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Proteste nach Anti-Islam-Film

Warum die Empörung?

Analyse

In Benghazi und Kairo entlädt sich ungezügelter Volkszorn. Doch warum echauffieren sich Muslime so sehr über 13 langweilige, schlecht inszenierte Minuten – und warum müssen deswegen Menschen sterben?

Als Reaktion auf die vermeintliche Veröffentlichung eines anti-islamischen Films in den USA protestierten gestern etwa 5000 Menschen vor der amerikanischen Botschaft in Kairo. Teilweise kam es zu kleineren Ausschreitungen, bei denen unter anderem Feuerwerkskörper gezündet wurden.

 

Die Demonstranten stürmten die Außenmauern der Botschaft, rissen die amerikanische Flagge herunter und hissten dafür eine schwarze Flagge mit dem muslimischen Glaubensbekenntnis (»Es gibt keinen Gott außer Gott und Muhammad ist sein Prophet«). Sie ließen sich dann jedoch von den Sicherheitskräften überreden, die Botschaft nicht komplett zu stürmen.

 

Unter dem Jubel der Menge schrieben sie an Wände und Türen der Botschaft das muslimische Glaubensbekenntnis – und den Namen Osama Bin Ladens. In deutschen Medien ist von einer von Islamisten und Salafisten dominierten Demonstration die Rede, arabische Medien schreiben und zeigen jedoch ein gemischteres Bild.

 

Unter den Demonstranten sollen auch die berühmten Fußballfans (Ultras) und viele Kopten sein. Viele Videos zeigen Demonstranten, die »Muslime und Christen – Hand in Hand« rufen – und sich gegen die religiöse Aufwiegelung stellen. Grund für die Proteste, deren Eskalation in Libyen mehrere Todesopfer forderte, darunter auch US-Botschafter Christopher Stevens, ist erneut der Vorwurf der Beleidigung des Islams und des Propheten Muhammad.

 

Konkreter Anlass ist ein in den USA von einem Israeli namens Sam Bacile produzierter Film mit dem Titel »Innocence of Muslims – Unschuld der Muslime«. Bereits Anfang Juli hatte Bacile auf Youtube den nun für Ärger sorgenden Trailer veröffentlicht. Nun steht die Veröffentlichung des kompletten Films kurz nach dem Jahrestag der Anschläge des 11. Septembers 2001 kurz bevor.

 

Seit einigen Wochen kursieren in Ägypten Gerüchte, dass die amerikanische Regierung den Film unterstütze und ihn am Jahrestag der Terroranschläge im Fernsehen ausstrahlen wolle – ein gefundenes Fressen in der Gerüchteküche Kairo. Schockierte Muslime fordern von der amerikanischen Regierung ein Verbot der Veröffentlichung des Films aus Rücksicht auf die religiösen Gefühle der Muslime. Besonders heikel ist das Mitwirken von einigen in den USA lebenden ägyptischen Kopten. Beobachter fürchten nun erneut Ausschreitungen gegen die christliche Minderheit in Ägypten.

 

Insgesamt ein langweiliger Streifen, durchmischt mit allerlei Vorurteilen, Sex und Gewalt

 

Der 13-minütige Trailer auf Youtube handelt einerseits von Verfolgungen von Kopten durch Islamisten im heutigen Ägypten, andererseits geht es um Muhammad und seine Gefährten zur Zeit der Entstehung des Islams.

 

Die Koptenverfolgung wird als Abschlachtung von jungen, koptischen Frauen durch primitive, bärtige Männer dargestellt, vor der Kulisse des Ägyptens, wie es sich die Regisseure wohl vorstellen: Wüste mit primitiven Hütten, davor Steinzeitmenschen mit Bärten, die mit Keulen auf Kopten einschlagen.

 

Bei der Darstellung Muhammads wird dann noch dicker aufgetragen. Muhammad, wie er mit vielen Frauen schläft und sich dabei auf seine Unfehlbarkeit beruft. Muhammad, wie er zur Tötung der Ungläubigen aufruft, wie er Juden tötet. Muhammad als naiver, unwissender Mann, der von Juden ein Buch überreicht bekommt, in dem ein bisschen Judentum und ein bisschen aus der Bibel steckt.

