sich ausdrücklich von den jetzigen Aussagen des Films. Bekannt wurde das Video erst, nachdem zunächst radikale, in den USA lebende ägyptische Kopten, allen voran Maurice Sadek, zusammen mit dem radikalen Priester Terry Jones eine öffentliche Filmvorführung für den 11. September planten, was sie auf Englisch und Arabisch bewarben.

 

Darauf wurden auch Salafisten in der arabischen Welt aufmerksam, die davon auf religiösen, salafistischen Sendern berichteten und zu Widerstand aufriefen. In Ägypten geschah dies beispielsweise auf dem salafistischen Sender Al-Nas durch den Scheich Khaled Abdallah, der für seine engen Verbindungen zum Geheimdienst bekannt ist.

 

Daraufhin folgten weitere Demonstrationsaufrufe auf anderen salafistischen Sendern, sowie im Internet über soziale Medien. So erfüllte der Film schließlich sein Ziel: maximale Provokation am symbolischen Datum des 11.September. Die weitere Mobilisierung war ein Selbstläufer. Über soziale Medien verbreiteten sich Gerüchte, die amerikanische Regierung hätte den Film finanziell unterstützt und der Film solle im amerikanischen Fernsehen ausgestrahlt werden.

 

Die folgenden Tage der Straßenkämpfe hatten dann gar nichts mehr mit dem Film zu tun

 

Die Proteste begannen schließlich, am Anfang noch hauptsächlich getragen von salafistischen Gruppen und Parteien. Doch diese verloren schnell die Kontrolle. Die Demonstranten in Kairo schafften es, in die Botschaft einzudringen, die amerikanische Flagge herunterzureißen und zu verbrennen, und dann die von Al-Qaida verwendete Flagge zu hissen.

 

Warum die Sicherheitskräfte der ansonsten so gut bewachten amerikanischen Botschaft nicht eingriffen, ist bis heute ein Rätsel. Vielleicht kam das Bild der Al-Qaida-Flagge auf der amerikanischen Botschaft im Ägypten der Muslimbrürder den  Sicherheitskräften, die nach wie vor dem alten Regime nahe stehen, sehr gelegen.

 

Doch bereits zu diesem Zeitpunkt, nach Hissen der Al-Qaida-Fahne, distanzierte sich die Mehrheit der Salafisten, darunter die größte salafistische Partei Al-Nur. Die beginnenden Kämpfe zwischen Demonstranten und Polizei zogen weitere Demonstranten an – die nicht an der Verteidigung des Propheten, sondern am Kampf mit der Polizei interessiert waren.

 

Die Revolution hat eben auch viele unzufriedene, immer noch wütende junge Männer produziert: Wut, darüber, dass die Verantwortlichen für den Tod vieler Demonstranten nicht zur Rechenschaft gezogen werden, Wut, darüber, dass die Sicherheitskräfte immer noch bei jeder Gelegenheit mit Gewalt gegen Demonstranten vorgehen, dass die Revolution noch nicht die erhofften ökonomischen und politischen Veränderungen erreicht hat.

 

Die folgenden Tage der Straßenkämpfe hatten dann gar nichts mehr mit dem Film zu tun – sie erinnerten deutlich mehr an die Straßenkämpfe in Kairo des vergangenen Jahres. Präsident Mursi, der versuchte durch Statements gegen den Film und durch den Aufruf zu friedlichen Demonstrationen die Wut zu kanalisieren, scheiterte. Die friedlichen Demonstrationen gingen unter neben den gewalttätigen Kämpfen zwischen Polizei und aggressiven Demonstranten.

 

Ägyptens Presse macht keine gute Figur

 

Dass es soweit gekommen ist, ärgert viele. Ein Taxifahrer sagte mir: »Was jetzt vor der Botschaft passiert, ist einfach sinnlos. Ägypter sterben wegen diesem dummen Video? Mit der Gewalt zerstören sie das Bild des Islams, jetzt stehen die Muslime erst recht als Gewalttäter da. So ein Verhalten ist unislamisch. Aber diejenigen, die da jetzt noch demonstrieren, das sind keine Islamisten, das sind arme, dumme Kinder, die auf Krawall aus sind.«

 

Die Salafisten in Ägypten wollten zeigen, dass sie die öffentliche Meinung dominieren und Leute mobilisieren können. Sie wollten durch den Druck auf der Straße die Position der USA verändern und Mursi unter Druck setzen. Eigentlich wollten sie den Volkszorn nutzen, um sich den Beleidigungen des Propheten des Films »Unschuld der Muslime« zu stellen, nun sind die Salafisten selbst schockiert über die unkontrollierbare Gewalt vor den amerikanischen Botschaften im Nahen Osten.

 

Doch die Welle überrollte sie, die Situation wurde unkontrollierbar und brachte die Islamisten wieder einmal mit Gewalt in Verbindung. Interessant ist der Fall auch im Zusammenhang mit der Debatte zur Rolle arabischer Medien und der Pressefreiheit im nachrevolutionären Ägypten. Bedauerlicherweise bestätigte die Berichterstattung wieder einmal, was schon oft kritisiert wurde: die schlechte Qualität der ägyptischen Presse.

 

Statt über Hintergründe aufzuklären, übernahmen viele Zeitungen Gerüchte, ohne sie zu hinterfragen. Man berichtete ausgiebig über die Folgen des Videos, ohne zu recherchieren und analysieren, wie es entstand und verbreitet wurde. Die Debatte um Pressefreiheit blieb so sehr oberflächlich und einseitig.

 

Das Standardargument lautete, es gäbe auch im Westen keine totale Pressefreiheit – in den USA könne man auch keinen Film veröffentlichen, der den 11. September gutheißt. Ein Blick in die amerikanische Verfassung reicht um zu sehen, dass man es eben doch darf. Zweitens hinkt der Vergleich, denn das Muhammad-Video sollte ja nicht in Ägypten, sondern in den USA gezeigt werden. Würde also analog dazu ein Pro-9/11-Film in Ägypten gezeigt, würden dann die ägyptischen Botschaften in den USA und Europa brennen?

Von: 
Victoria Tiemeier

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