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Salafisten und Hizbullah im Libanon

Salafisten gegen Hizbullah

Feature

Seit einem Monat protestieren in der libanesischen Hafenstadt Saida Sunniten gegen die Dominanz der schiitischen Hizbullah im politischen System des Landes. An ihrer Spitze: Der Prediger Ahmad al-Assir.

Im Libanon gibt es gerade neben dem Krieg in Syrien nur ein Gesprächsthema: Ahmad al-Assir. In der südlibanesischen Provinzhauptstadt Saida treiben die Predigten des zuvor unbekannten Geistlichen seit Wochen gläubige Sunniten auf die Straße. Sie blockieren die Straßen der 200.000 Einwohner zählenden Stadt, vereinzelt kam es zu Handgreiflichkeiten mit Journalisten und Anwohnern, die den andauernden Protesten kritisch gegenüberstehen.

 

Die libanesischen Medien sind sich jedoch bereits sicher: Für sie ist al-Assir der neue Shootingstar der örtlichen Politik. Sein Anliegen ist brisant: Die einflussreiche Hizbullah-Miliz soll ihre Waffen abgeben. Saida liegt im von der schiitischen Hizbullah dominierten Süden – doch der Ort ist mehrheitlich sunnitisch.

 

Nachdem al-Assir nach eigenen Angaben im Mai an einem Checkpoint der Armee Opfer von Misshandlung, für wenige Stunden gar verhaftet wurde, rief er seine Anhänger zum Widerstand gegen die »Partei Gottes« und deren Generalsekretär Hassan Nasrallah auf. »Ihnen ist es zu verdanken, dass jeder, der einen Bart trägt, jeder, der offensichtlich Sunnit ist, als Radikaler stigmatisiert wird.

 

Das ist Diskriminierung der Mehrheit gegen unsere Minderheit!«, erklärt al-Assir im Gespräch mit zenith. Inzwischen ist die Zahl derer, die vor der Stadtgrenze ein Protestcamp eingerichtet haben, auf mehr als 400 gestiegen, zu den Demonstrationen kommen mehr als 1000 Aktivisten, die meisten von ihnen jung, männlich und streng gläubig.

 

Einige von ihnen brachten technische Ausrüstung mit, die Predigten landen auf Youtube, andere stellten Zelte und Kühltruhen auf. Kritisch beobachtet wird das Lager von dutzenden Polizisten, die mit ihren Mannschaftstransportern die Auffahrt zur stark befahrenen Küstenstraße blockieren. Unter keinen Umständen soll diese Verkehrsader von Demonstranten blockiert werden, wie es in den letzten Wochen mehrfach der Fall war.

 

»Wir werden al-Assir nicht vorbeilassen. Er muss trotzdem friedlich bleiben – schließlich hat er das im Fernsehen versprochen«, bekräftigt der betont lässig gekleidete Einsatzleiter.

 

Identifikationsfigur für viele Salafisten des Landes

 

Angst davor, religiöse Ausschreitungen mit seinen Aktionen zu provozieren – wie es ihm mehrere Politiker des Landes bereits vorwarfen –, hat al-Assir nicht. »Wir haben nichts gegen die Christen, und auch die Schiiten, die hier leben. Was wir fordern, ist rein gegen die Hizbullah gerichtet. Sie und ihre Schwesterpartei Amal schaden dem Libanon.«

 

Bei den letzten Parlamentswahlen 2009 konnte die schiitische Partei, gemeinsam mit ihren Verbündeten von der mehrheitlich christlichen Freien Patriotischen Bewegung (FPM) und Amal, zwar in vielen Regionen siegen, im gesamten Land aber musste sich das so genannte »Bündnis des 8. März« dem rivalisierenden Lager vom »14. März« knapp geschlagen gegeben. In Saida siegte damals unter anderem der eher unbeliebte und blasse ehemalige Premier Fuad Siniora – gegen den Lokalmatador Osama Saad, der sich mit Hizbullah verbündet hatte.

 

Der Saad-Clan, seit den 1960er Jahren die führende Familie in Saida, ist seitdem in der politischen Bedeutungslosigkeit verschwunden. Die Hizbullah hingegen ließ sich von der Niederlage an der Urne nicht beirren – und beteiligte sich tatkräftig am Sturz der Regierung von Saad Hariri Anfang 2011. Sie stellt seitdem einen Teil der libanesischen Regierung unter Premier Najib Mikati.

