Wegen tödlicher Gewalt gegen Demonstranten wird Hosni Mubarak zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt. Das vergleichsweise milde Urteil wird für Unruhe sorgen – und zeigt die Machtverhältnisse im post-revolutionären Ägypten deutlich auf.
»Wir haben es mit einem Mann zu tun, der eine Sonnenbrille im Krankenwagen trägt. Nicht unterschätzen«, twitterte ein Ägypter am heutigen Samstagmorgen um 10.15 Uhr. Wie elektrisiert wartete das ganze Land auf den historischen Richterspruch im Fall Mubarak. Viele forderten, man solle den gestürzten Raïs hängen – seine korrupten Söhne, Alaa and Gamal, gleich mit. Es kam anders. Der Ex-Präsident wurde um 10.21 Uhr von dem zuständigen Richter Ahmed Refaat zu 25 Jahren Haft verurteilt – er wird damit den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen; seine beiden Söhne wurden freigesprochen. Für die meisten Ägypter ist der Richterspruch eine unfassbare Ungerechtigkeit.
»Wo kommen denn nur diese ganzen bärtigen Typen her?«
Und für Hosni Mubarak wohl eine unfassbare Unverschämtheit. Als er in den Gerichtssaal der Kairener Polizeiakademie auf einer fahrbaren Krankentrage gefahren wurde, dort mit verschränkten Armen und einer dunklen Sonnenbrille im Gesicht hinter den Gitterstäben seines Käfigs das Geschehen verfolgte, konnte man seiner Mimik entnehmen, wie angewidert der 84-Jährige von der Veranstaltung war, als dessen Hauptgast er fungierte.
Das Ägypten von heute ist nicht mehr das Land, das er kennt und versteht. Erst Mitte vergangener Woche hatte die Tageszeitung al-Watan berichtet, beim Verfolgen der konstituierenden Sitzung des ersten demokratisch gewählten Parlamentes im Fernsehen solle sich Mubarak gefragt haben: »Wo kommen denn nur diese ganzen bärtigen Typen her? Sind wir hier in Ägypten oder in Afghanistan?«
Ein Aphrodisiakum namens »Revolution« verliert seine Wirkung
Diese Menschen sind nicht aus Afghanistan, sondern Ägypter, aus Assuan und Alexandria, hätten ihm viele seiner einstigen Untertanen wohl erbost zugerufen. Diejenigen, die lange, vielleicht zu lange, vom Aphrodisiakum namens »Revolution« mit seinem süßlichen Duft nach Brot, Freiheit und Würde benebelt wurden – ebenso wie von den Wahlsiegen ihrer Heilsbringer, Salafisten und Muslimbrüder. Doch das Aphrodisiakum verliert langsam aber sicher seine Wirkung; erst recht durch den wohl überlegten und orchestrierten Richterspruch, der, um im Bild zu bleiben, die Ouvertüre war, für das, was noch kommen wird – oder besser: wieder.
Für die Günstlinge des Regimes war der heutige Tag ein Triumph
Denn was nun zum Vorschein kommt ist die Rache des Ancien Régime, das spätestens mit dem heutigen Tag bewiesen hat, dass es in Ägypten noch lange nicht abgeschrieben werden sollte, sondern weiterhin wie eine Spinne viele Fäden zieht. Es geht hierbei nicht allein um das Militär oder dessen obersten Befehlshaber Tantawi, der sicherlich im Bilde war und ist, sondern auch die einstigen Entscheidungsträger der mittleren Ebene, jene Günstlinge des Regimes Mubarak, die von ihm und den Seinen abhängig waren.
Für sie war der Urteilsspruch über Mubarak Senior und seine beiden Junioren am heutigen Tag ein Triumph – der nächste soll am 17. Juni folgen. Wenn Ahmed Schafiq gegen den Muslimbruder Mursi im Kampf um das Amt des Präsidenten antritt.