Im Draa-Tal im Süden Marokkos wird das Wasser immer knapper. Viele Einheimische zeigen mit den Fingern auf die wuchernden Wassermelonenplantagen und fordern ein Anbauverbot. Eine Reportage über die Früchte des Zorns.
Das Draa-Tal zwischen Ouarzazate und Zagora ist in diesen südmarokkanischen Herbsttagen 2014 eine staubtrockene Ödnis. Während man vom Antiatlas hinunter an dramatischen Bergschluchten entlang fährt, kann man sich kaum vorstellen, dass hier überhaupt Leben existiert. Nur vereinzelt sieht man kleine Dörfer, die sogenannten Ksars mit ihren beeindruckenden Lehmbauten, die schon für einige Hollywoodfilme genutzt wurden. Das ausgetrocknete Flussbett ist ein verhalltes Echo des lebenspendenden Draa-Flusses.
Dass oberflächlich kein Wasser zu sehen ist, ist in den Sommermonaten normal. Spätestens im September aber müssten sich kleine Pfützen in dem Wadi bilden. Dieses Jahr aber gibt es auch im Oktober noch keine Spur von dem anschwellenden Grundwasser. »Wo kein Wasser ist, kann es auch keine Chance für Leben geben«, sagt Abdellah Naji, während er in seinen Brunnen schaut. Im April 2014 konnte der Gastwirt dort zum letzten Mal Wasser schöpfen. Danach musste er seinen 14 Meter tiefen Brunnen auf 36 Meter Tiefe erweitern, um wieder auf Grundwasser zu stoßen.
Naji kleines Hotel »Le Sauvage Noble« in Tizergate sitzt am Rande der marokkanischen Sahara im Draa-Tal. Wasserprobleme habe es in der Region schon immer gegeben, »aber so schlimm war es noch nie«, sagt er. »Der Brunnen hat immer Wasser gebracht.« Im angrenzenden Palmenhain sind bereits 90 Prozent der Brunnen ausgetrocknet und auf den unter den Palmen gelegenen Feldern ist im letzten Jahr zum ersten Mal kein Gemüse gewachsen. Für Abdellah Naji wie für viele andere Menschen aus dem Draa-Tal ist die Ursache der akuten Wasserkrise klar: Wassermelonen!
»Wenn weiter kein Regen fällt und die Wassermelonenplantagen uns weiter das Wasser abgraben, werden große Teile der Bevölkerung auswandern«
»Drei Monate lang haben zwischen 300 und 600 Lastwagen pro Tag Melonen in den Norden gebracht«, weiß Abdellah Naji von der Sommerernte zu berichten. Die Plantagen seien 2014 von 3.000 auf 5.000 Hektar ausgeweitet worden. Denn Wassermelonen sind nicht nur als Exportprodukt, sondern auch innerhalb Marokkos sehr begehrt. »Da die Qualität der Melonen aufgrund der klimatischen Gegebenheiten im Draa-Tal sehr hoch ist, haben die Bauern ein hohes ökonomisches Interesse an ihrem Anbau«, erzählt Christine Werner, die für die deutsche Entwicklungshilfeagentur GIZ in Marokko das Projekt »Integriertes Wasserressourcenmanagement« betreut.
Das Problem ist nur: Die Melonen verbrauchen enorme Mengen an Wasser. In vielen Dörfern im Wadi Draa sind in diesem Sommer die Brunnen ausgetrocknet und Wasser musste aus Zisternen gekauft werden. An mehreren Tagen gab es gar kein Trinkwasser oder es wurde auf drei Stunden am Tag rationiert. »Die Leute haben gelitten. Wenn weiter kein Regen fällt und die Wassermelonenplantagen uns weiter das Wasser abgraben, werden große Teile der Bevölkerung auswandern«, glaubt Naji.
Zwar gab es auch schon früher Wassermelonen in der Region – allerdings bauten die Menschen sie eher privat auf kleinen Feldern an. Seit etwa drei bis vier Jahren werden sie dagegen in großem Stil gepflanzt – mit staatlicher Förderung. Mit dem Projekt »Maroc vert – Grünes Marokko« versucht das Landwirtschaftsministerium, neue Impulse für die Landwirtschaft und die Agrarindustrie in den Provinzen Ouarzazate und Zagora zu setzen. Denn das Gebiet um den Wadi Draa ist so etwas wie das ungewollte Stiefkind Marokkos, die vernachlässigte Region hat wirtschaftlich kaum Relevanz für den Staat. Es gibt so gut wie keine Industrie und keine ausgeprägte Landwirtschaft, der Tourismus stagniert. Der Ackerbau ist immer mehr der Wüste gewichen.
