Lesezeit: 9 Minuten
Red Sea Film Festival in Dschidda

Saudi-Arabiens größte Leinwand

Feature
Red Sea Film Festival in Dschidda
»Within Sand« (2022) von Muhammad Al-Atawi erzählt eine Geschichte vom Überleben und der Grenzerfahrungen inmitten der Wüstenlandschaft. Screenshot »Within Sand«

Die größte Stadt am Roten Meer hat schon immer anders getickt als der Rest Saudi-Arabiens. Nun soll Dschidda sich als Kulturmetropole für die gesamte Region wieder neu erfinden. Kann das »Red Sea Film Festival« den Erwartungen gerecht werden?

Traditionelle Marktstände in neuem Gewand inmitten instandgesetzter Holzbalkone und Pop-up-Galerien: Kein Viertel in der Rotmeermetropole eignet sich wohl mehr als Standort für das »Red Sea Film Festival« als das Altstadt-Zentrum Al-Balad. Dschidda will sich als Kino-Hotspot in der Region positionieren und steht dabei sinnbildlich für Saudi-Arabiens oft ambivalenten Weg, sich als Kulturnation neu zu erfinden. Ein Land, in dem es früher keine Kinos gab und das von konservativen Normen durchzogen war, strebt nun eine Rolle als aufstrebendes Zentrum der Filmindustrie an.

 

Die Premiere des »Red Sea Film Festival« im November 2021 wartete mit 138 Filmen aus 67 Ländern in 34 Sprachen auf und zog 30.000 Besucher an. Auf dem Programm stand eine Mischung aus neuen Produktionen und Klassikern des arabischen Films (letztere liefen in der Sonderkategorie »Schätze des Roten Meeres«).

 

Bei der inzwischen dritten Auflage im Dezember 2023 bekamen dann auch neue saudische Streifen mehr Raum, so etwa der Abschlussfilm »Valley Road« von Khalid Fahd, der den 13-jährigen Ali begleitet, der an Selektivem Mutismus leidet. Oder »Alkhallat+« von Fahd Al-Amari, eine Anthologie aus vier Kurzfilmen, die mit schwarzem Humor einen Einblick in die Feinheiten der saudischen Gesellschaft bietet. Diese Filme erzählen gesellschaftlich relevante Geschichten und umschiffen gleichzeitig kontroverse Themen – eine Notwendigkeit für die neue Generation saudischer Filmemacher, um die richtige Balance zwischen künstlerischer Freiheit und staatlicher Grenzen auszutarieren.

 

Das Festival hat einen wichtigen Beitrag zur Förderung des Kinos geleistet, indem es Filmemachern die Möglichkeit gab, sich mit Themen auseinanderzusetzen, die in der saudischen Kultur tief verwurzelt sind. »Within Sand« (2022) von Muhammad Al-Atawi und »The Raven Song« (2022) von Muhammad Al-Salman erzählen Geschichten vom Überleben und der Grenzerfahrungen inmitten der Wüstenlandschaft. Einige Grenzen bleiben indes unangetastet. Saudische Filmschaffende wählen ihre Geschichten mit Bedacht aus, um direkte Kritik am Königshaus oder etwa Fragen wie Bürgerrechte der LGBTQ-Gemeinschaft nicht offen anzusprechen. Stattdessen versuchen sie, die übergeordneten Konflikte widerzuspiegeln, die Saudi-Arabiens komplexen Weg zwischen offenerer Gesellschaft und autoritärer Führung kennzeichnen.

 

Die Beiträge auf dem »Red Sea Festival« erzählen gesellschaftlich relevante Geschichten und umschiffen gleichzeitig kontroverse Themen

 

Das Festival in Dschidda will einen Raum für Kreativität und interkulturellen Austausch schaffen, steht jedoch unter offizieller Aufsicht: Das saudische Kulturministerium hob nämlich die Filmförderstiftung aus der Taufe, die die Veranstaltung jedes Jahr organisiert. Dieser reglementierte Rahmen unterstreicht das übergreifende Dilemma, mit dem Saudi-Arabien konfrontiert ist: die Balance zwischen dem Streben nach Fortschritt in sämtlichen Bereichen, dem Bewahren gesellschaftlicher Werte und der Festigung staatlicher Kontrolle.

 

Das »Red Sea Film Festival« soll nicht nur Tummelplatz für die neue saudische Filmszene werden, sondern auch die Filmbranche als Wachstumssektor gemäß des staatlichen Entwicklungsplans »Vision 2030« aufstellen. Bis dahin soll die heimische Filmwirtschaft Hundert Filme pro Jahr auf die Leinwand bringen. Diese Zielvorgabe geht einher mit dem Wandel, den die zweitgrößte Stadt des Landes und Zentrum am Roten Meer durchläuft. Diente Dschidda in der Vergangenheit vor allem als »Tor zur Hadsch«, sehen die Entwicklungspläne vor, dass die Vier-Millionen-Einwohner-Stadt Filmemacher, Geschäftsleute, Touristen und Pilger gleichermaßen anziehen soll. Die Kommerzialisierung des Kulturbetriebs verdeutlicht eine weitere Ebene in dem komplexen Wechselspiel zwischen künstlerischem Schaffen und staatlich vorgegeben Wegmarken, zwischen denen die saudische Filmbranche ihren Platz finden muss.

