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Suadi-Arabien und der Krieg im Jemen

Das Jemen-Fiasko

Analyse

Der Intervention im Jemen liegen dieselben Fehler zugrunde, die die Grundfesten Saudi-Arabiens erschüttern, aber auch die anderen Golf-Monarchien gefährden: Allen voran eine gefährlich undifferenzierte Sicht auf schiitische Gruppierungen.

Der Grund, warum die Golfstaaten unter der Führung der Saudis im Jemen intervenierten, beruhte von Anfang an auf einer falschen Einschätzung der Lage. Die von der Hizbullah abgeschauten Massenveranstaltungen und Propagandaslogans und die schiitische Konfession der Houthis – wenn auch nicht der Zwölfer-Schia, sondern der nur im Jemen zu findenden Zaidiya –, waren aus Sicht der Saudis Beweis genug, um die Houthis als iranische Zelle auszumachen, die den Jemen durch ihre Übernahme des jemenitischen Staatsapparates Mitte 2015 zu Aufmarschregion und Einflussgebiet des Iran machen würden.

 

Ebenso war der Anfang 2016 hingerichtete Kleriker Nimr Al-Nimr–  aus der Sicht der saudischen Königsfamilie und dessen Unterstützer ein iranischer Agent und »Terrorist« – keineswegs ein iranischer Vasall, sondern ein lokaler Anführer der schiitischen Protestbewegung, der seine Mitdemonstranten dazu aufrief, friedlich zu bleiben. Auch die Houthis sind keineswegs lediglich eine jemenitische Hizbullah, sondern zuvorderst eine lokale Gruppierung mit eigenen Zielen und Vorstellungen, deren Nähe zum Iran eher oberflächlich existiert. Und beide Fälle, der Jemenkrieg und die Exekution des Geistlichen al-Nimrs, sägen an der Existenz der Königshäuser am Golf, allen voran dem in Bahrain und Saudi-Arabien.

 

Um die eigentlichen Ursachen und Wirkmechanismen des Jemenkrieges zu verstehen, muss man bis ins Jahr 2011 zurückgehen, besser noch bis 1990, dem Jahr der Wiedervereinigung des Nord- und Südjemens. Die Trennung in zwei separate Staaten mit unterschiedlichen Staats- und Regierungssystemen trug dazu bei, dass auch 25 Jahre nach der Vereinigung die Gräben zwischen beiden Landesteilen groß sind – im Übrigen noch immer größer als die konfessionellen Gräben. Der Norden war bis zu einem Militärputsch in den 1960er-Jahren seit dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches eine absolute Monarchie, die trotz ihres zaiditisch-schiitischen Glaubens im darauffolgenden Bürgerkrieg gegen die Republikaner vom wahhabitischen Königreich Saudi-Arabien unterstützt wurde.

 

Das zeigt, dass die Golfstaaten ihre sunnitische Religion damals geringer gewichteten als ihre Solidarität gegenüber dem monarchischen System. Insofern blieb der Norden sehr traditionell verwurzelt und relativ isoliert von modernen Strömungen und Gesellschaftsstrukturen. Im Gegensatz dazu war der teilweise kolonialisierte Süden des Jemen eine marxistische Volksrepublik, deren marxistische Ideologie im Inneren strenger durchgesetzt wurde als in vielen Staaten der Dritten Welt, die nur Lippenbekenntnisse zum Marxismus abgaben, um im Kalten Krieg Hilfe aus Moskau zu erhalten.

 

Dies führte also zu großen gesellschaftlichen Differenzen, die auch durch die tumultartige und unter Waffengewalt des Nordens unter Präsident Ali Abdullah Saleh herbeigeführte Vereinigung beider Staaten fortbestanden. Eine separatistische Unabhängigkeitsbewegung, die die friedliche bis gewalttätige Loslösung des Südens vom Norden verlangt und besonders in der Hafenstadt Aden einflussreich ist, entstand und besteht noch heute. Seit 1990 herrschte Saleh über beide Landesteile und versorgte eine präsidententreue Elite mit Posten und Einfluss im Sinne patrimonialer Netzwerke, stellte aber auch die einflussreichen Stammesverbände zufrieden.

