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Sisi vor der Stichwahl in Ägypten

Sisi hat keine Lösung

Feature

Am 26. und 27. Mai steht Ägypten vor der Entscheidung: Abdelfatah El Sisi oder Hamdeen Sabbahi. Bei Wahlkampfauftritten im Fernsehen wirkt besonders der Favorit überraschend unvorbereitet. Kann Außenseiter Sabbahi im Endspurt noch punkten?

Über 300.000 Auslandsägypter haben bereits vom 15. bis 19. Mai in 141 Wahllokalen weltweit abgestimmt. Das offizielle Ergebnis ist keine Überraschung: 94,5 Prozent votierten für Abdelfatah El Sisi als neuen Präsidenten Ägyptens. Nur 5,5 Prozent gaben seinem Gegner Hamdeen Sabbahi ihre Stimme. Am 26. und 27. Mai werden die Wahllokale nun auch in Ägypten geöffnet. Doch wird die jetzige Wahl frei und fair ablaufen oder wird es eine Rückkehr zu gefälschten Wahlen, wie einst unter Mubarak, geben?

 

Genau vor zwei Jahren, am 23. und 24. Mai 2012, wurde in Ägypten zum ersten Mal eine demokratische Präsidentschaftswahl abgehalten. Der Gewinner, Muhammad Mursi, wurde jedoch im Anschluss an Massendemonstrationen im Juli 2013 vom damaligen Verteidigungsminister und jetzigen Präsidentschaftskandidaten Abdelfatah El Sisi abgesetzt. Man könnte meinen, dass die Zeiten von Wahlergebnissen von weit über 90 Prozent der Mubarak-Vergangenheit angehören. Doch nach dem Sturz Mursis ist die politische Landschaft Ägyptens gelähmt und zugleich polarisiert.

 

Ein regelrechter Medienkrieg gegen die Muslimbrüder heizte die zweigeteilte Stimmung noch mehr an. Dabei standen auf der einen Seite die als Terroristen bezeichneten Muslimbrüder, und auf der anderen der als neuer Held Ägyptens gepriesene Abdelfatah El Sisi, der das Land vor den Muslimbrüdern »rettete«. Seitdem nimmt der Sisi-Kult ungeahnte Ausmaße an. Vergöttert wird er nicht nur in den Medien, die gesamte öffentliche Meinung scheint auf seiner Seite. In den Straßen hängt sein Konterfei an jeder Ecke. Burger, Pralinen und Getränke werden nach ihm benannt. Er selbst zögerte lange, trat mal in zivil, mal in vollem militärischen Ornat auf, und erklärte schließlich doch seine Kandidatur. Sind diese Wahlen also nicht mehr als der formelle Krönungsakt für Ägyptens neuen »starken Mann«?

 

Hamdeen Sabbahi präsentiert sich als ernstzunehmender Herausforderer

 

Anfänglich bestand kein Zweifel an Sisis Siegeszug an der Urne. Doch in den vergangenen Wochen entwickelte der Wahlkampf seine eigene Dynamik. Der linke Politiker Hamdeen Sabbahi, der bei den letzten Präsidentschaftswahlen erstaunlich viele Stimmen gewann und den dritten Platz belegte, ist jedenfalls ein durchaus ernstzunehmender Herausforderer. Er wird von mehreren Parteien des linken Lagers, einigen Gewerkschaften und vielen Aktivistengruppen der Revolution unterstützt.

 

»Einer von uns«, lautet sein Wahlspruch, und so will Sabbahi vor allem die Mehrheit der Ägypter ansprechen, für die Armut und soziale Ungerechtigkeit tägliche Realität sind. Die Gelegenheit dazu bot sich Sabbahi zur besten Sendezeit ausgerechnet im linientreuen Staatsfernsehen – eigentlich ein Heimspiel für Sisi, der erst durch die überbordende Propaganda der staatsnahen Medien zum Heilsbringer stilisiert worden war. Zudem standen sich beide Kandidaten nicht im direkten Duell gegenüber, sondern wurden am 4. Und 6. Mai jeweils für mehrere Stunden interviewt.

