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Zum Tod von König Abdullah von Saudi-Arabien

Tod eines Wandlungsreisenden

Nachruf

König Abdullah war kein Reformer, aber verordnete Saudi-Arabien einen Weg zur Modernisierung. Nachfolger Salman steht vor der Herausforderung, die Machtbalance im Haus Saud zu bewahren und dennoch neue Akzente zu setzen.

Der Tod des 91-jährigen saudischen Königs Abdallah bin Abdulaziz ibn Saud kommt keineswegs überraschend, aber zur Unzeit. Auch wenn Abdullah seinen Halbbruder Salman als direkten Thronfolger und den jüngsten Sohn des Staatsgründers Ibn Sauds, Muqrin, als dessen Stellvertreter benannt hatte, um Kontinuität und Stabilität in der Nachfolge zu schaffen, steht die saudische Königsfamilie mit dem Ableben Abdullahs doch vor gewaltigen Herausforderungen.

 

Abdullah übernahm den Thron offiziell nach dem Tod seines Halbbruders und Vorgängers Fahd im Jahr 2005, führte aber de facto bereits seit 1996 die Amtsgeschäfte, da Fahds gesundheitlicher Zustand keine aktive Regierungsarbeit mehr ermöglichte. Abdullah wird bei vielen seiner Untertanen als Reformer in Erinnerung bleiben, immerhin führte er einen »Nationalen Dialog« ein, der es Frauen und den unterdrückten saudischen Schiiten ermöglichte, sich in einem offiziellen Rahmen zu politischen Themen zu äußern.

 

Er erlaubte es Frauen, Mitglieder des Schura-Rates, des konsultativen »Pseudo-Parlaments«, zu werden, ließ Gemeinderatswahlen durchführen und ernannte zum ersten Mal in der Geschichte Saudi-Arabiens eine Prinzessin zur Ministerin. Unter seiner Herrschaft wurden Milliardensummen in den Ausbau der Bildung, des Gesundheitswesens und der Infrastruktur investiert. Der von ihm initiierte Bau der Prinzessin-Noura-Universität, der größten Frauenuniversität der Welt, oder der geschlechtergemischten King Abdulaziz University for Science and Technology (KAUST) sollten als Leuchttürme einer neuen, modernisierten saudischen Bildungsgesellschaft gelten.

 

Unter Abdullah entwickelte sich Saudi-Arabien zu einer der einflussreichsten Wirtschaftsmächte der Welt und baute kontinuierlich seinen politischen und ideologischen Einfluss im Nahen und Mittleren Osten aus. Heute ist ohne die Saudis keine Politik mehr in der Region zu gestalten oder zu verwalten – wie die USA und Europa lernen mussten.

 

Doch auf der anderen Seite war Abdullah ein rational kalkulierender Machtmensch, dessen Reformvorhaben immer einem Ziel dienten: Dem Machterhalt der saudischen Königsfamilie. So herrschte er oftmals mit Zuckerbrot, aber viel häufiger mit Peitsche. Dabei verstand er es perfekt, die unterschiedlichen Machtfraktionen innerhalb der Al Saud und der politischen Landschaft gegeneinander auszuspielen, Koalitionen zu schmieden, um diese bei Bedarf wieder zu lösen.

 

Er kooptierte saudische Oppositionelle, ließ Demonstrationen der Schiiten im Osten massiv niederschlagen und inhaftierte Aktivisten und Frauenrechtler. Der Fall des Bloggers Raif Badawi, der wegen »islamfeindlicher Äußerungen« zu 1.000 Peitschenhieben und einer Haftstrafe von zehn Jahren verurteilt wurde, zeigte erneut, welch menschenverachtende Sanktionen Kritik an der Obrigkeit hervorbringen. Abdullah war demnach kein weiser, generöser und aufgeklärter Monarch, zu dem er im eigenen Land stilisiert wurde, sondern ein Mann der Janusköpfigkeit, der wandlungsfähigen Anpassung, des Pragmatismus – und der Repression.

 

Gewalt wurde ebenso wie Reformpolitik angewandt, wenn beides dem Systemerhalt diente. So war er auch eher »Modernisierer«, der Veränderungen von oben durchsetzte, und kein »Reformer«, um die Kontrolle über den sozialen Wandel zu behalten. Der neue König Salman muss sich ebenso wie sein Halbbruder mit inneren und äußeren Bedrohungen Saudi-Arabiens auseinandersetzen: Der Sturz der befreundeten Diktatoren in Tunesien und Ägypten, die fragile Situation im Jemen, der Bürgerkrieg in Syrien und vor allem die schiitisch dominierten Proteste im benachbarten Bahrain schüren die Sorge vor einer Destabilisierung Saudi-Arabiens.