 

Die Themen sind wild aneinander gereiht und ohne Zusammenhang, dazu eine sehr primitive Aufmachung mit sehr schlechten Schauspielern und Dialogen. Insgesamt ein langweiliger Streifen, durchmischt mit allerlei Vorurteilen, Sex und Gewalt. Dieser Film ist kein Film im eigentlichen Sinne, er taugt nicht zur Veröffentlichung und war es wahrscheinlich auch nie.

 

Er ist das Werk von Einzelpersonen, die offensichtlich nichts vom Filmemachen verstehen. Der Trailer hat etwa die Qualität eines Bekennervideos von Al-Qaida. Und offensichtlich denkt der Regisseur auch in ähnlich extremer Weise: »Der Islam ist eine Religion des Hasses, wie ein Krebstumor für die Welt.«

 

Dieselbe Geisteshaltung und dieselbe Rhetorik finden in der muslimischen Welt häufig genug Anwendung, wenn etwa von Israel oder den USA die Rede ist. Die Darsteller des Streifens haben sich inzwischen deutlich distanziert – und fühlen sich betrogen. In dem Casting-Aufruf, den der Branchendienst Gawker heute noch einmal veröffentlichte, ist von einem Filmprojekt namens »Desert Warriors« die Rede.

 

Fast so zweifelhaft wie das Filmchen ist auch die Identität hinter dem Pseudonym Sam Bacile. In der Filmbranche jedenfalls kennt niemand den Macher des Aufreger-Streifens. Warum also echauffiert sich die muslimische Welt – oder zumindest ein gut sichtbarer Teil ihrer Öffentlichkeit – so sehr über 13 langweilige, schlecht inszenierte Minuten? Ignorieren wäre sicherlich die bessere Strategie gewesen, um diesen sehr dummen Film endgültig vergessen zu machen.

 

Der Vorwurf an Obama, er unternehme nichts gegen die Provokateure, geht ins Leere

 

Zwei Argumente müssen bedacht werden: Einerseits ist die Empörung über den Film nicht ohne die Dimension der Weltpolitik zu denken – genauso wie die Verbrennung von Koranexemplaren in Afghanistan durch amerikanische Soldaten nicht ohne den entsprechenden politischen Hintergrund gesehen werden kann.

 

Nachdem in der Wahrnehmung vieler Muslime der Islam nun seit einem guten Jahrzehnt für die Probleme dieser Welt verantwortlich gemacht wird, liegen die religiösen Gefühle blank. Hinzu kommt, dass genau dieser Hass auf den Islam dann als Erklärung für Gewalt und Kriege des Westens – von Afghanistan, Irak, aber auch die Unterstützung Israels im im Nahostkonflikt – gegen die arabisch-muslimische Welt gesehen wird.

 

Zweifelhafte bis fahrlässig dumme Verhaltensweisen westlicher Streitkräfte tun ihr Übriges, finden schnell den Weg in die Medien und passen sich ins Narrativ ein. Im Mai etwa schockierte die Nachricht, dass in einem Ausbildungslager für Offiziere der US Army Hass auf den Islam und gegen Muslime gepredigt und auf den Krieg gegen den Islam vorbereitet wird.

 

So lässt sich keine Gewalt gegen Botschaftsangehörige rechtfertigen – und der Anschlag auf die Vertretung in Benghazi war nach heutiger Erkenntnis von Al-Qaida-Elementen scheinbar länger geplant gewesen – aber zumindest die Erhitzung der Gemüter besser nachvollziehen. Andererseits, wer die Achtung religiöser Gefühle und damit islamischer Kultur einfordert, muss auch bereit sein, ebenso tolerant zu sein.

 

Einer der wichtigsten Werte, die Presse- und Meinungsfreiheit, verbietet es der amerikanischen Politik einfach, Zensur auszuüben. Der Vorwurf an Obama, er unternehme nichts gegen die Provokateure, geht ins Leere. Es steht ihm nicht zu, etwas zu unternehmen, außer zu bedauern, dass »Menschen das Recht der Pressefreiheit missbrauchen, um Muslime zu beleidigen«.

 

Die amerikanische Demokratie basiert auf einer breiten Auslegung von Meinungsfreiheit und künstlerischer Freiheit, auch diese Tradition muss respektiert werden. Zudem muss sauber unterschieden werden zwischen Regierungshandeln und dem Handeln einzelner Privatpersonen, die in diesem Fall zum Teil nicht einmal amerikanische Staatsbürger sind.

Von: 
Victoria Tiemeier

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