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Proteste gegen die Parlamentsauflösung in Jordanien

Fein nuancierte Salamitaktik

Analyse

Die Proteste gegen die Parlamentsauflösung verliefen in Jordanien friedlich und in altbekannten Bahnen. Doch bleibt die Frage: Wann richtet sich der Unmut nicht mehr gegen die ständig wechselnden Regierungen, sondern direkt gegen den König?

Obwohl auf dem Höhepunkt der Protestwelle im März 2011 ein Demonstrant ums Leben kam, erlebte Jordanien in den vergangenen beiden Jahren  keine Massendemonstrationen, die in ihrer Intensität auch nur ansatzweise mit denen anderer arabischer Staaten zu vergleichen wären.

 

Dennoch befindet sich Jordanien seit Jahrzehnten am politischen Abgrund, den das haschemitische Königshaus mit einer fein nuancierten Salamitaktik bislang geschickt vermeiden konnte: Immer wenn der Druck der Straße zu groß wurde, reagierte der jeweils herrschende König mit der Entlassung der gesamten Regierungsmannschaft.

 

Dieses machtpolitische Kalkül ging bislang auf und der Unmut der Bevölkerung richtete sich vor allem gegen die meist von Inkompetenz und Korruption gezeichneten Regierungen. Die Monarchie insgesamt wurde nicht einmal von ihren schärfsten Kritikern in Frage gestellt. In gewisser Weise spielt auch der Bürgerkrieg in Syrien König Abdullah II. bislang in die Hände und festigt seine Machtposition.

 

Zwar fällt es dem kleinen Land auf politischer und wirtschaftlicher Ebene immer schwerer, mit dem nicht enden wollenden Flüchtlingsstrom fertig zu werden und angesichts ohnehin düsterer ökonomischer Aussichten und begrenzter Ressourcen nehmen auch die Ressentiments gegenüber den Flüchtlingen zu. Allerdings dient die Gewaltorgie im Nachbarland auch als negatives Fanal und die Furcht, dass auch Jordanien in blutiges Chaos abgleiten könnte, mahnt selbst dezidierte Königskritiker zur Mäßigung.

 

Ein weiterer Zug im Spiel um die politische Macht zwischen den Muslimbrüdern und dem König

 

In jüngster Vergangenheit sind die Rufe nach Reformen und die Forderung einer konstitutionellen Monarchie vor allem von Seiten des politischen Arms der jordanischen Muslimbruderschaft, der Islamischen Aktionsfront (IAF) jedoch immer lauter geworden. Die Demonstration am 5. Oktober unter dem Titel »Inqadh al-Watan – Rette das Vaterland« ist ein weiterer Zug im Spiel um die politische Macht zwischen den Muslimbrüdern und dem König.

 

Bereits am Vorabend war der Schauplatz der Demonstration, der in Downtown Amman gelegene Nakheel-Platz, von Sicherheitskräften weitläufig abgesperrt und Ausländern die Teilnahme an der Demonstration unter Strafandrohung verboten worden – eine direkte Reaktion auf Gerüchte, dass die Veranstalter gezielt geplant hätten, auch irakische und syrische Flüchtlinge für den Demonstrationszug zu mobilisieren.

 

Zwar wurden die angekündigten Teilnehmerzahlen von über 50.000  weit verfehlt worden, dennoch handelte es sich wohl um eine der größten Demonstrationen in Jordanien seit Beginn des Arabischen Frühlings. Damit werden auch die mittlerweile regelmäßig nach dem Freitagsgebet in Amman, aber auch anderen urbanen Zentren wie Irbid und Karak stattfindenden Protestveranstaltungen mit meist wenigen hundert Teilnehmern weit in den Schatten gestellt.

 

Die Demonstranten waren den Aufrufen der Veranstalter gefolgt, auf jegliche Parteifahnen beziehungsweise Erkennungszeichen beteiligter Organisation zu verzichten. Somit war weit und breit auch keine Fahne der Muslimbrüder zu sehen. Und eine noch bedeutende rote Linie wurde ebenfalls nicht überschritten: Statt »Isqat – Sturz« forderte die Menge »Islah – Reformen«.

 

Zu diesen gehören unter anderem ein modernes und demokratisches Wahlrecht, eine Beschneidung der königlichen Vorrechte, die Bekämpfung von Korruption sowie ein Ende der politischen Einflussnahme durch den Sicherheitsapparat. Dass der Protest nahezu die ganze Zeit ohne Komplikationen ablief, hatte aber auch andere Gründe.

 

Einen Tag zuvor hatte ein neu gegründetes Bündnis von selbsternannten Königstreuen eine angekündigte Gegendemonstration in Amman abgesagt. Dies führte schon im Vorfeld zu einer signifikanten Deeskalation der angespannten Sicherheitslage, zumal es Spekulationen gab, die Sicherheitskräfte könnten sich komplett aus dem Demonstrationsgebiet zurückziehen. Ein ungehindertes Aufeinandertreffen beider Blöcke wäre sicherheitstechnisch der GAU gewesen.

 

Mit dem neuen Gesetz wird die politische Meinungsäußerung im Internet erschwert

 

Im letzten Moment haben sich auch andere Gruppen zurückgezogen: Der Jordanische Ingenieursbund, Jordaniens größter Berufsverband und bislang eine treibende Kraft der Protestbewegung, hatte ebenso wie andere reformistisch eingestellte Gruppierungen abgesagt. Hauptakteure am Freitag waren somit vor allem die Islamische Aktionsfront (IAF) sowie kleinere Parteien aus dem islamistischen, aber auch linksgerichteten Spektrum.

 

Wie es mit Jordanien weitergeht, ist schwer abzuschätzen. Mit der Auflösung des Parlaments am 4. Oktober hat König Abdullah II. den Weg für die umstrittenen Neuwahlen Anfang kommenden Jahres freigemacht. Die Muslimbrüder haben bereits zu einem Wahlboykott aufgerufen. Die vor wenigen Wochen erfolgte Zustimmung des Königs zu einem scharf kritisierten neuen Mediengesetz, welches teils drakonische Strafen für die Betreiber von jordanischen Nachrichtenportalen vorsieht, verschärft zusätzlich die zunehmend brisante politische Situation in Jordanien.

 

Mit dem neuen Gesetz wird die politische Meinungsäußerung im Internet erschwert, was die Schar politisch Unzufriedener weiter anwachsen lassen dürfte. Die entscheidende Frage wird sein: Wann ist der Punkt erreicht, an dem der politische und wirtschaftliche Unmut der Bevölkerung derartig groß ist, dass sich der an Intensität zunehmende Protest nicht mehr gegen die ständig wechselnden Regierungen, sondern gegen den König direkt richtet.

 

Derzeit deutet nichts auf ein Revolutionsmomentum hin. Allerdings: Der Winter naht – und die nächste Benzin- und Strompreiserhöhung ist bereits angekündigt.

Von: 
Andreas Wutz

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