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In Syrien protestieren die Menschen

Zwischen Revolution und Propaganda

Feature

In Syrien protestieren die Menschen gegen das Regime von Baschar al-Assad. Aber manifestiert sich der Widerstand wie in Ägypten und Tunesien auch hier musikalisch? Wo sind die Essams, die El-Generals und Mounirs Syriens?

Amel Mathlouthi und El General in Tunesien, Ramy Essam, Hany Adel und der legendäre Sänger und Schauspieler Mohamed Mounir in Ägypten: Sie sind nur die bekanntesten einer Unzahl an Musikern, die während des arabischen Frühlings 2011 in ihren Heimatländern öffentlich für die Revolution auftraten. Auch in Syrien protestieren die Menschen gegen das Regime. Aber manifestiert sich der Widerstand auch hier musikalisch? Wo sind die Essams, die El-Generals und Mounirs Syriens? Die in Syrien äußerst populäre Oriental-Jazz Sängerin Lena Shamamyan postete auf ihrer Facebook-Seite: »Diese Seite ist ein Ort, um zu träumen und zu atmen ... Bitte keine Politik hier!« Verfällt die syrische Musikszene tatsächlich in Lethargie oder gar Gleichgültigkeit?

 

»80 Prozent der syrischen Musiker warten erst mal das Ergebnis der Aufstände ab«, so die Einschätzung von Abdul Rahman aka »Don Mega«. Seit 1999 macht macht er gemeinsam mit seinen beiden Brüdern unter dem Namen »Murder Eyez« Hip-Hop im US-amerikanischen Hardcore-Gangsterrap-Stil. Mittlerweile ist er das einzige noch in Syrien verbliebene Mitglied der Gruppe. Don Mega will hoch hinaus, ist Teil des »Arab League Movements« – eines internationalen Netzwerks arabischer Hip-Hop-Künstler, deren Ziel es ist, arabischen Rap weltweit bekanntzumachen.

 

Er sieht sich selbst als kritischen Musiker mit einer »Message«, sagt aber ganz klar: »Es gibt eine rote Linie«, was bedeute: »Stelle niemals den Präsidenten in Frage«. Zu den jetzigen Aufständen sagt er: »Ich bin nicht für oder gegen jemanden. Beide Seiten haben Fehler gemacht. Aber gebt dem Präsidenten eine Chance!« In seinem Song »Did el-Balad« ruft der Rapper die Demonstranten zur Räson auf und warnt vor einer Spaltung des Landes.

 

Abdul Rahmans »neutrale« Haltung scheint sich auszuzahlen. Bald soll er Manager des noch jungen syrischen Senders Shahba TV werden, und er bekommt, wie er stolz erzählt, »Airplay auf allen Radiostationen«. Den internationalen Medien glaubt er nicht. »Sie berichten nur über tote Demonstranten, aber nicht über die Soldaten, die von ihrem eigenen Volk getötet wurden.« Er sieht hinter den Aufständen eine internationale Verschwörung aus »Freimaurern, Kabbala, Israel und den USA«. Darüber rappte er auch in dem Lied »Did e-Maysuniye« (»Gegen die Freimaurer«), einem Remix des Rihanna-Songs »Hard«. 

 

Ansonsten sieht sich Abdul Rahman, dessen großes Vorbild Ice Cube ist, von den aktuellen Ereignissen erstaunlich wenig betroffen. »Alles ist cool hier in Aleppo, die Cafes sind gefüllt, es gibt Events und Konzerte.« Nur von Zeit zu Zeit gäbe es es ein paar Probleme, doch »das Feuer zu betrachten, ist nicht dasselbe, wie im Feuer zu sitzen«. Dass man sich auch als Außensitzender am Feuer verbrennen kann, vergisst Don Mega.

 

Liste der Schande oder Liste der Ehre? Singen für den Löwenkönig

 

Seine Gruppe Murder Eyez ist nicht berühmt in Syrien. Deshalb steht Abdul Rahman auch nicht auf der »Schwarzen Liste«, die syrische Oppositionelle auf Facebook veröffentlicht haben. Diese »Liste der Schande« zählt syrische Schauspieler und Popstars auf, die zur Revolution entweder schweigen oder sich auf die Seite des Regimes gestellt haben.