 

Nicht alle im Land profitierten von dieser Herrschaft, neben den bereits erwähnten Separatisten begannen auch zwei weitere machtpolitische Akteure einen Aufstand gegen die Regierung: Die Houthi-Rebellen ab 2004 und der jemenitische Ableger Al-Qaidas, »Al-Qaida auf der arabischen Halbinsel« (AQAP). Al-Qaida begann Mitte der 2000er, sich im Zentrum und Osten des Jemen, im bevölkerungsarmen Teil des früheren Südjemens, festzusetzen und wird dabei besonders von Dschihadisten aus dem gesamten Golfraum unterstützt.

 

Die jemenitische Zelle der Terrororganisation gilt dabei mittlerweile als eine der beständigsten Ableger al-Qaidas weltweit. Die Regierung konnte in einem langen Kleinkrieg, der auch lange mit US-amerikanischer Drohnen-Unterstützung im Zuge des »Krieg gegen den Terror« geführt wurde, Al-Qaida nur mühsam eindämmen – womöglich hat der Drohnenkrieg die Organisation sogar gestärkt.

 

Die genaue Herkunft der Houthis und ihre konkreten Ziele wiederum sind umstritten. Es ist aber davon auszugehen, dass sich die Gruppierung rund um eine einflussreiche Stammesgruppe im Norden des Landes vor allem durch den ideologischen Kontakt mit der libanesischen Hizbullah radikalisierte und ihren Aufstand gegen die Regierung unter anderem damit begründe, dass ihre alten Traditionen sowie ihr zaiditischer Glaube durch Einfluss salafistischer Prediger aus dem saudischen Nachbarland gefährdet würden – Einfluss, den die Regierung nicht einzudämmen bereit sei.

 

Begonnen hatte der Houthi-Aufstand also als von Hizbullah und Iran beeinflusste, aber eigenständige Autonomiebewegung traditionsbewusster Zaiditen, die sich von der Regierung ökonomisch, politisch und kulturell marginalisiert fühlen. Als die Regierung 2004 den Anführer der Bewegung, Hussein Badreddin Al-Houthi, zur Fahndung ausschrieb, begannen die Kampfhandlungen, die auch nach dessen Tod im September 2004 anhielten.

 

Nach sechs Jahren Krieg, tausenden Toten und noch mehr Vertriebenen konnten die Houthis gegen die Regierung eine Reihe von Siegen vorweisen und nach Süden vorstoßen, obwohl Präsident Saleh US-amerikanische Militärhilfe, die eigentlich ausschließlich für den Kampf gegen Al-Qaida gedacht war, für den Krieg gegen die Houthis einsetzte. Als weiterer machtpolitischer Spieler brachte sich die »Islah«-Partei, der jemenitische Zweig der Muslimbrüder, in Stellung. Sie sah sich nicht nur als politische Opposition zu Saleh in Stellung, sondern war auch in der Lage, in weiten Teilen des Landesbewaffnete Milizen zu mobilisieren und zu unterhalten.

 

Ex-Präsident Saleh war entscheidend an der weiteren Destabilisierung des Jemens beteiligt

 

Der Jemen stand 2011 also seit Jahrzehnten unter der Knute des alternden Präsidenten, doch mit dem Beginn des Arabischen Frühlings begannen auch hier Massenproteste gegen Saleh, besonders in der Hauptstadt Sanaa. Nach vielerlei Versuchen des Präsidenten, die teilweise gewaltsamen Gegner seiner Herrschaft niederzuschlagen, ließen die Golfstaaten trotz langer Unterstützung Saleh schließlich fallen. Die Opposition handelte unter internationaler Vermittlung des Golfkooperationsrats (GCC) mit Saleh einen Übergangsprozess aus, demzufolge dieser im Austausch für strafrechtliche Immunität seinen Posten räumen musste und sein Vizepräsident Abd Rabbo Mansur Hadi nach einer Wahl ohne Gegenkandidaten die Amtsgeschäfte übernahm.