 

Die Annäherung Irans, des Hauptrivalen Saudi-Arabiens um die Vormachtstellung am Golf, an die USA im Rahmen der Verhandlungen um das iranische Atomprogramm verstärken die Furcht des saudischen Establishments, Macht an den schiitischen Erzfeind zu verlieren. Mehr und mehr fühlt sich Saudi-Arabien von einem »schiitischen Block« umzingelt, der die schiitische Minderheit im eigenen Land gegen das Königshaus aufhetzen könnte. Diese »Iranoia« beeinflusste auch Abdullahs Politik, dem es immer weniger gelang, die externen Konfliktherde zu moderieren oder zu kontrollieren.

 

Mehr als 3.000 saudische Dschihadisten kämpfen in den Reihen IS

 

Mit dem Aufkommen des »Islamischen Staates« (IS) im Irak ist eine neue Bedrohung aus salafistisch-sunnitischer Richtung hinzugekommen, der nur unzureichend begegnet wird. Es dauerte lange, ehe IS als Bedrohung und nicht als Koalitionspartner und Klient gegen Iran wahrgenommen wurde. Diese fehlende Strategie hat zu einem enormen Sicherheitsproblem geführt: Mehr als 3.000 saudische Dschihadisten kämpfen in den Reihen IS auch für das Ziel, das als korrupt und verwestlicht wahrgenommene saudische Regime zu stürzen.

 

In den vergangenen Monaten kam es immer wieder zu kleineren Anschlägen von militanten Islamisten auf saudischem Boden. Gleichzeitig nehmen im eigenen Land die soziökonomischen Probleme zu: Trotz der Ölmilliarden und der Bildungsoffensive herrscht eine Jugendarbeitslosigkeit von 30 Prozent, viele Universitätsabsolventen finden keinen Job, weil die Wirtschaft nicht diversifiziert wurde und längst nicht mehr alle jungen Menschen im öffentlichen Dienst aufgefangen werden können.

 

Frauen werden nach wie vor auf dem Arbeitsmarkt und im öffentlichen Leben benachteiligt. Auch deswegen hat sich eine Protestkultur entwickelt, die über soziale Netzwerke wie Twitter ihrer Frustration Ausdruck verleiht. Junge saudische Männer und Frauen drängen, auch beeinflusst durch den Arabischen Frühling, auf mehr politische Partizipation, persönliche Freiheiten und berufliche Perspektiven. Diesen Herausforderungen muss sich der neue König stellen.

 

Salman, 50 Jahre lang Bürgermeister der Provinz Riad sowie Verteidigungsminister und Mitglied der Sudairis, eines einflussreichen Arms der Königsfamilie, gilt als konservativer als sein Vorgänger und soll über gute Kontakte zum wahhabitischen Establishment und zu den einflussreichen Stämmen verfügen. Vermutlich wird er mehr als »Stabilisator«, denn als »Reformer« wahrgenommen werden. Doch auch er ist gesundheitlich angeschlagen, bereits 79 Jahre alt und damit ein Monarch auf Zeit.

 

Abdullah vermied eine radikale Neuausrichtung der dynastischen Ordnung

 

Abdullah hätte mit einer Änderung der Thronfolge, die es ermöglicht, auch Enkel des Staatsgründers zu inthronisieren, der »Herrschaft der Dinosaurier« ein Ende machen können, um schnell wechselnde Könige zu verhindern und damit Stabilität innerhalb der politischen Führung zu generieren. Mit Prinz Sultan im Oktober 2011 und Prinz Naif im Juni 2012 starben zwei designierte Thronfolger noch vor dem Amtsinhaber. Doch Abdullah vermied eine solche radikale Neuausrichtung der dynastischen Ordnung.

 

Auch die Benennung von Muqrin zum stellvertretenden Kronprinzen soll nicht ohne Konflikte vonstatten gegangen sein, immerhin wurde somit Salman die Option genommen, selbst einen Nachfolger zu bestimmen. Muqrin, früherer Geheimdienstchef, ist mit 69 Jahren der jüngste Sohn des Staatsgründers Ibn Saud. Der in naher Zukunft notwendig werdende Wechsel zur Enkelgeneration könnte weitere Grabenkämpfe innerhalb der Königsfamilie auslösen, weil die einflussreichen Söhne Abdullahs, Salmans, Naifs und Sultans um den Thron konkurrieren könnten.

 

All diese Faktoren stehen dem Ziel des Königshauses, Stabilität im Inneren und Äußeren zu schaffen, entgegen. Sollte sich die wirtschaftliche Situation durch den drastisch gefallenen Ölpreis zukünftig verschlechtern, könnte die Frustration in der jungen Gesellschaft weiter steigen. Der neue König muss deswegen einen Weg finden, Tradition und Moderne zu vereinen, was politische Reformen erfordert, den konservativen Klerus aber nicht überfordert. Salman und seine Nachfolger müssen dafür als Moderator unterschiedlicher Interessensgruppen agieren, wollen sie die Stabilität im Königreich bewahren.


Sebastian Sons ist Programmmitarbeiter im Programm Mittelost und Nordafrika der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Der Islamwissenschaftler promoviert zu Saudi-Arabien.

Von: 
Sebastian Sons

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