Im Libanon ist es verpönt, dass junge unverheiratete Liebespaare zusammenziehen. Doch woran liegt das? An der konservativen Gesellschaft, an der mangelnden Durchsetzungskraft der Jungend oder ganz einfach an der Liebe zum Wohlstand?
»Orient Beauty« – Rana Siblini stammt aus Beirut und ist Sprachwissenschaftlerin und Lehrerin von Beruf. 2010 kam sie nach Deutschland. In Münster schreibt sie an ihrer Doktorarbeit über Nostalgie in der mittelalterlichen arabischen Dichtung. »Weiße Kartoffel« – Stanislaw Strasburger ist polnischer Schriftsteller und freiberuflicher Kulturmanager. Er beschäftigt sich immer wieder mit dem facettenreichen Thema Multikulturalität. Seit mehreren Jahren pendelt er zwischen Köln, Beirut und seiner Heimatstadt Warschau. Orient Beauty und Weiße Kartoffel sprechen miteinander Deutsch. Doch manchmal, wenn es hakt ... Hi, kifak, ça va?
Weiße Kartoffel: Firas erzählte mir neulich von seiner Freundin. Er hatte sich in sie verliebt, als er noch zur Schule gegangen ist. Du kennst das ja, eine dieser romantischen Lieben im orientalischen Stil. Jeden Nachmittag blickte er aus dem Fenster des kleinen Ladens seines Vaters, der in der Nähe ihrer Schule lag, und hielt nach ihr Ausschau. Anfangs wollte das Mädchen ihn nicht, aber er blieb hartnäckig und bekam, was er wollte: Seit etwa zwei Jahren sind sie nun zusammen. Sie arbeiten beide und verdienen ziemlich gut. Sie kommen sogar für den Unterhalt der Eltern auf. Ich fragte ihn, warum sie nicht zusammenziehen. »Ich muss erst noch mehr Geld ansparen«, antwortete er mir und fuhr, bevor ich etwas erwidern konnte, fort: »Und wozu brauche ich jetzt schon den ganzen Frauenkram in meinem Bad? Lippenstifte, Nagellacke, Haarbürsten, ich weiß, es lässt sich nicht vermeiden, aber das hat keine Eile.« Ich war baff! Firas hat das Mädchen seiner Träume, und ihre ganze Beziehung besteht darin, zweimal die Woche abends auszugehen oder zu shoppen.
Orient Beauty: Du weißt, bei uns ist es nicht so einfach wie bei euch, ohne Trauschein zusammenzuziehen. Die Menschen sind eher traditionell eingestellt. Aber wenn wir vom Heiraten sprechen, dann ist klar, der arme Firas muss das Geld für eine Wohnung, mehrere Autos und natürlich für eine Hausangestellte verdienen.
Weiße Kartoffel: Willst du mir sagen, dass ein fast dreißigjähriger Libanese Angst hat, zu Hause nein zu sagen, und das gemeinsame Leben lieber aufschiebt, um einem Streit aus dem Weg zu gehen? Wenn ich hier das Geschäftsverhalten der Libanesen beobachte, dann habe ich nicht den Eindruck, dass sie besonders ängstlich sind. Nehmen wir zum Beispiel den Immobilienboom. Man muss schon Nerven wie Drahtseile haben, um im Libanon in den Wohnungsbau zu investieren, in einem Land, in dem es alle paar Jahre irgendwelche Luftangriffe gibt. Familiäre Meinungsverschiedenheiten dürften dagegen Peanuts sein!
Orient Beauty: Vielleicht unterschätzt du da die libanesische Familie, Weiße Kartoffel. Ganz zu schweigen davon, wie gut man an solchen Bauvorhaben verdienen kann ... Eine erfolgreiche Investition macht dich wirklich frei, auch dann wenn du den Vertrauenskredit bei deiner Familie verspielt hast.
Weiße Kartoffel: Du sagst es! Familienkredit auf Libanesisch heißt null Zinsen und ewiger Wohlstand im Tausch gegen ein Klitzekleinigkeit: die Freiheit der Liebe. Die meisten Familien meiner Beiruter Freunde haben ein Wochenendhaus in den Bergen. Sie verbringen dort ein paar Wochen im Jahr. In Deutschland oder Polen wäre das der pure Luxus.
Orient Beauty: Du kennst bestimmt unser Sprichwort: In den libanesischen Bergen ist auch eine Ziegenscheune wahres Glück. Sollten wir das etwa aufgeben?
Weiße Kartoffel: Ich gebe zu, die libanesischen Berge sind wunderschön. Aber ich würde sofort alle Berge der Welt gegen ein gemeinsames Leben mit meiner Geliebten eintauschen! Nach dem Tod meiner Oma haben meine Eltern mir und meiner Schwester die großelterliche Wohnung überlassen, damit wir Raum für ein unabhängiges Leben haben. Niemand wäre auf die Idee kommen, sie für ein Haus in den Bergen einzutauschen, und seien sie auch so schön wie unsere Tatra.
Orient Beauty: Unabhängiges Leben oder Familiengründung? Geht es um Letzteres, würden unsere Familien auch Omas Wohnung zur Verfügung stellen.
Weiße Kartoffel: Das nenn ich echte Familienförderungspolitik! Wirklich bewundernswert, aber ist dieses Modell nicht ein wenig antiquiert? Besonders wenn ich an die reihenweise nebeneinander parkenden Autos an der Beiruter Marina denke, wo junge Paare hinter beschlagenen Scheiben ihr unabhängiges Leben führen.
Orient Beauty: Pass auf, Weiße Kartoffel, das Thema Beiruter Marina ist eine ganz andere Geschichte ...
Die Reihe wird parallel auf Polnisch, Arabisch und Deutsch veröffentlicht.
Gefördert durch das Land NRW. Unterstützt durch das Buchinstitut aus Polen und das Goethe-Institut Libanon.