 

Teil der Vereinbarung war auch, eine Einheitsregierung aufzustellen. Der Prozess der »Nationalen Dialogkonferenz« zwischen März 2013 und Januar 2014 wurde von Aufständen und Kontrollverlust der Regierung über weite Teile des Landes überschattet, und verfehlte sein Ziel einer umfassenden Einigung. Die Separatisten lehnten es ab, Teil eines föderalen Jemen zu werden, und zogen sich aus der Konferenz zurück – ebenso die Houthis, nachdem zwei ihrer Gesandten ermordet worden waren.

 

Demnach waren also schon zum Zeitpunkt des Endes der Nationalen Dialogkonferenz viele staatliche Strukturen und Teile der öffentliche Ordnung weitgehend zusammengebrochen, die Houthis, Al-Qaida und die Separatisten, standen auf Kriegsfuß mit der Übergangsregierung Hadi, auch die jemenitischen Muslimbrüder verfolgten mit eigenen Milizen weitgehend eigene Ziele. Seit 2012 war nun ein weiterer Akteur hinzugekommen: Ex-Präsident Saleh, der trotz Unterschrift unter das Abkommen nicht beabsichtigte, seine Macht abzugeben. Noch immer kontrolliert Saleh weite Teile der staatlichen Strukturen, vor allem der Sicherheitskräfte und der einflussreichen republikanischen Garden.

 

Obwohl sein Sohn Ahmad Saleh offiziell 2013 des Kommandos enthoben wurde, kann er noch immer auf Loyalisten in der Elitetruppe zählen. Zudem halten immer noch einige Stammesfürsten der Hashid zu Saleh Senior. Der näherte sich zu dieser Zeit seinen einstigen Houthi-Widersachern an und stellte ihnen die Kontrolle weiter Teile des Jemen im Austausch für Einfluss der Salehs in einer neuen Regierung in Aussicht. 2014 und 2015 eroberten die Houthis, die sich nun »Ansar Allah – Unterstützer Gottes« nannten, gemeinsam mit den Saleh-Loyalisten weitgehend unblutig weite Teile des Jemen, vor allem den bevölkerungsreichen Norden und Westen, inklusive seit Anfang 2015 die Hauptstadt Sanaa.

 

Die Houthis nutzten dabei vor allem die schleichenden Fortschritte Hadis beim Übergangsprozess und die Unzufriedenheit über die schlechte wirtschaftliche und instabile politische Lage zu ihrem eigenen Vorteil, um letztlich Hadi festzunehmen, seinen Rücktritt einreichen zu lassen und eine neue Regierung einzusetzen. Die Saleh-Loyalisten wiederum wollten vor allem die Reformen Hadis stoppen, die das Militär umstrukturieren und damit die Macht der republikanischen Garde Salehs beschneiden sollten.

 

Was die Houthis von der Hizbullah gelernt haben

 

Als Hadi dem Hausarrest entkommen konnte und sich zum legitimen Präsidenten des Jemen erklärte, eskalierte der Konflikt. Der Kampf der Houthis um die Separatisten-Hochburg Aden, die die »Bewegung des Südens« letztlich für sich entscheiden konnten, führte letztlich zur Intervention der arabischen Koalition unter Führung Saudi-Arabiens. Die Golfstaaten, allen voran Saudi-Arabien, aber mit Ausnahme des wie so oft neutralen Omans, das als Vermittler agiert und gute Beziehungen zum Iran und zu den Golfstaaten hat, begründen die Intervention vor allem damit, iranischen Einfluss eindämmen zu müssen.

 

Sie verweisen auf angebliche massive militärische und strategische Unterstützung des Iran für die Houthis und sehen diese als iranische Agenten, vergleichbar mit der Hizbullah im Libanon, die die kampfstärkste iranloyale Miliz im gesamten nahen Osten darstellt und massiv vom Iran finanziell, ideologisch und militärisch unterstützt wird sowie die revolutionär-islamische Ideologie der Islamischen Republik teilt. Eine schlagkräftige und einflussreiche irantreue Miliz wäre für das benachbarte Saudi-Arabien ein Sicherheitsrisiko und eine Bedrohung für die sunnitischen Golfmonarchien, sodass die undemokratische Machtergreifung der Houthis rückgängig gemacht und Hadi wiedereingesetzt werden müsse.