 

Den Anfang machte der Favorit. Es war das erste Mal, dass der so umjubelte Sisi länger öffentlich über seine politischen Ansichten sprach. Die Moderatoren boten Sisi über eine Stunde lang eine Bühne, um sich selbst darzustellen und ausgiebig über die Absetzung Mursis und den Weg zu seiner Kandidatur zu sprechen. Sisi präsentierte sich als durchaus konservativer, aber auch nostalgischer Mensch – verpackt in eine ziemlich populistische Rhetorik. Er sei ein sehr gläubiger Muslim, betonte er immer wieder. Seine Frau, die wie alle ägyptischen Frauen zu Hause sitzt und sich um die Zukunft ihrer Kinder sorgt, habe ihm zur Kandidatur geraten, da das Land sonst verloren sei.

 

Sisi selbst kommt aus einem Viertel der unteren Mittelschicht in Kairo. Davon spricht er immer wieder voller Erinnerungen, besonders wenn es um das Miteinander der Menschen unterschiedlicher Religionen geht. Er sei natürlich nicht der Kandidat des Militärs, obwohl die Streitkräfte für seine politischen Ansichten eine zentrale Rolle spielen. Auf die wichtige Frage, ob er das Militär unter zivile Kontrolle stellen wird, grinst er nur und schweigt.

 

Sisi formulierte seinen harten Kurs gegen Muslimbrüder als wahlentscheidenden Faktor seiner Kandidatur und forderte: Schluss mit Demonstrationen, die nur Chaos anrichten. Volle Konzentration der Sicherheitsapparate auf die Sicherheitslage – bei diesen Themen war er in seinem Element. Ebenso wenn es darum geht, seine Liebe für das Vaterland und die Armee zu beteuern. Doch als die Moderatoren nach Inhalten und Wahlprogrammen fragten, trauten viele Ägypter ihren Ohren nicht. Sisi präsentierte weder Lösungsvorschläge noch Entwicklungspläne. Seine Antworten klangen sogar ziemlich dumm.

 

Energiesparlampen als Lösung für die Energiekrise

 

Wie er das Problem der Arbeitslosigkeit lösen würde? »Ich würde den Leuten ein Mietauto zur Verfügung stellen, womit dann drei Leute Gemüse zum Markt fahren können. Das schafft dann pro Auto drei Arbeitsplätze.« Da mussten selbst die Sisi freundlich gesinnten Moderatoren noch mal nachhaken. Sein Rezept zur Lösung der Energiekrise und der Stromausfälle? Sollen die Ägypter halt Energiesparlampen verwenden. Angesichts des Ausmaßes der Krise, der Struktur des ägyptischen Stromverbrauchs und der eklatanten Armut im Land ein reichlich naiver Vorschlag.

 

Auf Twitter und Facebook machten bald Witze über den genialen Einfall der Energiesparlampe als Allheilmittel und Universallösung aller denkbaren Probleme die Runde. Sisis Kampagne reagierte umgehend – und verteilte 300.000 Energiesparlampen als Wahlgeschenke. Dagegen ermittelt nun die Oberste Wahlkommission. Zur Steigerung der Staatseinnahmen bat Sisi die Bürger zur Kasse: »Jetzt ist die Zeit für Spenden gekommen. Jeder so viel er kann, der eine zahlt zehn Dollar im Monat, der andere kann 100 zahlen.« Spenden zur Konsolidierung der Staatsfinanzen?

 

Auch beim Thema Menschenrechte hält er sich vage. Während Sabbahi ankündigte, dass es mit ihm keine politischen Gefangenen mehr geben würde, entgegnete Sisi lapidar, dass es sei nicht an der Zeit sei, diese Frage zu beantworten. Der Vergleich der Kandidaten zeigt, wie unterschiedlich ihr Politikverständnis ist. Auf die Frage nach der Zukunft des ärmeren Oberägyptens appellierte Sisi erneut anekdotenhaft vage an seine Wähler: Er habe in der Armee Südägypter gesehen, deren »Würde beispiellos« sei. »Alles wird gut, ihr müsst nur alle mit anpacken.« Sabbahi dagegen sprach sich dafür aus, drei Prozent der Steuereinnahmen für Investitionen für den Süden des Landes zu verwenden.

 

War Sisi vom Hype um seine Person selber überrascht – und überfordert?