 

Das »Red Sea Film Festival« sucht eine Schnittmenge zwischen künstlerisch anspruchsvollem Storytelling und staatlich geförderten Narrativen. Es bietet Filmemachern eine Plattform, um ihren ganz persönlichen Sichtweisen Ausdruck zu verleihen und gleichzeitig das Bild des Königreichs in eng gesteckten Grenzen mitzugestalten. Eben diese Dualität steht sinnbildlich für nahezu alle Aktivitäten im Rahmen der »Vision 2030«.

 

Das »Red Sea Film Festival« sucht eine Schnittmenge zwischen künstlerisch anspruchsvollem Storytelling und staatlich geförderten Narrativen

 

Saudi-Arabien betrachtet das Festival nicht nur als Filmfest, sondern auch als strategisches Instrument. Als Pilotprojekt für die Vision einer Kulturnation, aber auch um die globale Wahrnehmung des Königreichs zu beeinflussen. Das wird auch in der Auswahl auf dem Roten Teppich deutlich: Mit Haifa Al-Mansur eröffnete 2021 die saudische Regisseurin das Festival, die den saudischen Film mit dem Drama »Das Mädchen Wajda« vor einem Jahrzehnt überhaupt auf die Landkarte gesetzt hatte. Dazu gesellten sich in den darauffolgenden Jahren vor allem Stars von der anderen Seite des Roten Meers – dem ursprünglichen Zentrum der arabischen Filmindustrie – wie die ägyptische Schauspielerin Laila Eloui und ihr Landsmann Hussein Fahmy. Zwar zeigten auch europäische und US-amerikanische Filmgrößen wie Catherine Deneuve oder Johnny Depp Präsenz.

 

Doch die spezifische Ausrichtung des Festivals zeigte sich hier vor allem darin, dass auch Persönlichkeiten aus anderen wachsenden oder bereits erfolgreichen Filmmärkten in Dschidda ihre Aufwartung machten. So etwa die deutsch-türkische Schauspielerin Meryem Uzerli, die in Deutschland immer noch vergleichsweise unbekannt ist, aber durch ihre Rolle im TV-Historiendrama »Das prächtige Jahrhundert« (2011–2014) in der Türkei zum Superstar aufgestiegen ist. Vor allem aber Bollywood-Stars wie Deepika Padukone und Ranveer Singh, die nicht nur auf dem Subkontinent zu den populärsten Promis gehören, sondern auch am Golf viele Fans haben.

 

An dieser Wegmarke des Wandels in und von Saudi-Arabien bietet das »Red Sea Festival« eine einmalige Möglichkeit, Geschichten zu erzählen und neue Verbindungen zu knüpfen. Vor allem macht es die Zukunftsvisionen und was ihnen im Weg steht so sichtbar wie nie zuvor. Es trägt die luftigen Ambitionen des Königreichs und seiner Einwohner zur Schau, macht aber ebenso deutlich, wie viel Luft noch nach oben ist. Denn letztlich wird sich der Erfolg eines Kulturprojekts wie des »Red Sea Film Festival« nicht messen lassen in der Zahl der gezeigten Filme oder dem Bekanntheitsgrad der Stars auf dem Roten Teppich, sondern in den filmischen Visionen, die hier entstehen.


Israa Radaydeh arbeitet in Amman als Kulturjournalistin mit Schwerpunkt Film. Sie schreibt unter anderem für das Portal Jordan News sowie die Tageszeitung Al-Ghad.

Von: 
Israa Radaydeh

Banner ausblenden

Die neue zenith 02/2022 ist da: Reise zum Mittelpunkt der Erde

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Die neue zenith ist da: mit einem großen Dossier zur Region Persischer Golf und überraschenden Entdeckungen. Von Archäologe über Weltpolitik und Wattenmeer zu E-Sports und großem Kino.

Banner ausblenden

Newsletter 2

Der heiße Draht

Frische Analysen, neue Podcast-Folgen, exklusive Einladungen zu Hintergrundgesprächen und Werkstattberichte: Jeden Donnerstag erhalten tausende Abonnenten den zenith-Newsletter. Sie  wollen auch auf dem Laufenden bleiben? Dann melden Sie sich hier kostenlos an.

Banner ausblenden

WM Katar

So eine WM gab es noch nie

Auf 152 Seiten knöpfen sich Robert Chatterjee und Leo Wigger alle wichtigen Fragen rund um die erste Fußball-WM in einem arabischen Land vor.