 

Doch dieser Vergleich sagt mehr über die Unsicherheit der Königsfamilien am Golf aus als über die tatsächliche Situation im Jemen. Die Houthis haben hat von Hizbullah vor allem die Organisationsformen und die Propaganda übernommen, also vor allem politische Werkzeuge, weniger strategische Ziele. Die akribisch organisierten Massenveranstaltungen mit flammenden Reden und zehntausenden Besuchern sowie die antiwestlichen Slogans wie »Gott ist groß, Tod für Amerika, Tod für Israel, die Juden seien verflucht, Sieg für den Islam« – Losungen, die an iranische Islamisten erinnern – sowie die massiven Propagandabemühungen der Gruppe sind eine der Erfolgskonzepte der Hizbullah, die die Houthis zur Rekrutierung und Mobilisierung der Unterstützer benutzt haben.

 

Darunter dürfte sogar die Auswahl des Namens »Ansar Allah« fallen. Nach libanesischem Vorbild verfolgen die Houthis auch eine Strategie der politischen Allianzbildung, um über das Kernklientel hinaus Unterstützer zu gewinnen. Dennoch teilen die Houthis nicht die Ideologie der Hizbullah. Neben den religiösen Divergenzen zwischen Fünfer- und Zwölferschia deutet nur wenig darauf hin, dass die Houthis das Kernkonzept der iranischen Revolution, die Führerschaft der Rechtsgelehrten (Vilayet-e-Faqih), anerkennt oder verfolgt.

 

Anders als Hassan Nasrallah bei der Hizbullah führt bei den Houthis eben nicht primär ein mächtiger schiitischer Ayatollah die Gruppe an, sondern die Houthi-Familie sowie Mitglieder der Organisation, die sich als Volksbewegung inszeniert. Weiterhin ist die politische Praxis der Houthis eher pragmatisch, die von ihr ausgerufene neue Regierung hat keine radikal-schiitischen Maßnahmen nach Vorbild des Irans ergriffen, obwohl dies durchaus in der Macht der Houthis gewesen wäre.

 

Kaum Feldvorteile trotz massiver technologischer Überlegenheit

 

Zudem agiert Hizbullah stark in Abstimmung mit der iranischen Führung und führt regelmäßig Krieg mit Israel (eine ideologische Kernkomponente des iranischen Regimes) und intervenierte beispielsweise ab 2012 in Syrien, als Hilfe für Baschar Al-Assad, der vom Iran unterstützt wird. Das Vorgehen der Houthis reflektiert jedoch kaum ein strategisches oder ideologisches Kernziel des Iran, der vor allem in Syrien und Irak seine Kräfte bündelt und im Jemen eher ein hochgradig instabiles, wirtschaftlich schwaches Land vorfindet. Die Beweggründe für die Intervention im Jemen beruhen also nicht nur auf einer falschen Einschätzung der Lage.

 

Sie sind auch Ausdruck der Schwäche der Golfstaaten, die bis dahin noch nie einen eigenen Krieg geführt hatten, sondern sich auf das Militär westlicher Staaten verließen. Seit dem Nuklearabkommen mit dem Iran fühlen sich die Golfstaaten von ihren früheren Schutzmächten betrogen und agieren zunehmend unilateral. Der Jemenkrieg ist also auch Ausdruck dieser neuen, veränderten Rolle und dient zum Teil auch als Weg, die massiv hochgerüsteten Armeen der Golfstaaten zu testen und militärische Erfahrung zu sammeln.

 

Die Fehleinschätzungen hingegen manifestierten sich schnell zu Beginn der Intervention, als die Houthis überwiegend nicht als die fremde, persisch-iranische Macht aufgefasst wurde, die von den arabischen Freunden zurückgeschlagen würde, sondern deren öffentliches Ansehen überwiegend als indigene jemenitische Volksbewegung gegen die Invasoren sogar noch gestärkt wurde. Die Vehemenz des Krieges, vor allem die Luftschläge Saudi-Arabiens, hat dessen Ansehen massiv geschadet. Die verzweifelten Versuche der Golfstaaten, besonders Saudi-Arabiens, andere an ihrer Stelle kämpfen zu lassen, stießen überwiegend auf Ablehnung oder blieben Lippenbekenntnisse.