 

Als einzige der früheren Bürgerkriegsparteien, unterhielt Hizbullah auch nach 1990 eine bewaffnete Miliz. Das würde die Demokratie im Lande faktisch abschaffen, so al-Assir. Von dieser Überzeugung getrieben, steigt er in diesen Tagen mit Mikrofonen bewaffnet auf Lautsprecherwagen, spricht in jede Fernsehkamera, die nach Saida kommt, und ruft seine Anhänger regelmäßig zum gemeinsamen Gebet.

 

Er scheint trotz seiner unscheinbaren Herkunft und seines ländlichen Akzents zur Identifikationsfigur für viele Salafisten des Landes zu werden. Bislang konnte die mehrheitlich sunnitische Future-Bewegung des früheren Premierministers Saad Hariri auch kein Gegenmittel finden, um die orthodoxen Sunniten in Saida oder Tripoli im Norden des Landes an sich zu binden.

 

Noch immer sind viele von ihnen der Hizbullah dankbar, dass sie 2006 Israel bei deren Invasion des Südlibanon einen empfindlichen Schlag versetzte, während die anderen Parteien des Landes untätig blieben. Heute spielen die Sunniten in der Tagespolitik nur eine untergeordnete Rolle.

 

Al-Assirs Aktionen stoßen nicht bei allen Einwohnern von Saida auf Gegenliebe

 

Diese Beliebtheit der Hizbullah könnte auch al-Assir letztlich zum Problem werden. Seine Aktionen stoßen nicht bei allen Einwohnern von Saida auf Gegenliebe: »Seit Wochen geht das so. Al-Assir ist gefährlich und er macht unser tägliches Leben unnötig schwer«, beklagt sich eine Gruppe von Jugendlichen in der Innenstadt, die den Prediger wortreich als einen Verrückten beschreiben.

 

Al-Assir spiele Israel in die Hände, da die Hizbullah doch der einzige Widerstand gegen eine erneute Besatzung sei. »Er soll wieder in seine Moschee zurückkehren und sich aus der Politik fernhalten«, entgegnet auch ein aus Jordanien stammender Islamgelehrte, der sich Abu Abdallah nennt, wenige Meter weiter.

 

Als orthodoxer Sunnit eigentlich gleicher Gesinnung wie al-Assir, stehen sie sich in der Frage, ob der Islam politisch aktiv oder Privatsache sein soll, unvereinbar gegenüber. Über diese Frage streiten die Theologen bereits seit Jahrhunderten. Dass Abu Abdallah so die schiitische Hizbullah unterstützt, zeigt, wie verworren das politische System des Libanon teils ist.

 

Während al-Assir seine Predigt beendet, sein Headset absetzt und sich in seinen etwas abgelegenen Wohncontainer zurückzieht, kühlen seine Anhänger die Stirn mit Eiswürfeln und sinken auf Matratzen nieder. »Nachts kommen manchmal unsere Gegner aus der Stadt und zerstören unsere Einrichtung«, berichtet Muhammad, der für al-Assirs Moschee ehrenamtlich als Fotograf arbeitet.

 

Dass es im Gegenzug aber auch schon zu Steinwürfen auf Polizisten und Schlägereien mit Gegendemonstranten kam, unterschlägt er. Am Eingang des Lagers haben die Demonstranten Stacheldraht verlegt. Was er hier erreichen wolle? »Entweder die Hizbullah gibt auf und unsere Brüder und Schwestern werden wieder als vollwertige Bürger anerkannt, oder die Armee tötet uns«, sagt er mit dem gespielten Fatalismus eines Aktivisten.

 

Sein prominenter Wortführer kommt indes nicht zur Ruhe. Im Minutentakt klopfen Bittsteller an die Tür seines Refugiums, lokale Fernsehsender bitten um Interviews, Gläubige suchen theologischen Rat. Ein entnervtes »Oh Allah!« entfährt ihm. Geht seiner Bewegung die Luft aus, kann al-Assir innerhalb von wenigen Wochen wieder vergessen sein, im Libanon kann eine politische Karriere sehr kurzlebig sein.

 

Er selbst sieht sich bereits als den großen Gegenspieler des omnipräsenten Hassan Nasrallah, doch von dieser Stufe ist er noch weit entfernt. Dass ihn die Hizbullah als einen Gegner auf Augenhöhe betrachtet, ist sein Ziel. Wie so viele andere hochrangige Parteifunktionäre in den letzten Jahrzehnten bei einem Bombenanschlag der Schiiten-Miliz zu sterben, ist seine Vision.

 

Dass das dem brüchigen Frieden zwischen den Konfessionen des Libanon einen empfindlichen Schlag versetzte, würde er in Kauf nehmen. Schließlich hat die vom Iran und von Syrien unterstützte Hizbullah in diesen Monaten am meisten zu verlieren.

Von: 
Nils Metzger

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