 

Viele der dort genannten Prominenten sehen ihre Position offensichtlich aber nicht als Schande, im Gegenteil, sie haben eine eigene Facebook-Seite eingerichtet, die sie »Honor List« (Liste der Ehre) nennen. Manche trafen sich medienwirkam mit dem Präsidenten, um »Reformvorschläge zu diskutieren«, oder besuchten verletzte Soldaten im Miltiärkrankenhaus. Der im gesamten arabischen Raum bekannte Sänger George Wassouf hat Baschar al-Assad eigens einen Song namens »Ya Ghali Ibn Al Ghali« (Oh Teurer, Sohne des Teuren) gewidmet und im Juli bei einer Pro-Assad-Demonstration auf dem Umawiyin-Platz in Damaskus ein Konzert gegeben. Am 20. Oktober 2011 erlitt er einen Schlaganfall und wurde in ein libanesisches Krankenhaus eingeliefert.

 

Ebenfalls für den Erhalt des Regimes singt Folk-Pop Sänger Ali al-Deek. In seinem Video zu seinem nationalistischen Lied »Syria« feiern er und ein fahnenschwenkenes Volk ihren Präsidenten al-Assad. Vors Gesangsmikro gestellt hat sich auch die syrische Schauspielerin Suzan Najm ad-Din und dabei einen patriotischen Song aufgenommen. Gerüchten zufolge soll ihr Einsatz für die Regierung zum Familienzwist geführt und ihr Ehemann sie mitsamt der Kinder Richtung Amerika verlassen haben. Najm ad-Din dementierte. Die Entscheidung für die Ausreise ihrer Familie sei schon viel früher, noch vor den Aufständen, gefallen.

 

Obwohl die »Liste der Schande« lang ist – einige syrische Künstler haben es doch gewagt, sich gegen das Regime in Damaskus zu stellen. Im Juli haben rund 200 Schauspieler, Schriftsteller und Intellektuelle im Damaszener Stadtviertel Midan für ein Ende der Herrschaft der Assad-Familie demonstriert. 30 Teilnehmer wurde damals verhaftet, unter ihnen Schauspielerin May Skaf, die Regisseure Nabil Maleh und Muhammad Malas, sowie der Schriftsteller Rima Fleihan. Kurz darauf schlossen sich auch TV-Star Muhammad ar-Rashi sowie der Schauspieler Faris al-Hilu der Opposition an.

 

Die Königin erhebt ihre Stimme

 

Wäre sie im Lande gewesen, Assala Nasri hätte sich dem Demonstrationszug sicher angeschlossen. Die legendäre syrische Sängerin – genannt »die Königin« – lebt in Ägypten und hat dort erlebt, wie das wütende Volk Präsident Mubarak stürzte. Nun unterstützt sie öffentlich die Proteste in ihrem Heimatland. Sang Nasri in früheren Jahren noch Lobeshymnen auf Baschar al-Assad wie »Baschar Al Amal wa al-Waed … Haris Ahlamik ya Sham« (Baschar, Hoffnung und Versprechen … Beschützer deiner Träume, oh Syrien), hat sie unlängst das Lied »Ah law hal Kursi byihki« (Oh, wenn dieser Stuhl doch spräche) veröffentlicht, in dem sie den syrischen Präsidenten und dessen Regierung scharf angreift.

 

Für ihre Kritik sah sich Assala Nasri regelrechten Hasskampagnen ausgesetzt. Ihre Webseite wurde gehackt, diffamierende Videos auf YouTube veröffentlicht, auf unzähligen Blogs und Facebook-Seiten wurde sie als Verräterin, gar als »undankbare Schlampe« beschimpft, und Musikerkolleginnen bezweifelten, ob sie überhaupt noch Syrerin sei. Doch Assala Nasri hat das Glück, ein reicher Popstar zu sein. Selbst wenn sie in Syrien leben würde, es wäre eher unwahscheinlich, dass ihr jemand ein Haar krümmt.