 

Daran wird schnell deutlich, dass das bevorzugte Mittel der Golfstaaten der Scheckbuch-Diplomatie in militärischen Konflikten wie Syrien oder dem Jemen äußerst unzuverlässig ist. Trotz bis zu zeitweise 10.000 im Jemen stationierter Truppen von Drittstaaten und massiver technologischer Überlegenheit kam die saudische Kampagne gegen die relativ gut organisierten und erfahrenen Kämpfer der Houthi-Saleh-Allianz kaum voran. Zuletzt scheitern auch Bemühungen der Golfstaaten, die »Islah«-Partei und ihre Milizen zu ihrem Vorteil zu nutzen. Da die Muslimbrüder als Feinde der Monarchie in den Golfstaaten unter starken Repressionen zu leiden haben, bedingt das gegenseitige Misstrauen im Jemen die ineffektive militärische Abstimmung.

 

Luftschläge mit hohen zivilen Opferzahlen als das kleinere Übel

 

Die Intervention beschränkte sich daher lange vor allem auf Luftschläge, deren Auswirkungen oft vor allem die Zivilbevölkerung treffen, entspricht aber der ängstlichen Stimmung in den Golfstaaten, die unerfahrene Armeen, die aus der kleinen Zahl der Staatsbürger besteht, nicht einzusetzen, um den inneren Frieden durch hohe Verluste in einem komplizierten Krieg nicht zu stark zu gefährden. Luftschläge, durchgeführt von den neusten westlichen Kampfflieger-Modellen, sind dagegen das weitaus kleinere Übel, weshalb dafür auch hohe zivile Opfer auf jemenitischer Seite in Kauf genommen werden.

 

Besonders schlimm sieht es bei den kleineren Golfstaaten aus. Das Emirat Katar, deren absolut regierende Königsfamilie über eine Bevölkerung von nicht einmal 300.000 Einwohnern und das Siebenfache an teilweise massiv ausgebeuteten ausländischen Gastarbeitern herrscht, hat 2014 die Wehrpflicht eingeführt, da sein Militär über weniger als 12.000 Kämpfer verfügt. Katar lässt mittlerweile 1.000 eigene Soldaten im Jemen kämpfen, ein Bruchteil dessen, was nötig wäre, um das Land zu befrieden.

 

Die Vereinigten Arabischen Emirate, deren Streitkräfte ebenfalls im Jemen kämpfen, und die 2014 ebenfalls die Wehrpflicht einführten, haben ähnliche Probleme. Die Herrscherfamilien der einzelnen Emirate verfügen über eine Bevölkerung von etwas mehr als einer Million Einwohner und das Siebenfache an sogenannten Expats und schlecht behandelten ausländischen Arbeitsmigranten. Das Militär zählt gerade 65.000 Soldaten, von denen nur ein kleiner Teil im Jemen kämpft.

 

Als bereits nach kurzer Zeit dutzende emiratische Soldaten im Gefecht getötet worden waren, begannen die VAE damit, auf andere Kämpfer zu setzen: Mehrere hundert Söldner vor allem aus Lateinamerika unter der Anleitung eines Gründers und früheren Teilhabers der berüchtigten US-Söldnerfirma Blackwater – für die eigene Reputation eine Katastrophe.

 

Das Königreich Bahrain wiederum, das viel massivere innenpolitische Probleme hat, ist in einer noch schwierigeren Situation. Einerseits muss sich die sunnitische, absolut regierende Herrscherfamilie Al Khalifa für die brutale Niederschlagung der massiven und andauernden Demonstrationen der schiitischen Mehrheit durch GCC-Truppen erkenntlich zeigen. Andererseits zeichnet sich auch Bahrain durch eine gleich dreifache Hierarchie aus: Die Al Khalifa herrschen über etwa 600.000 Bahrainis, von denen nur ein Drittel zur privilegierten sunnitischen Konfession gehört.

