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Spannungen zwischen Hindus und Muslimen in Indien

Die Kühe in den Köpfen

Feature

Indien gehört zu den führenden Fleischexporteuren, im Land selbst sind Speisevorschriften ein Politikum. Ein Lynchmord offenbart nun abermals die Spannungen zwischen Hindus und Muslimen ums Rindfleisch und setzt Premier Modi unter Druck.

Der Tod von Mohammed Akhlaq sorgt seit Tagen für Schlagzeilen in Indien. Eine Gruppe aufgebrachter Hindus hatte den 58-Jährigen brutal zu Tode geprügelt. Zuvor hatten sie das Gerücht gestreut, der muslimische Landarbeiter habe eine Kuh geschlachtet und in seinem Kühlschrank Rindfleisch gelagert. Die Untat geschah in einem Dorf namens Bisara, keine 50 Kiliometer außerhalb der indischen Hauptstadt Neu-Delhi. Kein Tag vergeht, da die Zeitungen nicht in ihren Innenseiten über Gewaltverbrechen berichten.

 

Der Lynchmord von Bisara hat aber eine andere Qualität. Er wurde schnell zu einem Politikum ersten Ranges. Denn die Gewalttat wirft ein Schlaglicht auf das Verhältnis von Hindu-Mehrheit und Muslim-Minderheit. Diese Beziehungen sind – aller anderslautender Beteuerungen der Regierung und Teilen des muslimischen Establishments zum Trotz – alles andere als spannungsfrei. Viele Streitpunkte, alte und neue, belasten die interkommunalen Beziehungen.

 

Wie ein roter Faden ziehen sich Konflikte durch die indische Geschichte und beeinträchtigen das harmonische Zusammenleben der religiösen Gemeinschaften im Hier und Heute. Im Vergleich zu anderen multireligiösen Gemeinwesen, die in Gewalt und Bürgerkrieg versinken, schneidet Indien gar nicht so schlecht ab. Doch konfliktfrei sind die Beziehungen zwischen Hindu-Mehrheit und der 180-Millionen-Minderheit der Muslime auch nicht.

 

Ein Brennpunkt der Spannungen sind – so banal es zunächst klingen mag – immer wieder die unterschiedlichen Esskulturen. Die Kuh ist dem gläubigen Hindu heilig. Selbst in den modernen Metropolen des Landes gehören streunende, scheinbar herrenlose Rinder zum Stadtbild. Nicht nur auf den Straßen genießen sie Schutz und Respekt. Für den gläubigen Hindu ist es unvorstellbar, das heilige Tier zu töten oder zu verzehren. Indiens Muslime haben eine andere Esskultur. Sie verschmähen, wie überall in der Welt, Schweinefleisch, gehören andereseits aber durchaus zu den Fleischessern.

 

Der Streit ums Fleisch ist in Indien hochpolitisch. Indien ist eine föderale Republik. Die Bundesstaaten entscheiden darüber, ob in ihrem Hoheitsgebiet das Schlachten von Rindfleisch, und damit einheregehend der Handel und der Verzehr, zulässig sind oder nicht. In einigen Bundesstaaten, die von der BJP, der hindu-nationalistischen Volkspartei von Ministerpräsident Narendra Modi regiert werden, gelten Fleischverbote. Auch wenn diese bisweilen zeitlich befristet sind und mit religiösen Feiertagen zusammenfallen, lösen die Prohibitionen immer wieder heftige Debatten aus.

 

In keinem Land der Welt ist die Speiseordnung derart politisiert wie in Indien. Das Ausmaß der Polarisierung in der indischen Gesellschaft, aber auch die Entfremdung zwischen Mehrheit und wichtigster Minderheit, zeigen die Reaktionen auf den Lynchmord. Während die liberale Hauptstadtpresse und die Opposition die Tat als brutales Gewaltverbrechen verurteilen und der Hindu-Propaganda in den Reihen der Regierungspartei zumindest eine moralische Mitverantwortung zuschreiben, gibt es auf der anderen Seite Stimmen, die den religiös motivierten Lynchmord relativieren, ja entschuldigen.

 

»Muslime töten und essen Kühe, weil sie die Gefühle der Hindus verletzten wollen«

 

Zu den Apologeten zählt kein geringrer als der Staatsminister für Landwirtschaft im Kabinett von Regierungschef Modi, Sanjeev Balyan, der die Schuldfrage kurzerhand verdrehte: »Muslime töten und essen Kühe, weil sie die Gefühle der Hindus verletzten wollen.« Mit dieser extremen Position steht der Politiker keinesfalls allein da.

 

Doch es gibt auch andere Stimmen im Schoße der größten Hindu-Partei. So erinnerte der BJP-Abgeordnete Tarun Vijay in einem Zeitungsinterview daran, dass »die Kühe hier Plastik essen und das größte Schlachthaus, das Fleisch in den Nahen Osten verkauft, einem Hindu gehört«. An den Realitäten geht der nun abermals aufgeflammte Konflikt um das Fleisch ohnehin vorbei. Indien ist – aller religiösen Propaganda zum Trotz – eine Nation von Fleischessern. Untersuchungen haben ergeben, dass knapp ein Drittel der Inder Vegetarier sind.

 

Erstaunlicher noch als diese Statistik, die mit dem Stereotyp der Vegetarier-Nation-Indien aufräumt, ist eine andere Kenngröße: Das südasiatische Land ist der größte Fleischexporteur der Welt. Laut US-amerikanischen Angaben liegt Indien beim Rindfeischexport vor Brasilien und Australien und exportierte im vergangenen Jahr 2,4 Millionen Tonnen ins Ausland.    

 

Viele Inder wählten Modi, weil er Arbeit und Entwicklung versprach

 

In den vielen Diskussionen über die Hintergründe der Bluttat von Bisara melden sich daher nicht von ungefährt auch jene zu Wort, die vor den wirtschaftlichen Risiken von Fleischverboten warnen, geht es doch hier um ein Milliardengeschäft. In erster Linie ist es jedoch ein politisches Problem.

 

Alle Seiten warten daher auf eine Stellungnahme des einflussreichen Ministerpräsidenten Narendra Modi. Dieser hatte im Frühjahr 2014 mit seiner BJP einen Erdrutschsieg errrungen. Viele Inder wählten Modi, weil er Arbeit und Entwicklung versprach. Konfessionalistische Rückfälle wie die Bluttat von Bisara passen Narendra Modi, der sich gerne als weltgewandter Staatslenker mit einer High-Tech-Vision für ein modernes Indien sieht, gar nicht ins Konzept.

 

Gleichwohl sind radikale, reaktionäre religiöse Kräfte, die den Muslimen des Landes nichts Gutes wünschen, ein wichtiger Baustein seiner Machtkoalition. Diese Kräfte hätten wenig Verständnis, wenn Modi jetzt besondere Sympathie für das Mordopfer von Bisara an den Tag legen würde.


Dr. Ronald Meinardus ist der Leiter des Regionalbüros Südasien der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit (FNF) mit Sitz in Neu-Delhi.

Von: 
Ronald Meinardus

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