Lesezeit: 6 Minuten
Salafisten und die Costa-Bewegung

Der Caféhaus-Revolutionär

Feature

Das Feature »Der coole Salafist« erzählt von Mohammed Tolba und der von ihm initiierten Costa-Bewegung. Ihr Ziel: Das zerstrittene Ägypten zu versöhnen. Ein Hör- und Diskussionsabend im Heimathafen Neukölln.

Das Studio im Neuköllner Heimatabend ist fast bis auf den letzten Platz belegt. Während im großen Ballsaal im Erdgeschoss ein Konzert stattfindet, unterhalten sich die Besucher in der ersten Etage eher leise. Sie warten neugierig auf das Hörstück. Dann startet das gut 50-minütige Feature des deutsch-marokkanischen Journalisten Mohamed Amjahid. »Der coole Salafist. Koran und Cappuccino für ein besseres Ägypten« erzählt die Geschichte von Mohammed Tolba.

 

Der 37-Jährige ist Gründer der »Costa-Bewegung für ein friedliches Zusammenleben« – etwas, das viele in Deutschland von einem Salafisten nicht erwarten würden. »Costa« stammt von »Costa Coffee«, dem ägyptischen Ableger der britischen Kaffeeröster. In einer ihrer Filialen in einer betuchten Gegend von Kairo, in Mohandeseen, ist dem Vollbart tragenden Software-Manager die Idee dazu gekommen.

 

»Als gläubiger Muslim und bekennender Salafist träumt Tolba mit seinen Anhängern von einer Gesellschaft, in der Scharia und Kapitalismus selbstverständlich nebeneinander existieren«, erklärt die Erzählerstimme gleich zu Beginn des Features. »Religiös aber weltlich, klein aber einflussreich soll die Costa-Bewegung sein. Und vor allem: tolerant. Die Caféhauskette Costa stehe für Respekt gegenüber nicht-salafistischen Muslimen, Christen und Atheisten, die alle unter einem Dach ihren Kaffee schlürfen. Und wenn das im Kleinen möglich sei, kann das auch, davon ist Tolba überzeugt, im Großen funktionieren.«

 

Früher oder später wird Tolba ein wichtiges Amt bekleiden, meint seine Frau

 

Seine »Mission« beginnt Tolba 2011 nach dem Sturz von Präsident Hosni Mubarak. Seitdem zieht er durch das Land, in dem eine kleine Berühmtheit geworden ist. Seine Facebook-Seite, auf der er in stylischen blauen und roten Adidas-Sportjacken zu sehen ist, hat inzwischen über 160.000 Fans. Amjahids Feature stellt den Mann und seine Bewegung vor, begleitet ihn zu Universitäten, wo Tolba von seiner Vision für ein besseres Ägypten spricht. Dazu gehört, dass die Menschen nicht wegen ihres Glaubens und Aussehens diskriminiert werden sollen.

 

Der gläubige Muslim spricht aus eigener Erfahrung: »Ich kann nicht mehr auf die Straße gehen. Gerade hat man mich schon wieder attackiert«, sagt er im Feature zu Amjahid. »Wegen meines salafistischen Barts sehe ich so aus wie diejenigen, die das Land regiert haben. (...) Wenn ich ihnen dann aber sage, dass ich Mohammed Tolba bin, von den Costa-Salafisten, entschuldigen sie sich.« Amjahid bekommt einen tiefen Einblick ins Tolbas Leben. Er darf ihn zuhause besuchen und mit seiner Frau Doaa sprechen.

 

Sie ist Mutter dreier Kinder und trägt einen Ganzkörperschleier – freiwillig, wie sie betont. Doaa, die Lehrerin für Englisch ist und sehr selbstbewusst auftritt, begleitet ihren Mann und seine Costa-Bewegung wohlwollend, aber kritisch. Anders als er spricht sie offen über seine Ambitionen: »Ich denke, dass Mohammed früher oder später einen wichtigen Posten bekleiden wird. Vielleicht nicht jetzt, aber ich weiß, dass er es machen wird.«

 

Nur wer zum Religionsunterricht gehen will, wird beschenkt

 

Dem Feature gelingt es, den Zuhörer nahe an den Menschen Tolba und seine Gedankenwelt zu führen. Dennoch hält Amjahid stets eine gewisse Distanz zu seinem Protagonisten ein. Besonders deutlich wird sie am Ende des Stücks. Tolba und eine Gruppe von Costa-Salafisten fahren wieder in eines der vielen ärmlichen Dörfer auf dem Land. Und auch diesmal haben sie Kleider, Nahrungsmittel und Spielzeug mit dabei.

 

Der Erzähler: »Während die Eltern damit beschäftigt sind, ihre Geschenke entgegen zu nehmen, erhalten die Kinder einen Crashkurs in islamischer Religionsausübung. Die meisten Kinder gehen hier nicht regelmäßig mit ihren Eltern in die Moschee. Doch nur diejenigen, die versprechen, dies zu ändern, bekommen von der Aktivistin Süßigkeiten. Hier also, in einer der ärmsten Gegenden Ägyptens, wo die Menschen manchmal Stroh essen müssen, um zu überleben, werden die Salafisten von Costa nun doch wieder zu ganz gewöhnlichen Salafisten. Hier endet ihre Toleranz.«

 

Ein wirklichkeitsnaher, plastischen Eindruck von den Problemen und Widersprüchen der ägyptischen Gesellschaft

 

In »Der coole Salafist« wechseln kritische Passagen ab mit ungewollt komischen, aber sehr aussagestarken Szenen, etwa wenn Amjahid einen etwa 16-Jährigen bei seiner Beichte zu einem Imam begleitet. Der Junge soll, so der Geistliche, sich nicht mehr berühren, wenn er wieder Träume habe, sondern fünfzig Mal einen bestimmten Vers aus dem Koran lesen: »Als der dürre junge Mann aufsteht, sich verlegen beim Imam bedankt, erkenne ich auf seinem hellgrünen T-Shirt die Aufschrift ›I am sexy and I know it‹.

 

Dann verschwindet er hastig und vergisst fast seine Schuhe.« Der Zuhörer bekommt durch das inhaltlich und stilistisch gelungene Stück so auch einen wirklichkeitsnahen, plastischen Eindruck von den Problemen und Widersprüchen der ägyptischen Gesellschaft. Ein scheinbar nicht zu lösender Konflikt: Der Konsum westlicher Produkte und die Übernahme westlicher Lebensstile auf der einen Seite, die eigenen Sitten und religiösen Überzeugungen auf der anderen Seite. In diesem Kontext sind auch Tolba und seine Bewegung zu verstehen.

 

Ihr Ziel, die Kluft zwischen den verschiedenen Gruppen im Land zu überwinden, stößt daher verständlicherweise auf viel Zustimmung – gerade in der urbanen Mittelklasse. Doch es gibt auch viele Ägypter, nicht zuletzt strengere Salafisten, die Tolba und die Seinen völlig ablehnen. Faszinierend und widersprüchlich – so wurde der ägyptische IT-Experte auch in der anschließenden Podiumsdiskussion wahrgenommen.

 

Sowohl Cilja Harders, Politikwissenschaftlerin an der FU Berlin, als auch der Autor des Features, Mohamed Amjahid, sprachen davon, dass Tolba in keine der üblichen Schubladen passe. Amjahid berichtete bei der Gelegenheit, dass der Salafist inzwischen Werbung für Coca-Cola mache und eine Beratungsfirma gegründet habe. Ihr Name: »Over Coffee Solutions«.

Von: 
Behrang Samsami

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