Seit einem halben Jahr steht die syrisch-kurdische Ortschaft Amuda unter Selbstverwaltung. Erstmals können die Einwohner ihre Kultur offen ausleben, doch der Krieg zwischen syrischer Armee und Opposition wirft dunkle Schatten.
Es sind kleine Dinge, die Aras am meisten erfreuen: Ein Lied, oder ein Vers reichen aus. »Sieben Jahre lang habe ich auf Arabisch gearbeitet, für Theater in Damaskus und anderen großen Städten – nur in meiner eigenen Sprache durfte ich nie auftreten«, berichtet der schwarzhaarige Schauspieler. Sein Heimatort Amuda liegt außerhalb von Qamischli, mit seinen rund 200.000 Einwohnern die inoffizielle kurdische Hauptstadt Syriens. Amuda ist verschlafen, eine kleine Ortschaft, in der Jeder mit Jedem verwandt ist.
Seitdem der Bürgerkrieg im Rest des Landes tobt, haben die Kurden im Norden des Landes eine weitreichende Autonomie errungen. Sie schlossen sich dem Aufstand der Opposition nicht offen an, vertrieben jedoch die Soldaten des Regimes aus ihren Städten – teils auch mit Waffengewalt. Nach Jahrzehnten, in denen die regierende Baath-Partei die kurdische Kultur verneinte, arabische Nomaden in ihren Städten ansiedelte und tausende Aktivisten ins Gefängnis warf, wagt die Zivilgesellschaft nun erste, zaghafte Gehversuche.
»Es tut gut, sich endlich in der Muttersprache künstlerisch ausdrücken zu können«, beschreibt Aras seine Euphorie. In einem früheren Kulturzentrum der Baath-Partei, zu dem ausschließlich Parteimitglieder Zugang hatten, gibt er nun Kindern und Jugendlichen Schauspielunterricht. Andere Freiwillige geben Tanzkurse oder Nachhilfestunden. Dass die Wände so vieler sozialer Einrichtungen in Amuda mit Plakaten gefallener PKK-Kämpfer und des in der Türkei inhaftierten Kurdenführers Abdullah Öcalan gespickt sind, spiele keine Rolle, so Aras: »In unserem Theater geht es nicht um Parteien. Wir schreiben niemandem vor, Öcalan oder Barzani zu unterstützen.«
»Die Revolution ist eine Lüge«
Dennoch laufen in diesen Tagen viele Jugendliche mit PKK-Anstecknadeln umher, oder schließen sich den YPG-Milizen an, von der PKK inspirierte paramilitärische Einheiten. Dabei besteht zwischen Männern und Frauen keinerlei Unterschied. »Wir sind die Hälfte der Bevölkerung, haben Herz und Hände wie die Männer«, betont die Englischlehrerin Hendin. Kurdische Frauen seien da anders als arabische, die Emanzipation der Frau ist einer der Eckpfeiler der sozialistisch-nationalistischen Ideologie der Öcalan-Jünger.
Dass die von Sunniten dominierte Revolution in anderen Landesteilen auch für Frauenrechte stehe, glaubt in Amuda kaum jemand: »Die Revolution ist eine Lüge. Ein von Islamisten geführter Aufstand kann uns keine Freiheit bringen.« Wenige hundert Meter entfernt pflegen vier andere Frauen jedoch einen ungebrochenen Optimismus. Es sind keine jugendlichen Aktivisten, die sich in dem violett gestrichenen und mit Blumen ausgeschmückten Haus treffen.
Ansha, Sousin und Dara leiten seit Jahren das Frauenhaus der Ortschaft – Ansha und Sousin sind weit jenseits der Sechzig »Vieles hat sich in den letzten zehn Jahren verbessert. Die Akzeptanz für Frauen, die arbeiten möchten, ist erheblich gestiegen.« Gleichwohl stelle insbesondere die hohe Zahl der Kriegswitwen Familien vor große Herausforderungen. Der wohl wichtigste Schritt zum Aufbau einer kurdischen Verwaltung ist die Schaffung eigener Sicherheitsbehörden und der Aufbau einer politischen Vertretung.
Die Bedrohung durch das Assad-Regime sowie Islamisten haben die zuvor bis aufs Blut zerstrittenen syrisch-kurdischen Parteien zusammen rücken lassen. Das im vergangenen Jahr geformte »Hohe Kurdische Komitee« vereint sowohl PKK- wie auch Irak-nahe Parteien. In die frühere Polizeistation ziehen jetzt so genannte Asayish ein. Diese kurdischen Polizeieinheiten tun inzwischen in mehreren syrischen Städten Dienst, ihre typischen blauen Uniformen mit dem roten Schriftzug haben in Amuda jedoch noch keinen Einzug gefunden.
Zwischen Öcalan-Verehrung und Pragmatismus
In der Eingangshalle der Polizeistation sind die Insignien der Baath-Herrschaft entfernt, die Flagge des Komitees verdeckt eine Wand, die Amateur-Polizisten sitzen bei Tee und diskutieren erregt: Wie weit soll die angestrebte Autonomie gehen? Bis zum eigenen Staat, oder wollen sie als Kurden in Syrien verbleiben? Letzteres geben kurdische Politiker zwar als Parole aus, manchem nach Freiheit dürstendem »Heval« geht das nicht weit genug.
Beendet wird der Disput erst durch den Ruf zu einem Einsatz: Einem Händler wurde Brot gestohlen. Auf dem Weg zur Selbstverwaltung sind die Aktivisten und Freiwilligen oft übermotiviert, manchmal ungeschickt und teils verblendet. Die Betonung der eigenen kurdischen Kultur mag teils eine Überkompensation sein und Raum für Zweifler gibt es auch hier kaum. Nach Jahrzehnten der Unterdrückung finden die syrischen Kurden ihren Weg zwischen Öcalan-Verehrung und Pragmatismus. Für die ökonomisch lange vernachlässigten Gebiete Ostsyriens sind diese Initiativen essenziell.