Das Wadi Draa ist so etwas wie das Stiefkind Marokkos: keine Industrie, kaum Tourismus – und der Ackerbau weicht der Wüste
Um das zu ändern und die Region nutzbar zu machen, will der Staat die Menschen vor Ort dazu animieren, die Landschaft wieder zu begrünen. Wer beispielsweise Wassermelonen anpflanzt, erhält im Rahmen von Maroc vert eine Reihe von Vergünstigungen: Der Staat vergibt Ländereien zu günstigen Pachtzinsen, stellt die Motoren für zusätzliche Brunnen und das System zur Tröpfchenbewässerung zur Verfügung. »Das Angebot des Landwirtschaftsministeriums war natürlich verlockend«, sagt Doris Paulus. Die 72-jährige Deutsche und ihr marokkanischer Businesspartner Abdessadek Naciri betreiben seit fast 22 Jahren in der Region Geschäfte. Zunächst mit Kamelen, heute mit dem »Jnane-Dar« in Tamgroute bei Zagora: ein Restaurant mit Herberge, in der Paulus mindestens sechs Monate im Jahr lebt.
Sie kennt sowohl die Probleme der Plantagenbetreiber als auch der örtlichen Bevölkerung. Auch Paulus und ihr Geschäftspartner haben das staatliche Angebot wahrgenommen und ihre Felder mit Wassermelonen bestellt, »nicht ahnend, dass diese derart viel Wasser benötigen«. Denn die Methode der Tröpfchenbewässerung spart zwar Wasser, da nur geringe, exakt bemessene Wassermengen unabhängig vom Druck in die Rohrleitung abgegeben werden.
Dennoch verbraucht die Landwirtschaft im Flusstal 88 Prozent der Wasserressourcen der Draa. Somit verbleiben nur 12 Prozent für Trinkwasser. Außerdem versalzt durch die Tröpfchenbewässerung der Boden, da das Wasser in der Erde anteilig verdampft und die Salze nach oben befördert. Die Wasserbehörden würden daher mittlerweile versuchen, die Bauern zum Umstellen auf andere Kulturen zu motivieren, erzählt GIZ-Entwicklungshelferin Christine Werner. »Aber das wird nicht so einfach von den Bauern angenommen, wenn Melonen ein höheres Einkommen versprechen«.
Denn wegen des besonderen Klimas, der vielen Sonnenstunden und des fruchtbaren Bodens sind Früchte von hier außergewöhnlich schmackhaft und sehr süß. »Wenn es Wasser gibt, schmeckt alles, was hier aus dem Boden kommt, einfach göttlich«, schwärmt die Deutsche Doris Paulus, »nicht nach dem faden Einheitsgeschmack von Plastik, wie inzwischen fast überall in Europa.«
Die Melonen aus der Region werden bis zu 17 Kilogramm schwer – allerdings nicht auf natürlichem Weg
Die »Dlah«, wie die Marokkaner sie nennen, bringt bis zu stattliche 17 Kilogramm auf die Waage – mit ein wenig Nachhilfe. In den Wassermelonen stecke nämlich vor allem eines, sagt Paulus: »Chemie, Chemie, Chemie.« Es werden Zusätze ins Wasser gegeben, damit sie möglichst schnell reifen. Normalerweise können die Wassermelonen erst im Juli geerntet werden. Heute werden die Früchte bereits im Dezember überdacht gezogen und sind im April zur reif.
Da die Wassermelonen, die hier traditionell ein eher helles, rosa-gelbliches Fleisch haben, eine rötlichere Farbe annehmen, kommen weitere Zusätze ins Wasser. Das verschmutzt das Grundwasser und geht auf Kosten der Gesundheit. Paulus berichtet, dass 2014 zahlreiche Leute nach dem Genuss von Wassermelonen krank geworden seien. Im September 2014 war Wasserministerin Charafat Afilal in Zagora zu Besuch. Bei einer Versammlung mit den lokalen Abgeordneten und Vertretern der Zivilgesellschaft versprach sie, dass der Anbau der Wassermelonen in der kommenden Saison verboten werden soll.