 

Viel schlimmer erging es Ibrahim Qashoush. Er wurde im Juli mit aufgeschlitzter Kehle und herausgeschnittenen Stimmbändern aus dem Orontesfluss gezogen. Qashoush war ein beim einfachen Volk populärer Sänger, der bis zur Revolution hauptsächlich auf Hochzeiten spielte. Für die großen Demonstrationen in seiner Heimatstadt Hama versah er traditionelle Melodien mit neuen Texten und machte sie so zu Protestsongs. In ganz Syrien sangen die Leute »Yalla irhal ya Baschar« (Hau ab, Baschar) auf den Protestmärschen. 

 

Dabke – der Sound der syrischen Revolution?

 

Ibrahim Qashoush wurde zum Protagonisten einer Musik, die bezeichnend ist für eine Protestbewegung, die zunächst in den Peripherien, den mittleren und kleinen Städten ihren Ausgang nahm. Sie steht in der Tradition der Dabke-Musik, einer Tanzmusik aus rohen stampfenden Rhythmen, zu der ein Poet live auf der Bühne spontane Texte dichtet. Heute wird diese Musik häufig mit Melodien aus billigen Synthesizern und mit Computerbeats hinterlegt. Roh und wild und von der feineren städtischen Bevölkerung oft abschätzig als »Musik der Bushaltestellen« bezeichnet, wo man die Kassetten für gewöhnlich kaufen kann. Nichtsdestrotz eignet sich der Sound der Straße bei weitem besser für subversives Texten als die komplizierten Melodien klassischer arabischer Musik.

 

»In Wohnzimmern in ganz Syrien sitzen junge Leute und erschaffen revolutionäre Gedichte«, weiß Oliver Holmes. Der britische Nahostjournalist hat sich mit dieser Form »öffentlicher Poesie« näher beschäftigt. Alte Poesie, Lieder, aber auch Stadiongesänge werden umgetextet und auf den Demonstrationen zu Anti-Regime-Slogans. Es gäbe natürlich genauso Dabkemusik pro Assad, sagt Holmes. »Jeder weiß, wie wichtig es ist, die ›Message‹ rauszukriegen. Alle haben ihre eigene Propaganda.«

 

So fröhlich und ausgelassen die Gesänge und Sprechchöre zuweilen auch klingen mögen – sie können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die syrische Revolution eine blutige mit tausenden von Toten ist. Auf der Bühne nur mit einer Oud, der unerlässlichen arabischen Laute, ›bewaffnet‹ ist Samih Choukeir. Er entspricht von den all hier genannten syrischen Musikern vielleicht noch am ehesten dem Klischee des protestierenden Singer-Songwriters.

 

»Ya Heif« (Welch Unrecht) heißt ein Lied, das er den Toten der syrischen Stadt Daraa, in der die Unruhen ihren Ausgang nahmen, gewidmet hat. Im März wurden dort nach Angaben von Menschenrechtsgruppen mehr als 100 Personen getötet, erst kürzlich tobten dort wieder heftige Kämpfe. Choukeir ist seit Jahrzehnten im Namen der Armen und Unterdrückten politisch aktiv, tourt durch Europa und die arabische Welt und arbeitet mit internationalen Menschenrechtsorganisationen zusammen. Zwar lebt er derzeit im Libanon, doch sein Lied verbreitete sich mittels sozialer Netzwerke und YouTube in Windeseile in Syrien.

 

Sowohl aus dem sicheren Exil wie auch aus dem Inland stellen Musiker, meist anonym, Songs für oder gegen den syrischen Aufstand ins Netz. Das Spektrum reicht von Liebesbekundungen für Baschar al-Assad über patriotische Lobgesänge bis zum Hip-Hop-Manifest für die Freiheit des Volkes oder einem Rocksong, der die Seele von Hafez al-Assad, den Vater und Vorgänger des jetzigen Präsidenten, verdammt.

 

Diese Revolutionsmusik ist nicht immer geschmackvoll – sie ist vielmehr eine Form schnell produzierter Musik-Propaganda und Ausdruck der musikalschen Vielfalt Syriens. Der Kampf um das Land wird auch auf dieser Ebene ausgetragen.

Von: 
Selina Nowak

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