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Restaurierungen und Megaprojekte in Baku

Eine Ölstadt soll sich neu erfinden

Feature

Baku hat sich in den letzten fünf Jahren massiv verändert. Neubauten, aufwendige Restaurierungen und Megaprojekte prägen das neue Gesicht der Stadt. Deutsche und türkische Firmen mischen mit, die lokale Industrie schaut unbeteiligt zu.

Wer Baku zuletzt vor fünf Jahren besucht hat und heute zurückkehrt, kann sich nur wundern, wie rasant sich das Stadtbild der aserbaidschanischen Metropole am Kaspischen Meer verändert hat. Die Innenstadt wurde saniert, ebenso die Gründerzeitfassaden; sowjetische Plattenbauten entlang den Hauptverkehrsadern (den häufigsten Fahrtrouten des Präsidenten) erhielten neue Fassaden. In den Wohn- vierteln schossen massenweise pastellfarbene Hochhäuser in die Höhe, ganze Stadtteile mit alter Bausubstanz wurden ohne Rücksicht auf Denkmalschutz oder architektonische Konsistenz abgerissen und neu bebaut.

 

Nun greift der Bauboom auf private Investorenprojekte über. »Jede aserbaidschanische Firma oder Bank will sich jetzt eine neue Verwaltungszentrale bauen«, sagt Thomas Winterstetter vom Stuttgarter Ingenieur- und Planungsbüro Werner Sobek. Die Erneuerungsmaßnahmen hätten Bakus Innenstadt lebenswerter gemacht, findet er – hier gebe es jetzt alles, was das Herz begehre: Restaurants, Boutiquen, sogar einen McDonald’s.

 

Auch die staatlich orchestrierte Umbauphase ist bei weitem nicht abgeschlossen. Das größte Neubauvorhaben nennt sich »Baku White City«. Wo früher die Wohnstadt der Ölarbeiter stand, die sogenannte »Schwarze Stadt«, soll nun ein edel anmutendes Neubauviertel ganz in Weiß entstehen. Neben zahlreichen Wohn- und Bürogebäuden ist ein architektonisch anspruchsvoller Kern von Wolkenkratzern und Bürogebäuden vorgesehen, der den Eindruck genuiner Urbanität vermitteln soll.

 

Derzeit macht die Regierung das ehrgeizige Projekt auf internationalen Immobilienmessen bekannt, um Investoren anzuwerben. Bei einer Verwirklichung werde es »sicher genug Arbeit geben für die nächsten 20 bis 30 Jahre«, glaubt Winterstetter.

 

Seit 2007 ist der Stuttgarter Ingenieur als Projektleiter für Fassade und Tragwerk zweier Megaprojekte zuständig: der Flame Towers und des Hejdar-Alijew-Kulturzentrums. Die markanten Gebäudekomplexe bilden neben dem Ausbau des internationalen Flughafens das Kernstück der Neugestaltung von Baku. »Die Idee hinter diesen Prunkstücken ist es, city icons zu schaffen – so etwas wie das Opernhaus von Sidney«, sagt Winterstetter. Die Regierung wolle den Ruf der Stadt als verseuchte, dreckige Ölproduktionsmetropole loswerden.

 

»Jede Firma will sich eine neue Verwaltungszentrale bauen«

 

Ein Blick auf die fast fertigen Megaprojekte macht deutlich, was Winterstetter meint: Dominant ragen die Flame Towers, entworfen vom größten US-Architekturbüro HOK, aus der Mitte der terrassenartig ansteigenden städtischen Bebauung Bakus hervor. Die drei flammenartig geformten Glastürme spielen auf die zoroastrische Vergangenheit der Region an. In einigem Abstand entsteht das weiß-glänzende Hejdar-Alijew-Kulturzentrum, benannt nach dem früheren Präsidenten der jungen Republik und Vater des heutigen Staatschefs. Der vom Büro der Stararchitektin Zaha Hadid entworfene Bau soll einmal ein multifunktionales Veranstaltungszentrum, ein Museum und ein Opernhaus beherbergen.

