Frauen in Deutschland haben guten Grund, ihre Geschlechtsgenossinnen im Orient zu beneiden. Wäre es nicht manchmal schön, Prinzessin zu sein? Weiße Kartoffel und Orient Beauty dekonstruieren das Spiel der Geschlechter.
»Orient Beauty« – Rana Siblini stammt aus Beirut und ist Sprachwissenschaftlerin und Lehrerin von Beruf. 2010 kam sie nach Deutschland. In Münster schreibt sie an ihrer Doktorarbeit über Nostalgie in der mittelalterlichen arabischen Dichtung. »Weiße Kartoffel« – Stanislaw Strasburger ist polnischer Schriftsteller und freiberuflicher Kulturmanager. Er beschäftigt sich immer wieder mit dem facettenreichen Thema Multikulturalität. Seit mehreren Jahren pendelt er zwischen Köln, Beirut und seiner Heimatstadt Warschau. Orient Beauty und Weiße Kartoffel sprechen miteinander Deutsch. Doch manchmal, wenn es hakt ... Hi, kifak, ça va?
Weiße Kartoffel: Letzten Samstag waren wir bei Mariam in Batroun. Ein wunderbares Restaurant am Meer, leckerer Fisch vom Grill, es war herrlich. Abends hatten wir vor, in Beirut auf ein Konzert zu gehen. Mariam wollte mit und rief ihren Freund an, der in der Nachbarschaft wohnte. Roy kam mit seinem Wagen, damit sie später auch gemeinsam zurückfahren konnten. Wie immer an den Wochenenden gab es viel Stau. Wir brauchten mehr als anderthalb Stunden. Kaum waren wir angekommen, fing Mariam zu maulen an: »Ich will nicht mehr hin, lass uns zurückfahren.« Ich war schockiert, aber Roy schien das überhaupt nicht zu wundern. »Lass gut sein«, sagte er, »du wirst sie eh nicht umstimmen.« Also fuhr er sie zurück, während wir blieben. Beauty, wenn sich da, wo ich herkomme, eine Frau so benimmt, hat sie Roy definitiv das letzte Mal gesehen.
Orient Beauty: Ach, Weiße Kartoffel, das ist nichts im Vergleich zu Christof, der im Studentenwohnheim auf meiner Etage wohnt. Weißt du, wie er sich letztens Nina gegenüber verhalten hat? Unsere Party ging gerade zu Ende. Die Nacht war frostig, es lag Schnee, wir hatten alle etwas getrunken. Und er ließ sie einfach mit dem F A H R R A D nach Hause radeln. Ich weiß, nicht jeder Mann in Europa hat ein Auto. Aber kann man einer Freundin nicht wenigstens ein Taxi rufen, wenn man schon nicht mit ihr fährt ...
Weiße Kartoffel: Nun übertreib mal nicht. Ich gebe zu, die deutschen Männer sind häufig kein Musterbeispiel an Ritterlichkeit, aber Nina kann sich doch selbst ein Taxi bestellen. Und Mariam? Warum ist sie nicht mit ihrem eigenen Auto gefahren? Sie wusste, Roy wird sich allen ihren Launen fügen. Ach ja, die libanesischen Prinzessinnen! Sie machen es mir nicht gerade leicht, sie zu mögen ...
Orient Beauty: Was du sagst, stimmt so nicht ganz. Wenn Mariam sich frei bewegen könnte, ohne fürchten zu müssen, von den weniger ritterlichen Roys auf der Straße belästigt zu werden, bräuchte sie niemanden zu bitten, sie hin- und herzukutschieren ...
Weiße Kartoffel: Wie meinst du das?
Orient Beauty: Weißt du nicht, dass eine Frau im Libanon, die nachts alleine Auto fährt, vielen Unannehmlichkeiten ausgesetzt ist? Ein Mann kann ihr hinterherfahren, sie anlächeln oder anquatschen. So etwas kann schnell in Aufdringlichkeit ausarten ...
Weiße Kartoffel: Moment mal, du willst mir doch jetzt nicht die Story von den unterdrückten arabischen Frauen verkaufen!? Angesprochen zu werden, ist wohl noch keine Unannehmlichkeit! Es mag sein, dass nicht jeder weiß, wie man sich an einer Orient Beauty nähert. Aber ein Tag ohne Komplimente, so unbeholfen sie auch sein mögen, ist schließlich ein verlorener Tag, nicht wahr? Für mich ist Roy derjenige, mit dem man Mitleid haben sollte. Er fuhr Mariam den ganzen Weg, nur um gleich wieder umzukehren und sie nach Hause zu bringen. Ehrlich gesagt, würde mir so etwas öfters passieren, würde ich mich auch nicht immer gentlemanlike benehmen ...
Orient Beauty: Nein, Weiße Kartoffel, du verstehst mal wieder gar nichts! Roy ist nicht so naiv, wie du denkst. Weißt du, wieso er Mariams Verhalten toleriert? Er will nicht, dass sie sich selbständig fühlt. So wird sie immer auf ihn angewiesen sein. Egal was er später macht, sie wird sich nicht so leicht von ihm trennen. Und davon mal ganz abgesehen, was ist denn so schlimm daran, eine Prinzessin zu sein? Arme Nina, sie weiß nicht einmal, wie gut sich das anfühlt ... Ich kapier das einfach nicht! Wie können die Frauen hier so leben ...
Weiße Kartoffel: Aha, jetzt verstehe ich dich! Du willst eine Prinzessin sein und gleichzeitig alle Freiheiten einer selbständigen Frau genießen. Orient Beauty als eine Emanze! Ach die libanesischen Frauen! Sie denken sich Dinge aus, die alles andere, nur nicht realistisch sind ... Aber das ist, wie du zu sagen pflegst, eine ganz andere Geschichte ...
Die Reihe wird parallel auf Polnisch, Arabisch und Deutsch veröffentlicht.
Gefördert durch das Land NRW. Unterstützt durch das Buchinstitut aus Polen und das Goethe-Institut Libanon.