Eine Studie über Frauenrechte in der arabischen Welt verwies Ägypten im November 2013 auf den letzten Platz. Sie blendet jedoch die Stimmen derjenigen aus, die gegen antiquierte gesellschaftliche Vorstellungen und Diskriminierung kämpfen.
36 Fragen brauchte die »Thomson Reuters Foundation«, um herauszufinden, dass Ägypten »der schlimmste Ort für Frauen in der arabischen Welt« ist. Unbestritten ist: In einer Zeit voller Umbrüche sind es die Frauen, die die Hauptlast tragen. Eine Reihe von Fehlschlüssen aber machen die Studie »Women’s rights in the Arab world« vom Herbst 2013 problematisch. Kann man die Ergebnisse akzeptieren, zu denen die Autoren – auf Grundlage einer Befragung von 336 Experten – kamen, ohne dass Faktoren wie der Zugang zu Informationen gemessen worden wäre?
Sind die Daten zu Themen wie sexueller Missbrauch, Zwangsverheiratung oder Genitalverstümmelung in allen untersuchten Ländern wirklich gleich zugänglich? Werden Gesetze, welche die Rechte von Frauen regeln, wirklich auf alle Frauen in den Ländern angewendet, ungeachtet des Alters oder des ökonomischen Hintergrunds? Der Bericht geht auf keine dieser Fragen ein. Noch grundsätzlicher kann man fragen: Wie weit kommt man mit einem Ansatz, der alle Frauen in eine Schublade wirft – ohne Rücksicht auf Alter, Schicht, Bildung oder Ethnie?
Unzählige Initiativen, die aus dem Boden geschossen sind, um den Status von Frauen zu verbessern, wurden ausgespart, während neue Gesetze über ihre Repräsentation in Parlamenten Berücksichtigung fanden. Bedeutet dies, dass manche Variablen, die im Fluss sind, gemessen wurden, andere hingegen nicht? Ergibt es überhaupt Sinn, in einer Zeit des Umbruchs etwas Fixes »messen« zu wollen?
Ist das Überhandnehmen von sexueller Belästigung genug, um solch einen drastischen Schluss zuzulassen?
Vor allem ein Faktor hat dazu beigetragen, Ägypten ans Ende der Liste von 22 Staaten zu beförderen: sexuelle Belästigung. Diese nahm im vergangenen Jahrzehnt stetig zu, auch wenn ein unerwarteter Anstieg seit der Revolution 2011 nicht zu leugnen ist. Politisch motivierte Schikane, frauenfeindliche islamistische Ansichten, prekäre Sicherheitsstandards und Machismo haben Anteil daran. Aber wenn man alle Ergebnisse der Studie zusammennimmt – ist das Überhandnehmen von sexueller Belästigung genug, um solch einen drastischen Schluss zuzulassen?
Ohne den Befund marginalisieren zu wollen: Ägyptische Frauen nehmen seit 2011 weiter am öffentlichen Leben teil. Sie strömen in Scharen auf die Straßen und Plätze. Sie wehren sich gegen sexuelle Gewalt. Und sie erheben ihre Stimme dagegen in den Medien – gegen den Willen von Politikern, die das Ganze unter den Teppich kehren wollen. Sie protestieren, indem sie die schrecklichen Erfahrungen wieder und wieder erzählen. Sie protestieren, indem sie sich weigern, selbst für die Gewalt verantwortlich gemacht zu werden.
Und sie protestieren, indem sie die Gesellschaft dazu drängen, der unbequemen Wahrheit ins Auge zu blicken. Vor zwei Jahren – nach dem berüchtigten Vorfall des »Mädchens mit dem blauen BH«, das von Soldaten ausgezogen wurde – zogen wütende Frauen auf die Straßen und schrien: »Die Frauen Ägyptens sind eine rote Linie!« Ihre Botschaft war klar.
Auf diese Weise machen auch diese Studien Frauen zum Objekt
Diese Art von Widerstand bleibt in der hochgelobten Studie der angloamerikanischen NGO ungemessen, obwohl er auf Wandel hindeutet. Berichte wie dieser blenden die Stimmen derjenigen aus, die dem Diskurs über den »rechtmäßigen Platz« der Frauen im öffentlichen Leben entgegentreten; sie missachten die Rechte, die von Frauen eingefordert werden, und beschränken sich auf solche, die ihnen schon gegeben sind. Auf diese Weise also machen auch diese Studien Frauen zum Objekt.
Ägyptens Frauen täten gut daran, den Bericht nicht zu lesen. So werden sie nicht erfahren, dass Ägypten von allen arabischen Ländern der schlechteste Ort für sie ist. Diese Frauen werden weiter auf eine bessere Zukunft hoffen, während sie hart arbeiten, um ihr Leben und das ihrer Kinder zu verbessern. Sie sind die Hausfrauen und die Brotverdiener Ägyptens. Sie täten gut daran, den Bericht nicht zu lesen, denn sie können es sich schlichtweg nicht leisten, ins Straucheln zu geraten und ihre Schwäche zu bejammern.
Stattdessen werden sie weiter gegen vernarbte gesellschaftliche Vorstellungen und Diskriminierung kämpfen. Vielleicht ist diese Konfrontation notwendig, um eine Gesellschaft zu schaffen, in der sexuelle Belästigung hart bestraft wird und in der man nicht mehr von verheirateten Kindern und Genitalverstümmelung hören muss. Vielleicht bringt sie mutige, kompetente Frauen in mächtige Positionen. Vielleicht ist sie der Beginn eines Kampfes, der Frauen hilft, sich selbst als unabhängig von Ehemännern und Brüdern, Vätern und Söhnen zu verstehen.
Und vielleicht hilft sie den Männern, zu realisieren, dass es mehr Stärke als Schwäche bedeutet, anzuerkennen, dass Frauen ihnen gleichwertig sind.
Yasmine Nazmy lebt und arbeitet als Kulturjournalistin in Kairo.