 

Sabbahi setzt auf sein inhaltliches Profil. Er ist klar links ausgerichtet, sieht sich als Kandidat der Revolutionsbewegung von 2011 und schreibt sich demensprechend die Schlagworte »Brot, Freiheit und soziale Gerechtigkeit« auf die Fahne. Seine konkreten Vorschläge: Bekämpfung der Korruption in staatlichen Unternehmen, um dort mehr Arbeitsplätze zu schaffen, Erhöhung der Steuern für Reiche, Anhebung der Renten, Ausweitung der Sozialleistungen, Investitionen in Infrastruktur und Solarenergie und Reform des Bildungs- und Gesundheitswesens.

 

Ironischerweise sehen sich beide Kandidaten in der Tradition von Gamal Abdel Nasser. Doch während Sabbahi Nassers Ausbau der Sozialsysteme und sein Streben nach sozialer Gerechtigkeit schätzt, lobt Sisi den Aufbau des modernen Staates – inklusive der Armee. Wie aufschlussreich sind die TV-Interviews mit den beiden Präsidentschaftskandidaten nun? Hamdeen Sabbahis Auftritt ist keine Überraschung, seine Positionen sind aus dem letzten Wahlkampf bekannt, seine politische Meinung gefestigt. Er forderte seinen Kontrahenten immer wieder zu einem richtigen TV-Duell auf – was Sisi aber stets ablehnte.

 

Der Auftritt des haushohen Favoriten allerdings spricht Bände. Dass sich Sisi politisch schwer einzuordnen lässt, war bekannt. Schließlich mäandert er in seiner Inszenierung zwischen religiös, liberal, wirtschaftsfreundlich, staatsmännisch und volksnah. Nun machte Sisi aber unmissverständlich deutlich, dass er im Wahlkampf ein detailliertes Programm nicht für nötig hält und ausschließlich auf populistische Phrasen setzt. Auch dass Sisi die Priorität auf Sicherheit, öffentliche Ordnung und Stabilität setzt, überrascht nicht sonderlich.

 

Diese Ziele wird er versuchen durchzusetzen – notfalls auch durch den Ausbau zu einem Polizeistaat. Und dafür schätzen ihn die Menschen. Doch die Inhaltsleere zeigt, dass der Kandidat seine Hausaufgaben nicht gemacht hat. Sollte seine Kandidatur, wie oft spekuliert wird, von langer Hand geplant gewesen sein, so hätte er sich ein Programm zurechtlegen können. Vielmehr legt das TV-Interview nun aber nahe, dass das Hinauszögern seiner Kandidatur kein strategischer Schachzug war.

 

Sisi schien tatsächlich nicht vorbereitet auf die Rolle als Präsidentschaftskandidat – wahrscheinlich hat ihn der Hype um seine Person selbst überrascht. Ob all das Einfluss auf die Wahlentscheidung der Mehrheit nimmt, ist fraglich. Sicherlich überdenken einige Wähler der gebildeten Mittelschicht ihre Entscheidung. Viele Aktivisten bekennen sich nun deutlich zu Hamdeen Sabbahi. Dessen Mitstreiter schöpfen nach dem TV-Auftritt neue Hoffnung für den Endspurt im Wahlkampf.

 

So sagt Ahmed, ein Aktivist der Kampagne »Hamdeen Sabbahi – Einer von uns«: »Wir haben immer gedacht, Sisi sei ein wahnsinnig schlauer Politiker, gegen den wir keine Chance haben. Nun haben wir gesehen, dass er inhaltlich nichts drauf hat. Wenn es um konkrete Themen geht, fällt er in sich zusammen.« Doch auch Ahmed gibt zu, dass Sisi der Wahlsieg wohl nicht mehr zu nehmen ist. Das Ziel der Aktivisten bestehe nun erst einmal darin, Sisis Triumph möglichst knapp ausfallen zu lassen: »Wenn er nur zwischen 50 und 60 Prozent der Stimmen bekommt, dann wird er wissen, dass viele sein Handeln kritisch verfolgen und bereit sind, ihre Stimme zu erheben, falls er sich zum Diktator aufschwingt oder die Probleme des Landes nicht löst.« Das Wahlergebnis der Auslandsägypter gibt für diese Hoffnung allerdings wenig Anlass.

Von: 
Victoria Tiemeier

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