 

Darüber hinaus leben auch hier etwa 800.000 Ausländer, überwiegend schlecht gestellte Arbeitsmigranten. Insofern herrscht die Herrscherfamilie als Minderheit einer Minderheit einer Minderheit mit äußerst brutalen Methoden. Dennoch entsandte Bahrain etwa 300 Soldaten seiner 12.000 Mann starken Streitkräfte in den Jemen und beschränkte sich wie die meisten anderen Golfstaaten ansonsten auf Luftangriffe. Die konstitutionelle Monarchie Kuwait hingegen, in der zwar eine ebenso starke Differenz zwischen Staatsbürgern und einer höheren Zahl von Ausländern herrscht, entsandte keine Bodentruppen, sondern nur Flugzeuge.

 

Selbst wenn die saudische Allianz ihre Kriegsziele erfüllt, ist eine politische Lösung in weiter Ferne

 

Auch wurde sehr schnell deutlich, dass die anfänglichen Erfolge der Rückeroberung Adens nicht darauf zurückzuführen war, dass die Hadi-treuen Truppen gewonnen hatten, sondern vor allem der separatistischen Bewegung zu verdanken war, die der Regierung Hadi langfristig feindselig gegenübersteht und mit Hadi nur ein Zweckbündnis eingegangen war. Das Desaster in Aden wurde erst in den vergangenen Wochen deutlich: Innerhalb kurzer Zeit wurden mehrere hochrangige Regierungsbeamte in Aden ermordet, vor allem durch Al-Qaida, die in Aden durch den Krieg an Macht gewonnen hat und das allgemeine Chaos zu ihrem Vorteil ausnutzen konnte.

 

Al-Qaida kontrolliert nun weite Teile des Zentrums des Jemen und kann sich dort nahezu ungestört bewegen. Während der von der Houthi-Saleh-Allianz gehaltene Norden relativ stabil ist und sein Territorium weitgehend halten konnte, breitet sich im Gebiet, das nominell Hadi untersteht, weitgehend Anarchie aus. Neben Al-Qaida ist vor kurzem sogar der IS auf den Plan getreten und hat sich wohl in der südwestlichen Stadt Lawdar festgesetzt.

 

Selbst wenn also es tatsächlich dazu kommen sollte, dass die Golfstaaten ihre Intervention erfolgreich abschließen und die Houthis und Saleh-Loyalisten aus Sanaa vertreiben können, hinterließen sie dann ein instabiles, von Islamisten und Warlords dominiertes Gebiet, das danach erneut befriedet werden müsste. Und eine erstarkte Al-Qaida oder sogar eine starke IS-Zelle im Jemen kann auch nicht im Sinne der Golfstaaten sein. Insofern sind auch die moderaten Fortschritte der Allianz im Osten Sanaas in den vergangenen Wochen nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.

 

Die Vielzahl verschiedener, miteinander fundamental widerstreitender Interessengruppen auf beiden Seiten macht eine politische Lösung äußerst kompliziert. Auch wenn der Krieg mit Diplomatie zu beenden wäre, müsste die Stabilisierung erstens mit militärischem Druckmittel begleitet und gleichzeitig auch ein Ausgleich aller Interessengruppen außerhalb der Islamisten geschafft werden – doch daran war bereits die »Nationale Dialogkonferenz« gescheitert, obwohl die Gesprächsbereitschaft damals wesentlich größer gewesen sein dürfte.

 

Fraglich wäre vor allem, ob Feuerpausen von den Kriegsparteien konsequent eingehalten werden würden, schließlich kämpfen auf allen Seiten unterschiedlichste Gruppen, die sich kaum an eine gemeinsame Linie gebunden sehen. Zudem ist nicht auszuschließen, dass einige Golfstaaten auf der Maximalforderung nach Zerstörung der Houthi-Miliz beharren. De facto also destabilisiert die auf falschen Vorannahmen beruhende Intervention das Land und bürdet den militärisch unerfahrenen und innenpolitisch unter Druck stehenden Golfstaaten einen nahezu unlösbaren Konflikt auf.

 

Aus iranischer Sicht wäre demnach sehr wohl doch am Ende ein Ziel erfüllt: Dass die Erzrivalen der Golfstaaten sich in einen kaum lösbaren Krieg haben hineinziehen lassen, der ihre Ressourcen und ihre politische Legitimität aufzehrt und ihre eigene Herrschaft gefährdet.

