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Tod und Folter in Tadmor in Syrien

Bara im »Königreich der Stille«

Feature

»Aus Tadmor kommst du nicht zurück, selbst wenn du zurückkommst«, sagen Syrer über ihr berüchtigtes Militärgefängnis. Bara Sarraj tat es trotzdem. Nach 12 Jahren Folter.

Zwei Katzen. Einkaufen bei Walmart. Ein gut bezahlter bezahlt Job als Universitätsdozent. Eigentlich lebt Bara Sarraj ein normales amerikanisches Leben. Eigentlich. Hätte er nicht auch ein normales syrisches Leben hinter sich. Immer dann, wenn eine Nachricht den Alltag des syrischen Horrors durchbricht, meldet sich ein Journalist von irgendwo aus der Welt auf Skype. Dann erzählt Sarraj, wie es damals war im Gefängnis von Tadmor, das nun vom IS eingenommen wurde. Von der Zeit als Syrien noch eine gewöhnliche Diktatur im Nahen Osten war. Und gerade deshalb für zehntausende Syrer die Hölle bedeutete.

 

Die Zeit, die Sarraj zum gefragten Interviewpartner machte, begann an einem Morgen in der Warteschlange vor seiner Universität. 21 Jahre alt war er damals, 1984. Student der Elektrotechnik in Damaskus, zweites Semester: »Es war ein Morgen wie jeder andere auch.« Ob er fünf Minuten Zeit für ein Gespräch hätte, wollte ein Beamter des syrischen Geheimdienstes wissen. Aus dem Gespräch wurde eine Fahrt in Syriens berüchtigtes Foltergefängnis. Aus den fünf Minuten wurden 12 Jahre.

 

Seit 20 Jahren regierte das Baath-Regime zu diesem Zeitpunkt mit Kriegsrecht über das Land. Anhänger der syrischen Muslimbrüder verübten regelmäßig Anschläge auf Vertreter der säkularen Regierung. Dass Armee und Geheimdienst nach einer Anschlagsserie eine ganze Stadt zerstören lassen, erfährt man im Westen nur durch einen einzelnen BBC Bericht. Das »Massaker von Hama« mit wahrscheinlich 20.000 Toten wird Teil des kollektiven Gedächtnisses, als Symbol der kompromisslosen Unterdrückung durch das Regime.

 

Zehntausende Syrer verschwinden in dieser Zeit spurlos. »Es konnte jeden treffen«, sagt Sarraj. »Für das Regime gehörtest du schon zur Opposition, wenn du in die Moschee gegangen bist.« Schlicht »Empfang« (Istiqbal) heißt die Foltermethode, mit der Sarraj in Tadmor begrüßt wird. Mit Beinen und Kopf voran wird er wie jeder andere Häftling in einen Reifen gequetscht. »200 bis 300 mal haben sie auf uns eingeschlagen, bis die Haut aufplatzte oder die Knochen brachen.« Für viele Häftlinge endet schon die Aufnahme im Militärgefängnis von Tadmor mit dem Tod. Für Sarraj ist es nur der Anfang.

 

Weniger als ein Kilometer liegt zwischen den antiken Ausgrabungsstätten von Palmyra und dem Militärgefängnis von Tadmor. Doch was beide Orte für Syrer symbolisieren, könnte unterschiedlicher kaum sein: Palmyra – das sind 4.000 Jahre alte altarabisch-römische Patchwork-Kultur. König Salomon von Israel, chinesische Gewürzkarawanen, das Reich von Zenobia, Assyrer, Babylonier, Perser, Makedonen, europäische Archäologen, italienische Reisegruppen.

 

Als Touristenmagnet wurde Palmyra bis zu Beginn des Kriegs zum Symbol der Öffnung des Landes. 15 Minuten Fußweg davon entfernt liegt der Ort, den Syrer »Königreich der Stille« nennen. Seit den 1970ern schickt das syrische Militär hierher all jene Häftlinge, die es politischer Aktivitäten verdächtigt. »Tadmor scheint dazu entworfen worden zu sein, um seinen Insassen das Maximum an Leid, Erniedrigung und Angst zufügen zu können«, urteilte Amnesty International 1999 in einem wenigen Berichte, die es über das Gefängnis gibt.

 

Bis heute verfolgt der heutige 54-jährige Sarraj die Ereignisse in Tadmor. Auf seinem Facebook-Profil überprüft er Medienberichte, hilft zu lokalisieren, aus welchem Teil der Stadt die Propagandaaufnahmen des IS wirklich stammen. In den USA hat er ein zweites Leben begonnen, studierte in Harvard, lehrt heute Mikrobiologie in Chicago, weil er »am liebsten allein im Labor« sitze. »Die meisten meiner Studenten wussten lange Zeit nicht, was mir passiert ist.« Als der Krieg in Syrien ausbrach und im Internet sein Name auftauchte, begann er zu erzählen.

 

»Das Leben bestand aus Folter und auf die Folter zu warten«

 

»Das Leben bestand aus Folter und auf die Folter zu warten. Zum Rasieren gab es Schläge, beim Essen gab es Schläge, zum Aufstehen gab es Schläge.« Mehrmals zerrten die Wärter einen der Häftlinge in den Hof, schlugen und traten auf ihn ein. Mal verendet ein Mitinsasse an inneren Blutungen. Mal ist es ein gebrochenes Genick. Gestorben wird täglich. »Wir freuten uns gemeinsam, wenn einer die Folter überlebte und kümmerten uns um das, was von unseren Freunden übrigblieb.«

 

Die Zeit zwischen Folter und Folter organisieren die Häftlinge selbst: Einer verteilt das spärliche Essen. Einer schlichtet bei Streitigkeiten. Einer putzt die Toilette. Einer wacht über die Lautstärke der Häftlinge, denen es eigentlich verboten ist zu sprechen. Ein »Zellenpräsident« verteilt die Aufgaben. Wer was macht, darüber wird abgestimmt. Sarrajs erste demokratische Wahl findet zwischen Menschen statt, die die Regierung als »Terroristen« aus der syrischen Gesellschaft aussortiert hat. Ohne Vorwarnung wurde er eingesperrt. Ohne Vorwarnung kommt Sarraj wieder frei.

 

Per Dekret verfügt der Vater des heutigen Präsidenten, Hafez al-Assad, 1995 eine Amnestie über rund 1.000 Gefangene. Ein Jahr später reist Sarraj in die USA aus, wo seine Familie auf ihn wartet. Dort heiratet er eine Kollegin, sitzt nächtelang im Labor oder spielt nach Feierabend mit seinen beiden Katzen. Nur manchmal, wenn eine Nachricht aus Syrien mal wieder den alltäglichen Horror durchdringt, klingelt es bei Skype.

Von: 
Fabian Köhler

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