Doch solche Zusagen haben die Bewohner von Zagora schon zuhauf gehört. »Die Wasserministerin ist doch gar nicht zuständig«, sagt etwa Ahmed Chahid, Präsident des Tourismusverbandes der Provinzhauptstadt. »Um das Verbot durchzusetzen, müsste der Gouverneur ein Dekret unterschreiben.« Andere reden davon, dass erst einmal eine Studie zu den gesundheitlichen Auswirkungen des Melonenanbaus erstellt werden solle. Und der »Super-Caïd« von Tinzouline bei Zagora – eine Art Oberbürgermeister – soll nach Auskunft von Anwohnern gesagt haben, dass das Verbot schon längst verhängt worden sei.
Viele Gerüchte, wenig Gewissheit. Verbot hin oder her – klar ist, dass die Menschen vor Ort Leidtragenden des Kompetenzgerangels der Behörden sind. Während das Wasserministerium den Wassermelonenanbau anprangert und ein schnelles Verbot durchsetzen möchte, stößt man beim Landwirtschaftsministerium mit solchen Anliegen auf Unverständnis. Dattelpalmen würden schließlich auch viel Wasser wegnehmen.
Die Unklarheit über das genaue Ausmaß der Wasserkrise ist nicht nur für die Gegner des Melonenanbaus ein Problem. »Für die Landwirte, die für die Großinvestoren die Felder bestellen, zählt in erster Linie, dass sie nette Einkommensquelle gefunden haben. Über die Folgen für die Wasserversorgung der Region machen sie sich keine Gedanken.« Ahmed Chahid vom lokalen Tourismusverband sieht das Landwirtschaftsministerium in der Pflicht: »Das Ministerium müsste klarere Informationen geben, welche Konsequenzen der Anbau hat.«
Aber ist der Melonenanbau ein gerechtfertigter oder ein nur ein greifbarer Sündenbock? Auch der Regen blieb schließlich in den vergangenen Jahren immer häufiger aus. Normalerweise beträgt die durchschnittliche Niederschlagsmenge 110 Millimeter pro Jahr. Seit 2011 ist dieser Wert nicht mehr erreicht worden. Ende November 2014 trafen dann aber auf einmal heftige Unwetter und Überschwemmungen die Region. Ein Zeichen des Klimawandels? Oder doch ein Zeichen des Allerhöchsten? »Nachdem der Minister hier war, hat es zum ersten Mal seit langem wieder geregnet. Danach haben die Leute gesagt: Gott gibt Wasser oder Gott gibt kein Wasser«, erzählt Chahid.
Anders ausgedrückt: Es sei nicht Sache der Regierung – oder genereller: der Menschen –, etwas zu unternehmen, sondern eine Frage des Schicksals. Den Anbau von Wassermelonen zu verbieten, könnte so gesehen gar nicht so leicht durchzusetzen sein. Also einfach auf Regen warten und den süßen marokkanischen Tee trinken? Ahmed Chahid winkt ab und plädiert für eine gemeinsame Strategie der Ministerien. »Man darf die Frage der Wasserknappheit nicht von der angestrebten Entwicklung der Region trennen«, findet er.
»Dazu gehört technische Unterstützung für sparsamen Wasserverbrauch, aber auch ein Bewusstseinswandel in der Bevölkerung.« Doris Paulus sieht die Kritik an den Einheimischen mit Skepsis: »Man darf nicht vergessen, dass die Menschen hier so gut wie keine Verdienstmöglichkeiten haben.« Neben der mangelnden industriellen und wirtschaftlichen Infrastruktur sei durch die Trockenheit im Jahr 2014 auch die Dattelernte, eine der Haupteinnahmequellen des Wadi Draa, sehr mager ausgefallen. »Natürlich könnte man Gemüse anbauen, aber damit ist nicht viel Geld zu verdienen.«
Diese Reportage entstand mit freundlicher Unterstützung von taz.Reisen in die Zivilgesellschaft. Mehr unter www.taz.de/tazreisen.