 

Das Dilemma des Kampfeinsatzes der Golf-Armeen

 

Die Angst vor schiitischer Agitation jeglicher Art führt die Golfstaaten also dazu, politisch äußerst unkluge Entscheidungen zu treffen. Ob es die Entscheidung, Nimr al-Nimr zu exekutieren, betrifft oder die Entscheidung, sich in den überaus komplexen Jemenkrieg einzumischen, die Planer am Golf, insbesondere die Al Saud, gefährden nicht nur ihre eigene Herrschaft, sondern begünstigen auch die Ausbreitung der radikalen Islamisten von Al-Qaida und IS, gegen die die Golfstaaten nun kaum noch vorgehen.

 

So zogen beispielsweise mit Beginn der Intervention im Jemen viele Golfstaaten ihre Flugzeuge aus dem Kampf gegen den IS im Irak und Syrien ab. Zum Teil erscheint es so, als hofften die Monarchen inständig darauf, dass der Westen den Kampf gegen den IS übernimmt, der in ihrer Prioritätenliste eindeutig weiter hinten steht als der Kampf gegen »iranische Zellen« oder Kritiker der Monarchie. Insofern ist der Jemenkrieg sowohl Ausdruck eines Misstrauens der Golfstaaten gegenüber dem Westen seit dem Nuklearabkommen als auch daraus folgend einer extremen Unsicherheit der Monarchen, das zu erratischem und kurzfristig ausgelegtem Handeln führt.

 

Die Folgen dieses Handelns haben sich im Kontaktabbruch zwischen Iran und den meisten Golfstaaten bereits angekündigt, gehen aber weit darüber hinaus. Die Politik des saudischen Königs Salman bin Abdel-Aziz al-Saud sowie seines Sohnes, Vizethronfolger und Verteidigungsminister Mohammed bin Salman, stufte bereits der Bundesnachrichtendienst (BND) in einem Ende 2015 geleakten Memo als potentiell destabilisierend sein.

 

Die Ankündigung einer Anti-Terror-Allianz – offenbar ohne Information einiger der Bündnispartner und ohne tatsächliche Abstimmung – legt diese erratische Politik ebenso offen wie die plötzliche Entscheidung, den Geistlichen und Bürgerrechtler Nimr al-Nimr neben 43 bekannten Dschihadisten und drei anderen offenbar ebenfalls friedlichen Schiiten zu exekutieren. Auch die Ankündigung, Teile der staatlichen Ölkonzerns Aramco zu privatisieren, um den Westen wieder verstärkt an das Schicksal Saudi-Arabiens zu binden, sowie die schwache Antwort auf die massiven wirtschaftlichen und finanziellen Probleme aufgrund des niedrigen Ölpreises erscheinen äußerst erratisch und teils Ausdruck von Panik.

 

Die Situation der kleineren Golfstaaten wiederum ist vor allem unter dem Eindruck sehr kleiner Herrscherfamilien, Staatsbürger und einer großen Schicht ausgeschlossener Bürger (Schiiten und Ausländer) prekär. In Bahrain ist diese Lage am akutesten, dort dauern die Demonstrationen genauso an wie die aggressiven Versuche, diese zum Schweigen zu bringen. Gerade deshalb sind diese Golfstaaten zögerlich dabei, eine größere Menge der Streitkräfte, insbesondere Wehrpflichtige, außer Landes einzusetzen, weil sie für den Ernstfall im Inland dringend gebraucht werden würden.

 

Andererseits spekulieren sie aber auch darauf, dass die Erfahrung im Kriegseinsatz im Jemen den eigenen Streitkräften für jenen Ernstfall zugute kommt. Deshalb ist die Einführung der Wehrpflicht durch zwei Golfstaaten ein erstes Anzeichen der Schwäche dieser Staaten, die mit ihrer Kombination von üppigen Sozialleistungen, Prachtbauten und Propagandaveranstaltungen sowie Ausbeutung von ausländischer Arbeitskraft zumindest ihre Unterstützer innerhalb der Staatsbürgergruppe ruhigstellen konnten.

Von: 
Manuel Störmer

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