 

Gebaut werden die beiden Megaprojekte von der türkisch-aserbaidschanischen DIA Holding, die 2007 eigens zu diesem Zweck gegründet wurde; Winterstetters Arbeitgeber Sobek ist als Subunternehmer für sie tätig. »Damals, 2007, gab es nur vier Personen, die Architekten und mich«, erinnert sich Winterstetter. Was DIA seitdem aus dem Boden gestampft habe, sei eine Meisterleistung.

 

Der aserbaidschanische Baumarkt gebe die Materialien für derart anspruchsvolle Projekte gar nicht her; auch an qualifiziertem Fachpersonal mangele es. Alles müsse importiert werden – aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, aus Europa und der Türkei. »Wir haben da eine Menge Erklärungsarbeit investiert und teilweise Detailentwicklung bis hin zur letzten Schraube geleistet«, sagt der Deutsche über die Zusammenarbeit mit den Zulieferern in Istanbul.

 

In Aserbaidschan selbst scheint nur wenig von dem transferierten Know-how zu bleiben. Die Stadt und ihre Bewohner profitierten dennoch, findet Winterstetter, weil der Umbau der Metropole auch die Renovierung ganzer Stadtteile und den Ausbau der Infrastruktur umfasse. »Baku hat sich in einem beispiellosen Kraftakt von einer heruntergekommenen sozialistischen Bettenburg-Stadt zu einer lebenswerten Großstadt gewandelt, in der man sich manchmal fühlt wie in Wien oder Paris.«

 

Ganze Stadtteile mit alter Bausubstanz wurden abgerissen und neu bebaut

 

Während viele Einwohner Bakus den Umbau mit Skepsis und Unwohlsein betrachten, sieht der Stuttgarter den gut umgesetzten Masterplan dahinter. Begünstigt werde dessen Verwirklichung gerade durch die geringe Zahl an Entscheidern in der aserbaidschanischen Regierung: Lähmende demokratische Legitimierungsprozesse wie in Europa fielen einfach weg. »Das ist wie in China, wenn einmal das Go kommt, geht alles sehr schnell«, sagt Winterstetter. Und im Unterschied etwa zum Bauboom in Dubai stünden in Aserbaidschan Milliardeneinnahmen aus dem Öl- und Gassektor als sichere Finanzierung hinter den Plänen.

 

Das ehemals sagenhafte aserbaidschanische Wirtschaftswachstum, das in den Jahren ab 2004 zunächst durchschnittlich 21 Prozent erreichte, hat sich zwar aufgrund der Krise nach 2008 deutlich verlangsamt; 2010 lag es nur noch bei 3,7 Prozent. Dennoch hat das Land in den fetten Jahren ausreichend Geld- und Goldreserven aufgebaut, um die Folgen der Krise abfedern zu können.

 

Nun ist eine Diversifizierung der heimischen Wirtschaft das Gebot der Stunde: Möglichst rasch will sich Aserbaidschan von der einseitigen Abhängigkeit vom Erdöl- und Gassektor befreien. 2010/11 entfielen immerhin schon sieben bis zehn Prozent des BIP auf die Baubranche. Zwar sind die ausländischen Investitionen in der Branche seit 2002 stark rückläufig, doch dafür steigen die inländischen stetig an. Nur muss die einheimische Industrie noch lernen, einen größeren Teil der Arbeit selbst zu übernehmen.

 

Zu den ambitionierten Großprojekten in Baku gehört auch die Chrystal Hall, der Veranstaltungsort des Eurovision Song Contest in diesem Mai. Gebaut worden ist die wabenartig gestaltete Halle direkt am Ufer des Kaspischen Meeres von Alpine Bau Deutschland. Die aserbaidschanische Regierung stellte dafür 212,5 Millionen Manat (203 Millionen Euro) zur Verfügung. Allerdings führten die mit dem Projekt einhergehenden Abriss- und Umsiedlungsmaßnahmen in der Umgebung zu Protesten im In- und Ausland.

 

Und ein Teil des Geldes für den Bau kommt aus staatlichen Töpfen, die ursprünglich für die Sanierung der Wasser- und Kanalisationssysteme in den ländlichen Regionen Aserbaidschans vorgesehen waren. Schlagerwettbewerb statt Trinkwasser – ob diese Rechnung aufgeht?

Von: 
Sara Winter Sayilir

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